Das Werk von Reinhold Adt
Schweiz

Bruder Klaus – und die Leichtigkeit des Seins

Flüeli-Ranft, 6.8.17 (kath.ch) Kunstschaffende aus Deutschland und der Schweiz arbeiteten sich eine Woche lang an den religiösen Schwergewichten Bruder Klaus und Martin Luther ab. Nach einem heftigen Unwetter fanden die Künstler Zuflucht im Stall von Bauer Klaus, wo sie am Freitag ihre Werke zeigten. Neben Sturm und Drama sorgte ein irritierend witziges Kunstwerk für unerwartete Leichtigkeit.

Remo Wiegand

Freitagabend, Busfahrt nach Flüeli-Ranft. Das Postauto verlässt Sachseln, linkerhand kommt die St. Katharina-Kapelle in den Blick. Der Obstbaum davor ist umgeknickt, die Baumkrone weist nun genau in Richtung des Kapellen-Portals. Es sieht so aus, als ob sich der Baum vor der Kirche, die Schöpfung vor dem Schöpfer verbeugt. Das Bild, denkt man, könnte einer Vision von Bruder Klaus entstammen: Es passt zu seiner Hingabe, seiner mystischen Tiefe, die krakeligen Äste des Birnbaums erinnern an die geläufigen Darstellungen von Bruder Klaus als ebenso erleuchteten wie abgemagerten Schmerzensmann.

Gezeichneter Nationalheiliger

Ein paar Schritte vom Dorfzentrum entfernt grüssen den Betrachter die ersten offiziellen Kunstwerke. Schwere Holz- und Steinskulpturen in Kreuzesform gemahnen wieder an das gängige Bild des schwer gezeichneten Nationalheiligen. Dann, ein paar Schritte weiter, eine Überraschung: Auf dem Boden liegt ein Teppich aus natürlichen und künstlichen Materialien. Tannenzapfen, Stroh, Nüsse Äpfel, aber auch Bierdeckel und ein ausgedientes Fahrzeugteil der Schweizer Armee bilden ein geordnetes Ganzes, das provozierend leichtfüssig daherkommt.

«In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken.»

In den Ecken des Bodenlegebilds steht in Schnörkelschrift eine nur schwer entzifferbare Botschaft. Künstler Reinhold Adt liefert die Übersetzung: «In allen | vier Ecken | soll Liebe | drin stecken». Der Satz, so Adts Erläuterung, sei ein beliebter Spruch aus Poesie-Alben, die früher zwischen Schulfreundinnen und -freunden kursierten. Kichernde Teenie-Leichtigkeit im Reich kirchlicher Schwergewichte – wie geht das zusammen?

Wie im Pfadilager

19 Künstler und Künstlerinnen der christlichen Künstlergruppe «Das Rad» präsentierten am Freitag in Flüeli-Ranft Werke, die im Rahmen eines einwöchigen Kunst-Symposiums entstanden waren. Die Kreativen aus Deutschland und der Schweiz hatten hier eine Art «Kunst-Pfadilager» durchlebt: Gemeinschaft, spielerisches Tun, Musik, intensive Gespräche am Lagerfeuer – schliesslich aber auch das unvermeidliche Unwetter: Am Abend des 1. August wurde das Zelt weggeweht, das als Arbeits- und Ausstellungsstandort vorgesehen war. Kunstwerke wurden verwässert oder vernichtet. Umgeknickte Bäume zeugten von der Wucht des Unwetters, das die Region erfasst hatte.

Bauer Klaus | © Remo Wiegand

In der Not half ein Bauer, der neckischerweise auf den Namen Klaus hört. Der urchige Mann, der vor zwei Jahren über «Bauer, ledig, sucht…» seine Frau gefunden hatte und so zu mittlerer Berühmtheit gelangt war, brachte die Künstler in seinem Stall ins Trockene. Hier konnten sie geschützt weiter malen, schnitzen und schleifen. Bauer Klaus konnte sich denn auch vor Dankeshymnen kaum erwehren an der Vernissage auf seinem Hof, zudem erhielt er ein Bild als Geschenk (die Darstellung eines umgeknickten Baumes).

Kunst mit Stallgeruch

Rund hundert Besucher und Gäste waren für die Vernissage nach Flüeli-Ranft gepilgert, darunter lokale Prominenz aus Politik (Franz Enderli, Regierungsrat), Kultur (Filmemacher Luke Gasser) und Kirche (Peter Spichtig, Leiter Liturgisches Institut). Die Mischung aus bäuerlicher Bodenständigkeit und den hohen Sphären der Kunst war bilderbuchreif: Neben Spinnennetzen und Spuren von Heu und Mist hingen Bilder in kräftigen Farben, inmitten von Stallgeruch floss der Weisswein und wurden Reden geschwungen.

«Weniger ist mehr»

Für Karl Imfeld, Bildhauer aus Lungern (OW) und Hauptorganisator des Kunst-Symposiums, war der Bauernhof ein passendes Ambiente: «Bruder Klaus hat ein Leben in Einfachheit und Reduktion geführt, uns ging es diese Woche ähnlich.» Das vertrauensvolle «Weniger-ist-Mehr» des Mystikers bleibe bis heute vorbildhaft. Zugleich seien auf dem Weg in die Tiefe immer wieder Stürme zu bewältigen, so Imfeld. Das gelte sowohl für grosse religiöse Gestalten wie für Künstler heutzutage. «Bruder Klaus und Martin Luther sind beide gegen den Strom geschwommen, um an die Quelle zu kommen.»

Luther fiel unter den Tisch

Entgegen dem Flyer der Veranstaltung, auf dem die Namen Niklaus von Flües und Martin Luthers elegant miteinander verwoben waren, spielte letzterer am Kunst-Symposium keine sichtbare Rolle. Bruder Klaus hatte Heimvorteil – und bot sich den mehrheitlich deutschen Künstlern als neuere Inspirationsquelle an als der leidlich bekannte Luther.

Die Resultate liessen sich sehen: Der Mainzer Künstler Harun Kloppe höhlte drei Schnitze eines Birkenstamms aus und bestrich sie mit den drei Flüssigkeiten aus Bruder Klaus› dramatischer Brunnenvision, mit Öl, Wein und Honig. Offensichtlichstes Resultat: Die Bienen stürzten sich auf den Honig. Unweit stand ein schwerer Natursteintisch des Thurgauer Bildhauers Daniel Isler. Darauf lag Geschiebe aus der Ranftschlucht, rechts ein dicker Brocken, links mit einigem Abstand elf kleinere und grössere Steine. Eine Familienaufstellung der Familie von Flüe, die, so der Künstler, trotz väterlichem Einsiedlertum verbunden blieb.

Das Werk von Harun Kloppe | © Remo Wiegand

Tiefe Heimatsehnsucht

Andere Künstlerinnen wie Anne Dubber hatten sich in ihrem Schaffen nicht bewusst vom grossen Vorbild leiten lassen. Die in Belgien wohnhafte deutsche Künstlerin wollte schlicht «total ehrlich» zum Ausdruck bringen, was in ihrem Innern vorgeht. Das Resultat: Kräftige, tiefe, eher dunkle Bilder, kontrastiert von feineren, netzartigen Strichen im Vordergrund. Ihre Bilder, so Dubber, seien das Resultat einer anstrengenden Arbeitswoche inmitten «gewaltiger Kräfte», zwischen schroffen Bergen, Sturm und Hitze.

Die Werke von Anne Dubber | © Remo Wiegand

Zugleich entdeckte Dubber in ihren Bildern ihre tiefe Sehnsucht nach Heimat wieder, die sie seit zig Wanderjahren begleitet: «Bei einem Bild», erzählte Dubber, «habe ich gewusst, dass noch etwas fehlte. Daraufhin malte ich gelbe Striche. Erst als ich das Bild umdrehte, bemerkte ich, dass ich ein Haus gezeichnet hatte.» Solche kleinen Wunder im Schaffensprozess gäben ihr die Gewissheit, dass ihre grosse Heimatsehnsucht keine Illusion, sondern anfangshaft, als «Heimat im Himmel», schon vorhanden sei.

Kollektives Aufschnaufen

Die Stimmung an der Vernissage schwankte zwischen andächtiger Ergriffenheit und fröhlicher Geselligkeit. Besonders die Künstler selbst waren mit Fortdauer des Abends aufgekratzt, sie schienen die Kehrseite jenes Lebens zu feiern, dessen Stürme und Dramen sie eine Woche lang überstanden und in ihre Kunstwerke gebannt hatten. Man meinte ein kollektives Aufschnaufen zu hören, sich nunmehr wieder vom fordernden Tiefgang des Asketen Bruder Klaus distanzieren und erholen zu können.

«Grosse Heilige waren humorvolle Menschen.»

Zum Abschied wartete ausgangs des Geländes noch einmal Reinhold Adt, lachend und feiernd wie seine Künstler-Kollegen. Doch im Unterschied zu den anderen lachte auch sein Kunstwerk, der verspielte Flickenteppich mit dem Poesiealbum-Spruch, deutlich mit. Und wie, Herr Adt, passte dieses Kunstwerk nun zu Bruder Klaus? «Ich glaube, dass grosse Heilige immer auch humorvolle Menschen waren», meinte Adt. «Ohne diese Vorstellung fällt mir der Zugang zu Bruder Klaus schwer.»

Schräger Gott?

Gute Kunst stellt Selbstverständlichkeiten infrage, weckt die eigene Phantasie. Auf dem Rückweg entsinnt man sich wieder der Katharinen-Kapelle mit dem umgeknickten Baum. Und man stellt sich vor, wie es wohl umgekehrt aussähe: Eine Kirche, die sich vor einem Baum verneigt, ein Gott, der sich vor seiner Schöpfung krümmt vor Lachen. Ganz schön schräg, ganz schön befreiend.

Das Werk von Reinhold Adt | © Remo Wiegand
6. August 2017 | 15:36
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