Wunsch zum synodalen Prozess: Synodeneröffnung mit Jugendlichen in Einsiedeln im Oktober 2021.
Schweiz

Bistum Chur: die Basis trägt, aber es herrschen Verständigungsschwierigkeiten

Das Forschungsinstitut Gfs Bern hat die Ergebnisse aus den Befragungen im Bistum Chur veröffentlicht. Das Forschungsteam stellt einige Besonderheiten im Unterschied zu den Aussagen der Dialoggruppen im Bistum Basel fest.

Eva Meienberg

Der Bericht des Forschungsinstituts Gfs Bern basiert auf den Antworten aus 216 Dialoggruppen, die am synodalen Prozess im Bistum Chur teilgenommen haben. 1472 Einzelpersonen, etwas mehr Frauen als Männer, haben mit ihren Beiträgen zu einer synodalen Kirche beigetragen.

Aufgefallen ist den Autoren des Berichts, dass «der Stellenwert des Austausches mit Gott für die individuelle Entscheidungsfindung» im Bistum Chur besonders hoch sei im Vergleich zum Bistum Basel.

Eine offene und einladende Kirche

Die Dialogteilnehmenden wünschen sich eine Kirche, die sehr offen und einladend ist auch für «die Menschen, die Gott noch nicht gefunden haben», heisst es im Bericht. Denn die Dialoggruppen im Bistum Chur finden zwar die Taufe besonders wichtig. Anderseits machen sie die Zugehörigkeit zur Kirche nicht davon abhängig. Was zählt, ist lediglich das Gefühl der Zugehörigkeit. Ob jemand Kirchensteuern bezahlt, ist hingegen für die Dialogteilnehmenden nicht von Bedeutung.

Der Start des synodalen Prozesses in Einsiedeln.
Der Start des synodalen Prozesses in Einsiedeln.

Churer Herzblut

Eine weitere Churer Besonderheit ist das «Herzblut», das in das soziale Engagement und die individuelle Beteiligung in der Kirche fliesse. Die freiwillige Arbeit werde gerade auch von Frauen als «Identifikationsanker» und «Inspiration» erlebt und sei «Quelle der Freude und Zufriedenheit».

Wie in den Bistümern St. Gallen und Basel haben die Dialogteilnehmenden die Gelegenheit genützt, um «sehr konkrete Inputs, Forderungen und Wünsche» zu formulieren. Die Autoren der Studie leiten aus den Forderungen Spannungsfelder ab, die in den Augen der Gläubigen sehr relevant und dringlich seien. Zu den Spannungsfeldern gehören: «die Rolle der Frau in der Kirche», «der Umgang mit Minderheiten oder Lebensformen, die nicht einer traditionellen Vorstellung entsprechen (LGBTQI+, Geschiedene, Wiederverheiratete) und «die zeitgemässe Gestaltung von Riten und Feiern».

Widerspruch zur Doktrin

Zwischen der «katholischen Kirche als Institution» und «der Basis der Gläubigen» herrsche ein grosser Graben, steht im Bericht. So werde der Glaube an der Basis den heutigen Lebensrealitäten angepasst gelebt und stehe damit «immer wieder auch im Widerspruch zur Doktrin». Das bewirke Willkür und schaffe Verwirrung, wie einige Dialoggruppen zu bedenken geben. Die Ausrichtung der Kirche hänge dann von einzelnen Menschen ab, was sowohl positiv als auch negativ bewertet wurde.

Jugendliche diskutieren im Oktober 2021 über den synodalen Prozess in Einsiedeln.
Jugendliche diskutieren im Oktober 2021 über den synodalen Prozess in Einsiedeln.

Ebenfalls ambivalent beurteilten die Dialogteilnehmenden die Diversität in der katholischen Welt-Kirche. Sie sei «Chance und Problem» in Einem. Damit in Zusammenhang steht das Bedürfnis nach mehr Zusammenhalt in der Kirche und gleichzeitig aber auch nach individuellen Gestaltungsmöglichkeiten. Mehrere Dialoggruppen schlugen vor, von «den demokratischen Entscheidungsprozessen in der Schweiz zu lernen» und sich «stärker mit dem Thema Föderalismus auseinanderzusetzen».

Reformstau

Im Bistum Chur wird ein Reformstau diagnostiziert. Die Dialogteilnehmenden fühlten sich von der Kirche nicht ernst genommen und seien zunehmend entmutigt und resigniert. Und gleichzeitig gebe es «ganz klar auch Stimmen, die sich wieder eine stärkere Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen Wünschen», heisst es im Bericht.

Die Autoren des Berichts sehen es dezidiert nicht als ihre Aufgabe, zwischen organisatorischen, also verhandelbaren, und den Glauben betreffenden, also nicht verhandelbaren Belangen zu unterscheiden. «Das kann nur die Kirche als Glaubensträgerin selbst leisten», heisst es dazu im Bericht.

"Wir fühlen uns nicht gehört", steht auf einem Plakat zum synodalen Prozess des Bistums Chur in Einsiedeln.
"Wir fühlen uns nicht gehört", steht auf einem Plakat zum synodalen Prozess des Bistums Chur in Einsiedeln.

Die Sicht der Dialogteilnehmenden auf die Themen Dialog und Teilhabe könnten aber die Ansatzpunkte liefern, von denen aus man einen Reformprozess in Angriff nehmen kann. Eine «tragfähige Basis» ist gemäss den Autoren des Berichts gegeben. Denn für den Dialog in der Kirche brauche es eine Kommunikationskultur (Sprache, Glaubenshaltungen, Glaubensüberzeugungen), welche vorhanden sei.

Verständigungsschwierigkeiten

Hemmend wirkten sich jedoch die Verständigungsschwierigkeiten aus, etwa für Personen mit Beeinträchtigung oder anderen sprachlichen oder kulturellen Hintergründen oder für junge Menschen. Verursacht werden die Verständigungsschwierigkeiten aber auch durch Hierarchien, so der Bericht.

Der «Einbezug aller Beteiligten» wird sodann von den Dialogteilnehmenden als unzureichend beurteilt. Zwar gäbe es «Räume der Teilhabe» mit denen Gremien, Räte und Mitgestaltung der Gottesdienste gemeint sind. Nur seien diese Räume «spürbar entkoppelt von den Lebenswelten der offiziellen Kirche». Was zur Folge hat, dass sich die Lebensrealitäten der Basis mit der der Kirchenvertreter reibe, heisst es weiter.

Dialoge ohne Folgen

Die «grössten Baustellen» jedoch sehen die Dialogteilnehmenden in der «Relevanz der Teilhabe». Es hätten zwar Dialoge in der Kirche stattgefunden, diese seien aber folgenlos geblieben. Was zur Überzeugung führte, man werde nicht ernst genommen. Über Jahre hinweg habe dies zu Resignation geführt, heisst es im Bericht.

Die Autoren kommen zum Schluss, dass es für die Entwicklung der katholischen Kirche absolut zentral sei, «selber eine dezidierte Klarheit darüber zu haben, welche Teile organisationell und damit verhandelbar sind und welche Teile unverhandelbar und damit zu erklären sind».


Wunsch zum synodalen Prozess: Synodeneröffnung mit Jugendlichen in Einsiedeln im Oktober 2021. | © Christian Merz
1. Februar 2022 | 15:28
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