Schweiz
Da schaut selbst die Prostituierte hin: Die Geburt Jesu auf der Zürcher Langstrasse
Wenn das keine sensationelle Idee ist: Die Geburt Jesu in unsere heutige Zeit zu versetzen. In unseren Alltag mit unserer Lebensweise und unseren Problemen. Das ist der Katholischen Kirche im Kanton Zürich gelungen. Auf dem Münsterhof-Weihnachtsmarkt hat die Kirche einen Stand stehen, an dem man so richtig in das religiöse Faszinosum der Menschwerdung Christi eintauchen kann. Zumindest optisch.
Wolfgang Holz
Für Zürcher Verhältnisse wirkt das schon fast wie Romantik pur. An dem Holzstand der Katholischen Kirche im Kanton Zürich erwartet die Besuchenden des Münsterhof Weihnachtsmarkts statt einer traditionellen Krippe ein farbiges 3D-Bild mit biblischem Bezug. Und nicht nur das. Das Wunder von Bethlehem wird inhaltlich mitten in die Limmatstadt transferiert – und zwar gleich auch noch auf die sündigste Meile der Stadt. In die Langstrasse. Echt cool.
Das Smartphone gezückt
Wer dann eine der bereitliegenden Plastikbrillen mit einem roten und einem blauen Glas aufsetzt und das «immersive» Gemälde der Künstlerin Fiona Knecht näher beäugt, sieht im Vordergrund eine Schar winterlich dick eingemummter Passanten. Alle haben das Smartphone gezückt. Um das Ereignis der Ereignisse zu fotografieren und zu filmen: Die Geburt Jesu mitten auf dem Trottoir der Langstrasse.
Dank der «Anaglyphe-Technologie» können die Betrachtenden, ähnlich wie im Kino, mittels 3D-Brille Teil des Geschehens werden. Um dies zu ermöglichen, kombiniert die Künstlerin Fiona Knecht Stereoskopie-Aufnahmen der Langstrasse mit eigenen Illustrationen und macht diese räumlich erlebbar.
Junges Flüchtlingspaar als Maria und Josef
Zwar fehlen Ochs und Esel wie in traditionellen Krippendarstellungen – doch dafür steht in der Bildmitte eben das junge Flüchtlingspaar alias Maria und Josef. Maria drückt den neugeborenen Gottessohn in eine Decke gehüllt fest an ihre Brust. Der junge Josef im Parka nimmt Mutter und Kind in seinen beschützenden Arm.
Dadurch dass das himmlische Baby eine spezielle Aura ausstrahlt, – vom Kind geht ein Leuchten in die Nacht, und über dem Kind strahlt ein helles Licht vom Himmel –, werden die Passanten erst aufmerksam auf den besonderen Augenblick.
White Christmas auf der Langstrasse
Gleichzeitig wirbeln Schneeflocken leise durch diese heilige Nacht in der Langstrasse und verleihen der ungewöhnlichen Szenerie einen romantischen Touch. Zahlreiche Tauben – Friedenstauben oder der multiplizierte Heilige Geist? – umflattern aufgeregt die weihnachtliche Idylle. Selbst eine langmähnige Prostituierte lässt für einen Augenblick ab von ihrem Gewerbe und schaut aus einem beleuchteten Fenster herab auf Maria und Josef mit dem Jesuskind. Echt rührend.
Die Künstlerin Fiona Knecht ist seit 2020 Lehrperson an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im Departement Design. Sie mag es «wunderlich und durchdacht, verspielt und konzeptionell, glamourös und auf den Punkt gebracht», wie auf der ZHdK-Webseite zu lesen ist.
«Augenschmeichler für Kirchen»
Um diese Gegensätze zu vereinen, führe die studierte Industriedesignerin seit 2016 das Modelabel Fiona-K, über das sie bis heute eigene Textil-Entwürfe und Printprodukte vertreibe. Ein Ladenlokal an der Hohlstrasse 7 in Zürich dient ihr als Verkaufs- und Produktionsfläche. «Sie entwirft Augenschmeichler für Kirchen, Künstler und Kulinarik.»
«Schade finde ich allerdings, dass niemand am Stand der katholischen Kirche steht.»
Weihnachtsmarktbesucherin auf dem Münsterhof
Und was sagen die wenigen Besucherinnen und Besucher auf dem Münsterhof Weihnachtsmarkt an diesem nassgrauen Dienstagmorgen zu dieser modernen Krippen-Kulisse? «Mir gefällt das Bild ganz gut wegen des dreidimensionalen Effekts», meint eine junge Frau gegenüber kath.ch. Sie habe mit der Kirche eigentlich wenig am Hut. Sie feiere Weihnachten zuhause im familiären Kreis. «Schade finde ich allerdings, dass niemand am Stand der katholischen Kirche steht, mit dem man ein wenig über das Bild und über Weihnachten sprechen könnte.»
Hier geht es zur › Bestellung einzelner Beiträge von kath.ch.
