Treibende Kraft internationaler Vernetzung katholischer Frauen: Chantal Götz.
Kommentar

Chantal Götz kritisiert «ko-klerikales Verhalten und Komplizenschaft»

«Frauenrechte sind Menschenrechte», sagt die Liechtensteinerin Chantal Götz zum Weltfrauentag. Sie kritisiert: Der Missbrauch von Frauen durch Kleriker werde zu wenig thematisiert. Ein Gastkommentar.

Chantal Götz*

Seit Jahren mehren sich Berichte über den Missbrauch von Ordensfrauen – doch der grosse Aufschrei bleibt aus. Das hat verschiedene Gründe. Der Missbrauch von Ordensfrauen ist ein Thema, das anscheinend immer noch diskret behandelt werden muss – Transparenz wird weder gefördert noch erwünscht!

Das Thema ist innerkirchlich unsichtbar

Das Thema Missbrauch löst bei vielen Ordensfrauen tiefe Ängste aus, in Gesprächen entstehen Spannungen und auch oder gerade Ordensfrauen versuchen das Thema innerkirchlich unsichtbar zu machen. Die Schwestern wollen das Unaussprechliche nur in einem geschützten Raum aussprechen. Dieser Raum wird aber nur innerhalb des institutionellen oder klösterlichen Systems verstanden.

Auch taucht die Idee der Mission immer wieder auf und rechtfertigt «die guten Taten» der Ordensfrauen in der Welt, aber die «schlechten Taten» innerhalb der institutionellen Kirche sollen verborgen bleiben. Der enge Kontakt zu katholischen Autoritäten scheint erwünscht und wichtig zu sein, oder anders gesagt: Es bleibt der Nachgeschmack, dass die Deutungshoheit bei der Institution bleiben muss und um Gotteswillen nicht bei irgendwelchen wilden Aktivistinnen. Heute gibt es dafür Ausdrücke: Wir nennen es ko-klerikales Verhalten oder auch Komplizenschaft!

«Overcoming Silence»

Aber es gibt auch die andere Seite! Überall fangen katholische Frauen und Ordensfrauen an, ihre Stimme zu erheben und lassen sich nicht mehr unterjochen. Die Frauen in der Kirche wissen, dass sie Vorreiterinnen sein müssen, wenn es darum geht, alle Formen des Missbrauchs in dieser Institution anzuprangern. Der vorherrschende Kodex des Vertuschens schafft nur Komplizenschaft und vertuscht die Verbrechen des Missbrauchs und seiner Täter.

Die Kampagne «Overcoming Silence» hat ihre Wirkung gezeigt. Anfang 2019 erkannte Papst Franziskus den Missbrauch von Frauen erstmals in der Kirchengeschichte an.

Wir müssen praktische Hilfe anbieten

Am Internationalen Frauentag 2021 haben wir die Kampagne gestartet: «Sister, what do you say?», um das weibliche Ordensleben zu feiern und Ordensfrauen zu ermutigen, ihre Lebenserfahrungen und Kämpfe innerhalb der kirchlichen Strukturen zu teilen.

Durch die Erfahrungen dieser geweihten Frauen wurde uns klar, dass wir praktische Hilfe anbieten müssen, um weiteren Missbrauch jeglicher Art zu verhindern. Zu oft werden die Arbeit und das Leben von Ordensschwestern durch stagnierende kirchliche Strukturen und Bräuche behindert, die es ihnen nicht erlauben, ihr Charisma voll zu entfalten.

Frauen über ihre Rechte aufklären

Wir haben eine Videoserie gestartet, die dazu beitragen soll, gefährdete Schwestern über Situationen und Faktoren aufzuklären, die zu verschiedenen Formen von Missbrauch führen können. Ziel ist es, katholische Frauen im Ordensleben über ihre Rechte aufzuklären und ihnen zu zeigen, wie sie sich vor Missbrauch schützen und eine Reihe spezifischer Risiken vermeiden können, denen sie als Nonnen ausgesetzt sind.

Frauenrechte sind Menschenrechte, heisst es so schön. Trotzdem werden die Rechte der Frauen in der römisch-katholischen Kirche zurückgestellt und ignoriert. «Warum ist es so selbstverständlich, dass Frauen weniger verdienen als Männer? Nein! Sie haben die gleichen Rechte», sagte Papst Franziskus 2015 in einer Rede und nannte die Praxis einen «reinen Skandal».

Schöne Worte, aber immer noch keine Taten!

In «Fratelli Tutti», der letzten päpstlichen Enzyklika, schrieb Franziskus, dass «die Organisation der Gesellschaften weltweit noch weit davon entfernt ist, klar widerzuspiegeln, dass Frauen die gleiche Würde und die gleichen Rechte besitzen wie Männer. Wir sagen das eine mit Worten, aber unsere Entscheidungen und die Realität erzählen eine andere Geschichte.»

Ja, lieber Franziskus. So ist es. Schöne Worte, aber immer noch keine Taten! Somit bleibt meine Frage an die männliche Kirchenführung: Inwiefern macht die Kirchenführung sich mitschuldig, als sie die Ungerechtigkeiten gegen Frauen nicht anprangert, sondern sie sogar mitverursacht? Tragen diese Männer eine gewisse Mit-Verantwortung, wenn es bald keine Kirche mehr gibt? 

Nichts für schwache Nerven

Auf der Website von «Voices of Faith» zitieren wir den kanadischen Autor Malcolm Gladwell: «Aktivismus, der den Status quo in Frage stellt, der tief verwurzelte Probleme angreift, ist nichts für schwache Nerven.»

Was ich in den letzten Jahren erlebt habe, bestätigt die Worte von Mary Johnson, ehemalige Ordensfrau der Mutter-Teresa-Kongregation: «Ich würde Gladwells Worte abändern: Aktivismus, der die Kirche herausfordert, der tief verwurzelte Probleme angreift, die seit Jahrhunderten bestehen und durch die Tradition geheiligt sind, ist nichts für schwache Nerven.»

Ich könnte sogar noch weitergehen: «Aktivismus, der einen Missbraucher herausfordert, an den man sein eigenes Schicksal gebunden hat, ist nichts für schwache Nerven.»

* Die Liechtensteinerin Chantal Götz hat die Initiative «Voices of Faith» gegründet. Laut Website geht es «Voices of Faith» darum, «katholische Frauen in Entscheidungspositionen auf lokaler und globaler Ebene der katholischen Kirche zu bringen». Die Initiative konzentriere sich «nicht nur auf die aktuellen und extrem patriarchalischen Strukturen dieser Kirche. Wir denken und schaffen auch völlig neue und innovative Wege, wie Frauen jetzt einbezogen werden können und müssen – ohne um Erlaubnis zu bitten.»


Treibende Kraft internationaler Vernetzung katholischer Frauen: Chantal Götz. | © zVg
8. März 2022 | 07:52
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