Der künftige Standort des neuen Caritas-Marktes an der Bahnhofstrasse in Rapperswil.
Konstruktiv

Caritas-Markt in Rapperswil: Günstig einkaufen an teurer Lage

Rapperswil erhält einen Caritas-Markt. Bedürftige Menschen können bald neben dem Bahnhof einkaufen. Caritas St. Gallen-Appenzell hat es geschafft, eine günstige Ladenfläche an teurer Lage aufzutreiben. «Den Caritas-Markt bräuchte es im Einzugsgebiet von Rapperswil seit langem», sagt Geschäftsführer Philipp Holderegger.

Barbara Ludwig

Caritas St. Gallen-Appenzell führt bereits zwei Caritas-Märkte, in St. Gallen und Wil. Warum braucht es neu einen in Rapperswil?

Philipp Holderegger*: Ein Caritas-Markt muss wie eine Spar- oder eine Denner-Filiale einen gewissen Umsatz erwirtschaften. Dafür braucht es ein Zentrum mit einem genügend grossen Einzugsgebiet. Im Kanton St. Gallen haben St. Gallen, Wil und eben Rapperswil die nötige Zentrumsgrösse, ohne die ein Ladengeschäft nicht funktionieren kann. Bei Rorschach, das ebenfalls Zentrumsfunktion hat, wäre diese Voraussetzung auch gegeben.

Aber es muss doch auch genügend arme Menschen in einer Region geben, die als Kundinnen und Kunden in Frage kommen.

Holderegger: Vom Bedarf her bräuchte es den Caritas-Markt im Einzugsgebiet von Rapperswil seit langem. Auch hier leben Armutsbetroffene oder von Armut gefährdete Menschen. Das zeigen statistische Daten, zum Beispiel die Sozialhilfequote. Wir haben jedoch erst jetzt die Möglichkeit gefunden, einen Caritas-Markt zu realisieren. Es war ein längerer Prozess.

Philipp Holderegger, Geschäftsleiter Caritas St. Gallen-Appenzell.
Philipp Holderegger, Geschäftsleiter Caritas St. Gallen-Appenzell.

Worin wird sich der neue Laden von den bereits bestehenden im Kanton SG unterscheiden?

Holderegger: Das Produkte-Sortiment ist bei allen Caritas-Märkten sehr ähnlich. Es wird vorgegeben von der Caritas-Markt-Genossenschaft in Sempach. Die Genossenschaft macht den Einkauf für uns und fungiert als Verteilzentrale für sämtliche Caritas-Märkte in der Schweiz. Dennoch wird sich der Laden in Rapperswil von den beiden anderen im Kanton unterscheiden. St. Gallen und Wil sind ausschliesslich Freiwilligen-Projekte. Eine Festangestellte und 50 bis 60 Freiwillige führen jeweils den Laden.

«Das Café soll ein Ort für alle sein – also auch für Sie und mich.»

In Rapperswil werden etwas weniger Freiwillige im Caritas-Markt eingesetzt werden. Grund dafür ist eine Kooperation mit Teen Challenge Schweiz. Diese Institution betreibt Heime und Werkstätten für psychisch angeschlagene Menschen, die sie bei der beruflichen Integration unterstützt. Neben unserem Markt wird sie einen Laden für Second-Hand-Kleider einrichten. Caritas stellt der Organisation einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Die Person, die dort ein Arbeitstraining absolviert, wird von Teen Challenge betreut.

Neben dem Laden ist auch ein Café geplant. Warum?

Holderegger: In den Läden dürfen ja nur bedürftige Menschen einkaufen. Das Café hingegen soll ein Ort der Begegnung sein. Ein Ort für alle – also auch für Sie und mich. Dort gibt es deshalb zwei unterschiedliche Preise für ein und dasselbe Produkt. Mit dem Café wollen wir Armutsbetroffenen ermöglichen, wieder Teil der Gesellschaft zu werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass man sich mit Freunden oder Bekannten zum Kaffee treffen kann. Menschen, die von neun Franken pro Tag leben müssen, können sich einen Kaffee für fünf Franken sonst schlicht nicht leisten.

Wie viel kostet der Kaffee für die Armutsbetroffenen und wie viel für die anderen?

Holderegger: Einen Franken fünfzig. Für die anderen kostet er gleich viel wie im Lokal nebenan. Wir haben nicht vor, mit unseren Strukturen die normalen Gastwirte aus dem Markt zu drängen.

«Wir konnten auf ein Netz von Freiwilligen zurückgreifen.»

Besuchen wirklich auch Menschen, die nicht im Caritas-Markt einkaufen, ein solches Café?

Holderegger: Ja, das beobachten wir in Wil und St. Gallen. Ob es in Rapperswil funktioniert, werden wir sehen. Es ist ein Risiko. Gerade beim Café braucht man einen langen Atem: Unsere Zielgruppe muss erst wieder lernen, ins Café zu gehen. Und noch länger dauert es, bis der Elektriker Müller und die pensionierte und wohlhabende Frau Meier auf das Café beim Caritas-Markt aufmerksam werden.

In diesem Einkaufszentrum entsteht der neue Caritas-Markt Rapperswil.
In diesem Einkaufszentrum entsteht der neue Caritas-Markt Rapperswil.

Sie haben vorher die Freiwilligen angesprochen. Wie viele werden in Rapperswil mitarbeiten?

Holderegger: Das Ziel ist, dass am Vormittag drei Freiwillige präsent sind und am Nachmittag zwei. Bislang haben wir knapp 30 Personen rekrutiert. Dabei konnten wir auf ein Freiwilligennetz zurückgreifen, zum dem uns insbesondere die katholische Kirche Zugang verschaffte. Unter den  Freiwilligen finden sich viele pensionierte Frauen. Bodenständige Persönlichkeiten mit Elan, die Freude haben, etwas anzupacken. Die Arbeit im Laden kommt erstaunlich gut an. Die Leitung des Ladens wird von zwei Festangestellten übernommen.

«Wir geben uns grosse Mühe, die Leute als Kunden zu behandeln.»

Welche Philosophie steht hinter den Caritas-Märkten?

Holderegger: Caritas-Märkte sind toll. Aber sie bieten kein Shopping-Erlebnis. Es sind in erster Linie sehr preisgünstige Läden, in denen man so billig wie möglich einkaufen möchte. Wer bei uns einkauft, tut dies nicht freiwillig, sondern weil er arm ist.

Wir geben uns grosse Mühe, die Leute als Kunden zu behandeln, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie sollen sich nicht in der klassischen Haltung des Almosenempfängers wiederfinden. Das ist eine grosse Herausforderung für unsere Mitarbeitenden.

Philipp Holderegger, Geschäftsleiter Caritas St. Gallen-Appenzell, über die Philosophie der Caritas-Märkte: "Die Kundinnen und Kunden sollen sich nicht in der klassischen Haltung des Almosenempfängers wiederfinden."
Philipp Holderegger, Geschäftsleiter Caritas St. Gallen-Appenzell, über die Philosophie der Caritas-Märkte: "Die Kundinnen und Kunden sollen sich nicht in der klassischen Haltung des Almosenempfängers wiederfinden."

Wie gelingt es Ihnen, das umzusetzen?

Holderegger:  Das Thema beschäftigt uns ständig. Wir üben diese Haltung mit den Mitarbeitenden ein. Auch als Caritas müssen wir uns immer wieder damit auseinandersetzen. Unser Credo soll zudem im Sortiment der Caritas-Märkte zum Ausdruck kommen: So verkaufen wir vier oder fünf Sorten Pasta, drei Sorten Linsen. Wir bieten nicht nur verschiedene Gemüsesorten an, sondern auch Schokolade. Bei uns bekommt man sogar Kerzen und Parfums. Die Menschen sollen eine Wahl treffen können – als Kundinnen und Kunden entscheiden können, was sie kaufen wollen.

«Rapperswil ist brutal teuer.»

Welches waren die Herausforderungen bei der Gründung des Ladens?

Holderegger: Einerseits mussten wir uns zuerst mit den Kirchen vor Ort einigen. Andererseits war die Suche nach einer geeigneten Liegenschaft in Rapperswil richtig, richtig schwierig.

Inwiefern?

Holderegger: Rapperswil ist brutal teuer. Die Quadratmeterpreise für Ladenflächen sind etwa doppelt so teuer wie in St. Gallen Stadt. Etwa 200 Franken pro Quadratmeter. Unbezahlbar! Wir haben schliesslich ein Ladenlokal zu einem sehr günstigen Preis gefunden, weil das Einkaufszentrum in frühestens vier Jahren saniert wird. Die Miete beträgt unter 100 Franken pro Quadratmeter.

Eine weitere Herausforderung ist die Frage der finanziellen Unterstützung durch andere Institutionen und die öffentliche Hand. Die Freikirche Prisma hat uns bereits einen Beitrag zugesichert. Wir haben positive Signale der katholischen Kirche vor Ort. Und die Stadt Rapperswil hat zugesagt, sie nehme unser Gesuch in den Budgetprozess.

Noch ist die Ladenfläche geschlossen.
Noch ist die Ladenfläche geschlossen.

Was passiert, wenn die Gelder nicht gesprochen werden?

Holderegger: Der Caritas-Markt wird auf jeden Fall am 2. November eröffnet. Das Risiko trägt Caritas St. Gallen-Appenzell. Wir haben genügend Mittel, um den Laden vier Jahre lang betreiben zu können.

«Die Kirchen sind für uns viel mehr als einfach nur Geldgeber.»

Sie haben vorhin erwähnt, Caritas habe sich mit den Kirchen vor Ort einigen müssen. Heisst das, die Kirchen sind nicht nur als Geldgeber involviert?

Holderegger: Die Kirchen sind für uns viel mehr als einfach nur Geldgeber: Sie haben uns bei der Konzipierung des Projektes, bei der Einschätzung der sozialen Situation vor Ort, bei der Suche nach der Ladenfläche, bei der Rekrutierung der Freiwilligen und beim Zugang zur Stadt unterstützt. Wir hoffen, auch weiterhin auf ihre Unterstützung zählen zu dürfen. Ein solcher Laden ist ein laufendes Projekt, mit der Eröffnung ist es nicht einfach abgeschlossen.

Die reformierte Kirche macht offenbar nicht mit.

Holderegger: Die reformierte Kirche von Rapperswil-Jona hat sich zunächst am Projekt beteiligt und später zurückgezogen.

Warum?

Holderegger: Ich weiss es nicht und möchte darüber auch nicht spekulieren. Aber ich finde es wirklich schade, dass die Reformierten sich nicht beteiligen. Natürlich würden wir uns freuen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt mitmachen würden.

*Philipp Holderegger (52) ist Geschäftsleiter von Caritas St. Gallen-Appenzell. Der gelernte Elektriker und studierte Hochspannungstechniker arbeitet seit neun Jahren beim katholischen Hilfswerk. Zuvor war er Geschäftsleiter bei Schindler Aufzüge AG St. Gallen. (bal)

Eröffnung mit Bischof Markus Büchel

Der Caritas-Markt in Rapperswil wird am Mittwoch, 2. November, eröffnet. Um 10 Uhr findet zunächst ein Anlass mit Vertreterinnen und Vertretern des Bistums, der Stadt Rapperswil und der Caritas statt. Mit dabei sind der St. Galler Bischof Markus Büchel und der neue Kanzler des Bistums, Thomas Englberger. Um 12 Uhr öffnet der Laden seine Tore für die Kundschaft. Der neue Caritas-Markt ist im Einkaufszentrum an der Bahnhofstrasse 19 in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof eingemietet. Auf der 500 Quadratmeter grossen Ladenfläche entstehen nebst dem Caritas-Markt ein Geschäft mit Second-Hand-Kleidern und ein Café. Im Caritas-Markt dürfen nur bedürftige Menschen einkaufen, die über die von der Caritas herausgegebene Kulturlegi verfügen. Der Kleiderladen und das Café sind für alle da. (bal)


Der künftige Standort des neuen Caritas-Marktes an der Bahnhofstrasse in Rapperswil. | © Barbara Ludwig
12. Oktober 2022 | 05:00
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