Bundespräsident Ignazio Cassis (Mitte) mit Ständeratspräsident Thomas Hefti (links) und Nationalratspräsidentin Irène Kälin.
Vatikan

Bundespräsident Ignazio Cassis: Die katholische Kirche ist mein Wertekompass

Krieg in der Ukraine, die Schweizergarde – und der neue Bischof von Chur, Joseph Bonnemain: Bundespräsident Ignazio Cassis und Papst Franziskus hatten viel Gesprächsstoff. Künftig hat die Schweiz eine eigene Botschaft am Heiligen Stuhl – direkt neben Senegal.

Roland Juchem und Raphael Rauch

Der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis ist am Freitag von Papst Franziskus empfangen worden. Bei der 30-minütigen Begegnung sei es vor allem um den Ukraine-Krieg und die Krise multilateraler Beziehungen gegangen, sagte Cassis anschliessend vor Journalistinnen und Journalisten. 

Frieden, Konfliktlösung und Multilateralismus

Auch habe er mit Franziskus über den Neubau der Schweizergarde-Kaserne, die neue Botschaft in Rom und das im November geschlossene Kooperationsabkommen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl gesprochen.

Bundespräsident Ignazio Cassis im Mai 2022 in Rom.
Bundespräsident Ignazio Cassis im Mai 2022 in Rom.

Das Engagement für Frieden, Konfliktlösung und Multilateralismus sei für die beiden neutralen Staaten ein zentrales Anliegen, sagte Cassis. Angesichts des Ukraine-Kriegs und seiner Folgen stehe die Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Schweiz vor einer grossen Herausforderung.

Menschenrechte stärken

Letzten November hatten Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und Aussenminister Ignazio Cassis in Bern eine Kooperation unterzeichnet. Dabei sagte Cassis, es gehe darum, die Zusammenarbeit in den Bereichen Frieden und Menschenrechte, insbesondere die Rechte der religiösen Minderheiten in der Welt zu stärken.

Hier ist die Schweizer Botschaft am Heiligen Stuhl eingezogen: Bundespräsident Ignazio Cassis und Erzbischof Paul Gallagher.
Hier ist die Schweizer Botschaft am Heiligen Stuhl eingezogen: Bundespräsident Ignazio Cassis und Erzbischof Paul Gallagher.

Darüber, sowie über den Wiederaufbau der Ukraine, sprach Cassis laut eigener Aussage auch mit dem vatikanischen Aussenminister, Erzbischof Paul Gallagher. Dessen geplante Reise nach Kiew sei indes kein Thema gewesen.

Der Papst will nach Moskau reisen

Die von Franziskus geäusserte Absicht, nach Moskau reisen zu wollen, kommentierte Cassis nur indirekt. «Jede Bemühung, um einen Waffenstillstand zu erreichen, ist gut», sagte Cassis. Wie das im Einzelnen gehen könne, müsse jeder Akteur für sich selbst entscheiden.

In Fussweite zum Vatikan: Die Botschaft der Schweiz am Heiligen Stuhl.
In Fussweite zum Vatikan: Die Botschaft der Schweiz am Heiligen Stuhl.

Das für Herbst geplante Referendum im Kanton Luzern zur Mitfinanzierung der neuen Kaserne der Schweizergarde betrachtet Cassis als normalen demokratischen Vorgang. Den müsse man abwarten. Er hoffe, dass die Kritik an der Finanzierung nur von einer Minderheit geteilt werde. Er gehe davon aus, dass die Finanzierung insgesamt gesichert sei.

Schweizergarde Teil der Schweizer Identität

Der Neubau der Vatikan-Kaserne wird weitgehend von der Schweiz finanziert. Cassis verteidigte diese Entscheidung: «Die Schweizergarde ist eine Schweizer Institution, die im Dienste des Papstes ist. Sie gehört zu den Symbolen, die uns Identität stiften. Wir haben junge Schweizer, die hierher kommen, dem Papst dienen – und dann zurückkommen in die Schweiz und für den Bund tätig sind, international für die Diplomatie.» 

Schweizergardisten im Dienst
Schweizergardisten im Dienst

Die Schweiz tue alles, um das Fortbestehen der Garde zu ermöglichen, «weil das zu unserer Identität gehört. Wir Schweizer brauchen symbolische Elemente, die unsere vier unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zusammenhalten.» Die Schweizergarde sei eines dieser Symbole.

Gardistinnen waren kein Thema

Die Finanzierung der Schweizergarde sei keine religiöse Angelegenheit: «Es ist eine staatliche Angelegenheit, die mit Symbolik zu tun hat. Und das ist wichtig für die Schweiz.»

Korridor des geplanten Schweizergarde-Neubaus: Visualisierung des Architekturbüros Durisch + Nolli.
Korridor des geplanten Schweizergarde-Neubaus: Visualisierung des Architekturbüros Durisch + Nolli.

Der Neubau der Schweizergarde sieht die Möglichkeit vor, dass künftig auch Frauen hier wohnen können. Die Öffnung der Schweizergarde für Frauen sei in den Gesprächen kein Thema gewesen, sagte Cassis.

Neue Schweizer Botschaft am Heiligen Stuhl

Auf die Frage, welche Vorteile die Schweiz nun mit einem eigenen Botschafter am Heiligen Stuhl habe, sagte der Bundespräsident: «Dass man viel enger zusammenarbeiten kann, sich leichter versteht und dass man die Schweizer Gesuche direkt erledigen kann. Man muss nicht jedes Mal von Slowenien bis nach Rom fahren.» In den letzten Jahren hat die Schweiz von Ljubljana aus ihre Interessen am Heiligen Stuhl geltend gemacht. 

Das Botschaftsgebäude in Rom.
Das Botschaftsgebäude in Rom.

Künftig hat die Schweiz eine eigene Botschaft – 500 Meter vom Vatikan entfernt. In dem Gebäude ist auch die Vertretung Senegals am Heiligen Stuhl untergebracht. «Wir haben das Gebäude heute eingeweiht. Aber tatsächlich müssen erst noch Renovierungsarbeiten durchgeführt werden», sagte Cassis. Er rechne damit, dass die Botschaft im März 2023 bezugsfertig ist.

Keine «konfessionelle Schieflage»

Eine «konfessionelle Schieflage», wie sie von den Schweizer Reformierten befürchtet wurde, sieht der Schweizer Bundespräsident mit der Aufwertung der diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl nicht: «Wir haben die Eröffnung dieser Botschaft in vollem Einverständnis auch der evangelischen Gemeinschaft gemacht.»

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und Bundesrat Ignazio Cassis mit Vertreterinnen und Vertretern der Ökumene im November 2021.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und Bundesrat Ignazio Cassis mit Vertreterinnen und Vertretern der Ökumene im November 2021.

Rita Famos, die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, nehme an der Vereidigung teil. «Wir wollen den ökumenischen Dialog fördern durch die engeren Beziehungen zum Vatikan. Der Vatikan will auch den ökumenischen Dialog fördern.»

Lob für Bischof Joseph Bonnemain

Die Situation der katholischen Kirche in der Schweiz sei ebenfalls Thema gewesen, sagte Cassis. Der Papst sei mit dem neuen Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, «sehr zufrieden». In den letzten drei Jahrzehnten hatten die früheren Bischöfe Wolfgang Haas und Vitus Huonder zu schweren Zerwürfnissen im Bistum geführt und auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl belastet.

Felix Gmür, Joseph Maria Bonnemain, Markus Büchel
Felix Gmür, Joseph Maria Bonnemain, Markus Büchel

Eine problematische Rolle spielte in den letzten Jahren auch der ehemalige Nuntius in Bern, Erzbischof Thomas Gullickson. Seit einem Jahr vertritt Erzbischof Martin Krebs den Papst in der Schweiz. «Mein Feedback ist: Es läuft jetzt wirklich gut im Moment», sagte Cassis. «Und er (der Papst) war zufrieden.»

Und was bedeutet dem Bundespräsidenten die katholische Kirche ganz persönlich, möchte ein Journalist wissen. Ignazio Cassis antwortet: «Sie ist mein Wertekompass.»


Bundespräsident Ignazio Cassis (Mitte) mit Ständeratspräsident Thomas Hefti (links) und Nationalratspräsidentin Irène Kälin. | © Raphael Rauch
6. Mai 2022 | 14:54
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!