Claus Noppeney
Schweiz

Claus Noppeney zu «Laudate Deum»: Klimakrise rüttelt am Fundament der Moderne

Papst Franziskus hat mit «Laudate Deum» ein neues Apostolisches Schreiben über die Klimakrise verfasst. Der Ökonom und Klimaaktivist Claus Noppeney sieht viele gute Ansätze. Franziskus blicke aber «ein wenig von aussen auf die Klimakrise und übersieht, wie die Kirche den fossilen Alltag als eine traditionelle Säule der Gesellschaft auch mitträgt», kritisiert er.

Papst Franziskus hat ein neues Apostolischen Schreiben «Laudate Deum» herausgeben. Wie gefällt es Ihnen, Herr Noppeney?

Claus Noppeney*: Schonungslos zeigt Papst Franziskus auf, dass die gängigen Lösungsstrategien am Kern der Klimakatastrophe vorbeigehen: Wer glaubt, wir könnten auf die technische Lösung für jedes neue Umweltproblem warten, setzt auf einen verhängnisvollen «Schneeballeffekt», der schnell zu einer Lawine wird.

Franziskus als Streetart
Franziskus als Streetart

Papst Franziskus nimmt auch die internationale Klimapolitik und einen ökonomischen Ansatz in Blick.

Noppeney: Ja, er benennt ebenso die vielen Rückschläge in der internationalen Klimapolitik: Wie sehen Rio, Kopenhagen, Kyoto, Paris, Sharm El Sheikh und so weiter im Rückspiegel aus? Es bestehe die Gefahr, dass Klimapolitik im Rückblick nur als ein «Ablenkungsmanöver» erscheine. Schliesslich der ökonomische Ansatz, der auf «grenzenloses Wachstum» setzt und die gesamte Umwelt zu einem «Objekt der Ausbeutung, der ungezügelten Nutzung und unbegrenzter Ambitionen» herabsetzt. Oder kurz: Technische, politische und ökonomische Strategien reichen nicht aus. Die Klimakrise geht tiefer und rüttelt an den Fundamenten der Moderne.

«Franziskus stellt sich auf die Seite der Schwachen.»

Welche Aspekte sind Ihrer Meinung nach zu Recht von Papst Franziskus in den Vordergrund gestellt worden?

Noppeney: Franziskus stellt sich auf die Seite der Schwachen und erinnert daran, dass die Auswirkungen des Klimawandels – der Verlust der Lebensgrundlagen, Krankheiten, Hunger und auch der Tod – vor allem zu Lasten der am meisten gefährdeten Menschen gehen: «sei es im eigenen Land oder auf der ganzen Welt».

Treibstoff
Treibstoff

Sehr wenige Reiche sind für eine grosse Zerstörung verantwortlich, während die ärmsten Menschen der Welt nur einen winzigen Bruchteil des Treibhauseffekts verursacht haben. Diese Klarheit des apostolischen Schreibens erinnert mich an eine prophetische Klage.

«Der Wahnsinn geht also auch in westlichen – und damit christlich geprägten Ländern – ungebrochen weiter.»

Was fehlt Ihnen?

Noppeney: Franziskus erwähnt namentlich nur die Vereinigten Arabischen Emirate und ihre Ambition, neue Öl- und Gasquellen zu erschliessen. Doch auch westliche Länder bieten weiterhin ähnliches Anschauungsmaterial: Anfang des Jahres rollten Bagger nach Lützerath, damit mehr Kohle verbrannt werden kann.

Aktivistinnen und Aktivisten von Renovate Switzerland bei einer Aktion in Bern.
Aktivistinnen und Aktivisten von Renovate Switzerland bei einer Aktion in Bern.

Erst vor einigen Wochen gewährte der britische Premierminister über 100 neue Lizenzen für Nordseeöl. Und auch in Norwegen wurden in diesem Jahr neue Ölexplorationen gestartet. Der Wahnsinn geht also auch in westlichen – und damit christlich geprägten Ländern – ungebrochen weiter.

Was übersieht Papst Franziskus?

Noppeney: Franziskus scheint gleichsam ein wenig von aussen auf die Klimakrise zu blicken und übersieht, wie die Kirche – zumindest in westlichen Ländern – den fossilen Alltag als eine traditionelle Säule der Gesellschaft auch mitträgt.

«Franziskus anerkennt, dass «radikalisierte» Gruppen eine Lücke in der Gesellschaft füllen und einen gesunden Druck ausüben.»

Franziskus spricht auch «radikalisierte» Gruppen an. Was denken Sie darüber?

Noppeney: Franziskus anerkennt, dass «radikalisierte» Gruppen eine Lücke in der Gesellschaft füllen und einen gesunden Druck ausüben.

Aktion in Bern: Klima-Aktivistinnen und -Aktivsten werben auf der Strasse für ihr Anliegen.
Aktion in Bern: Klima-Aktivistinnen und -Aktivsten werben auf der Strasse für ihr Anliegen.

Menschen, die sich auf dieser Linie gewaltfrei bei der «Letzten Generation» in Deutschland oder «Renovate Switzerland» in der Schweiz engagieren, werden in der Öffentlichkeit aus unterschiedlichen Richtungen massiv angefeindet, manchmal willkürlich inhaftiert, von Gerichten bestraft oder körperlich angegriffen. Da bin ich dankbar für die Wertschätzung, die Papst Franziskus zum Ausdruck bringt.

Was erhoffen Sie sich?

Noppeney: Franz von Assisi, auf den sich Papst Franziskus wiederum bezieht, verstand sich als Gaukler. Ja, die suspekte Radikalität des Narren zieht sich durch die Geschichte des Christentums. So erhoffe ich, dass Franziskus mehr Menschen – auch Ordensleute, Priester, Seelsorgende, Gläubige – ermutigt gewaltfrei Druck auszuüben und auf den Spuren von Franz von Assisi die Grenzen gesellschaftlicher Konventionen zu überschreiten.

*Der Ökonom Claus Noppeney (55) lehrt am «Institut Innovation and Entrepreneurship» der Berner Fachhochschule und engagiert sich privat bei «Renovate Switzerland».

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Im Wortlaut: «Laudate Deum» (pdf)


Claus Noppeney | © zVg
6. Oktober 2023 | 17:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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