Bruder Magnus: Benediktiner und ehemaliger Werber.
Schweiz

«Bruder Magnus hat sich für Gott und die Menschen interessiert, nicht für Bischöfe und Päpste»

Die Benediktiner von Disentis trauern um ihren schillerndsten Mitbruder: Der Werbegrafiker Marcel Bosshard ist am Freitag im Alter von 81 Jahren gestorben. Sein Leben bestand lange Zeit aus Frauen, Glamour und grossen Marken wie die lila Milka-Kuh oder Meister Proper. Mit 48 Jahren wurde er Bruder Magnus.

Raphael Rauch

Wie war Bruder Magnus als Mensch?

Pater Pirmin Gnädiger*: Er war speziell. Wir Mönche sind ja alle speziell, aber er war ein besonderes Original. Er kam erst mit 48 Jahren zu uns ins Kloster. Davor hatte er ein aufregendes Jetset-Leben in der Werbebranche. Er war kein frömmelnder Mönch. Über sich selbst hat er einmal gesagt: «Ich habe eine Leidenschaft für Fragen nach Mystischem, nach Religiosität bis hin zur Hirnforschung.»

Pater Pirmin Gnädiger
Pater Pirmin Gnädiger

Wie kommt ein erfolgreicher Werber auf die Idee, ins Kloster einzutreten?

Gnädiger: Er hatte eine grosse Sehnsucht nach einem anderen Leben. Er war in New York unterwegs, als er zufällig an der St.-Patrick’s-Kathedrale vorbeilief und den Duft des Weihrauchs einatmete. Das war eine Art Erweckungserlebnis. Er fühlte sich an seine Internatszeit in Disentis erinnert, sagte alle Termine in New York ab und kam zu uns ins Kloster.

Der ehemalige Werber Bruder Magnus 2001 in der Filmprojektionskabine des Klosters Disentis.
Der ehemalige Werber Bruder Magnus 2001 in der Filmprojektionskabine des Klosters Disentis.

Die Werbebranche in den 1980er-Jahre bedeutete Rausch: Partys, Sex, Drogen. Wie war das Kontrastprogramm in Disentis?

Gnädiger: Natürlich ist das Leben in Disentis das Gegenteil von dem, was er in Paris, London und New York geführt hatte. Bruder Magnus war geschieden. Zunächst musste abgeklärt werden, ob das ein Hindernis sei. Doch es wurde klargestellt: Kein Problem, denn er hatte nie kirchlich geheiratet. Diese Doppelmoral der katholischen Kirche hat Bruder Magnus genervt. Aber in diesem Moment hat er davon profitiert und mit den Worten kommentiert: «Die spinnen doch! Als ob der liebe Gott da oben sich um den Zivilstand derer kümmert, die ihn suchen!»

Kloster Disentis
Kloster Disentis

Hat Bruder Magnus Ihre Mitbrüder nicht überfordert?

Gnädiger: Nein. Er war ja ein Suchender. Aber klar, er war ein ungeduldiger Mensch, der sich an unseren gemächlichen Trott im Kloster erst einmal gewöhnen musste. Seine Sicht von aussen auf unser Kloster hat uns gutgetan. 

Verantwortlich für das Kloster Disentis: Abt Vigeli Monn.
Verantwortlich für das Kloster Disentis: Abt Vigeli Monn.

Bruder Magnus wurde zunächst Kunstlehrer in Disentis. Er sprach von der «Schule des Sehens». Über seine Pädagogik sagte er: «Das Wertvollste, was man einem Schüler vermitteln kann, ist die Fähigkeit zu entscheiden – möglichst frei von allen Sirenen!» Was ist damit gemeint?

Gnädiger: Bruder Magnus hat sich für Gott und die Menschen interessiert, nicht für Bischöfe und Päpste. Wir Benediktiner sind keine Jesuiten – aber auch uns ist das kritische Denken, die Unterscheidung der Geister sehr wichtig. Bruder Magnus wollte junge Menschen dazu befähigen, eigenständige Persönlichkeiten zu werden. Das heisst aber nicht, dass er kein strenger Lehrer war. Als Kunstlehrer war er unnachgiebig. Er liess die Schüler so lange zeichnen, bis er zufrieden war.

Frisch renoviert: Die Orgel der Klosterkirche von Disentis aus dem Jahr 1934.
Frisch renoviert: Die Orgel der Klosterkirche von Disentis aus dem Jahr 1934.

Der Nachruf des Klosters deutet an, dass er ein sehr schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter hatte.

Gnädiger: Wie er sagte, war er ein unerwünschtes Kind – und seine Mutter habe ihn das spüren lassen. Er war froh, als sie ihn dann aufs Internat nach Disentis geschickt hat.

Sakrale Keramik aus Disentis
Sakrale Keramik aus Disentis

An welche Gespräche mit Bruder Magnus denken Sie gerne zurück?

Gnädiger: Wir haben viel diskutiert. Als Werber hatte er einen Blick dafür, was bei den Menschen ankommen soll. Ich habe ihm manchmal Artikel gebracht und ihn um Feedback gebeten. Er hat mich dann gefragt: Was willst du, dass bei den Leserinnen und Lesern ankommt? Welche Diskussion willst du auslösen? Wir haben öfters über Tiefsinniges miteinander gesprochen, vor allem über die Frage nach Gott und die Theologie. Bruder Magnus war kein Mann der frommen Sprüche. Ihm ging’s immer ums konkrete Leben.

* Pater Pirmin Gnädiger (79) ist Benediktiner in Disentis und war Rektor der dortigen Internatsschule. 


Bruder Magnus: Benediktiner und ehemaliger Werber. | © Keystone
28. November 2022 | 13:45
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