Bischof Markus Büchel
Story der Woche

Bischof Markus Büchel: Benedikt XVI. suchte die Einheit – und hat Fortschritt verhindert

Das Bistum St. Gallen hadert mit so manchem, was aus Rom kommt. Bischof Markus Büchel würdigt Joseph Ratzinger als grossen Theologen. Die Entscheidung, den Traditionalisten Vitus Huonder zum Bischof von Chur zu ernennen, kritisiert Büchel ebenso wie Benedikts Annäherung an die Piusbrüder.

Magdalena Thiele

Ist Papst Benedikt jetzt im Himmel?

Bischof Markus Büchel*: Natürlich ist er das. Sein Leben ist nicht ausgelöscht. Niemand weiss, wo der Himmel ist, aber ich glaube daran, dass der verstorbene Papst in Gott geborgen ist. Sein Glaube hat ihn sein ganzes Leben getragen. Ihm die Hoffnung geschenkt, dass das Leben sich nicht schon mit dem irdischen Weg erfüllt hat, sondern sich entfaltet in diese Geborgenheit Gottes hinein. Wie und wo und wann das ist, das geht über unser Begreifen hinaus.

Von Papst zu Papst: Franziskus trauert am 5. Januar um Benedikt XVI.
Von Papst zu Papst: Franziskus trauert am 5. Januar um Benedikt XVI.

Haben Sie das Requiem in Rom verfolgt? 

Büchel: Ich habe selbst ein Requiem gehalten hier in der Kathedrale. Anschliessend habe ich noch einen Teil der Übertragung aus Rom gesehen – etwa eine halbe Stunde. Die Schlichtheit der Feier hat mich beeindruckt. Ich glaube, es war so, wie Benedikt sich das vorgestellt hatte: Der schlichte Sarg war da, darauf das Evangelium. 

«Er hat in einer geistigen Welt gelebt und war geprägt als Wissenschaftler.»

Passt das zu Benedikts zurückhaltender Art?

Büchel: Ja, er war eigentlich eher ein zaghafter Mensch, hat fast eine gewisse Ängstlichkeit ausgestrahlt in der Begegnung. Er hat in einer geistigen Welt gelebt und war geprägt als Wissenschaftler. Er war sicher ein grosser Theologe in der Geschichte der Kirche. Wer sich mit den geistigen Strömungen des vergangenen und dieses Jahrhunderts beschäftigen will, muss sich mit Joseph Ratzinger auseinandersetzen.

Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI..
Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI..

Sie sind der erste Schweizer Bischof, der unter Benedikt XVI. sein Bischofsamt begonnen hat. Sie haben sich 2006 in Rom in Castel Gandolfo getroffen. Welche Erinnerung haben Sie an diese Begegnung?

Büchel: Joseph Ratzinger war natürlich schon während meines Studiums präsent durch seine Lehre. Das erste Mal bewusst getroffen – also nicht im Rahmen einer grösseren Veranstaltung – habe ich ihn dann in Castel Gandolfo, als er mich zum Bischof ernannte. Kurz danach hatte ich eine Privataudienz bei ihm. Das ist eine sehr schöne Erinnerung. Ich habe nicht in Rom studiert und mir war es ein wichtiges Anliegen, ihm zu sagen, dass ich dennoch mit Rom eng verbunden bin. Es war ein sehr gutes und offenes Gespräch. Ich habe ihm viel von der Praxis hier erzählt und er zeigte viel Verständnis für unsere Situation in der Schweiz.

Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.
Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.

Sie waren nicht immer einer Meinung mit Benedikt XVI. – insbesondere bei der Möglichkeit, Frauen zu weihen, oder in moraltheologischen Fragen – etwa der Haltung der Kirche zur Homosexualität. Haben Sie darüber mit ihm gesprochen?

Büchel: Natürlich haben wir darüber gesprochen. Ich vertrete die Meinung, dass die Kirche sich mit Fragen, die nun einmal im Raum stehen, auseinandersetzen muss. Dabei waren wir übrigens einer Meinung. Ansonsten mussten wir nicht zu einer gemeinsamen Antwort kommen. Es war mir wichtig, dass diese Fragen diskutiert werden – sie werden schon seit mehr als zwanzig Jahren immer wieder gestellt. Die Kirche ist dabei, diese Fragen zu klären, aber wahrscheinlich ist die Zeit noch nicht reif für eine abschliessende Antwort.

Requiem für Benedikt XVI.
Requiem für Benedikt XVI.

Haben Sie jemals einen Rüffel von Papst Benedikt bekommen?

Büchel: Nein, das bekäme man auch nicht direkt von Papst, sondern von einer vatikanischen Institution.

Ein Bild von Benedikt XVI. im Campo Santo.
Ein Bild von Benedikt XVI. im Campo Santo.

Gibt es etwas, mit dem Sie besonders gehadert haben während Benedikts Pontifikats?

Büchel: Er war natürlich als Papst ein anderer als zuvor als Professor. Sein Pontifikat begann auch in einer schwierigen Zeit, in der die Geschichte mit der Pius-Bruderschaft gerade hochkochte. Ich weiss, dass Papst Benedikt XVI. sehr unter dieser Spaltung gelitten hat. Er war stets um die Einheit der Kirche bemüht – und das habe ich sehr befürwortet. Aber er hat auch zum Wohle der Gemeinschaft Konzessionen gemacht, die nicht für alle verständlich waren. Er suchte die Einheit und hat damit auch Fortschritt verhindert. Seine Entscheidungen hat Papst Benedikt XVI. sicherlich mit grosser Sorge getroffen, aber wir hätten uns vieles anders vorstellen können.

Amedée Grab (links) und Vitus Huonder im Rittersaal des bischöflichen Schlosses in Chur.
Amedée Grab (links) und Vitus Huonder im Rittersaal des bischöflichen Schlosses in Chur.

Wie werten Sie Benedikts Entscheidung, Vitus Hounder zum Nachfolger von Amadée Grab als Bischof von Chur zu ernennen?

Büchel: Das war schwierig. Ich wurde bei Huonders Ernennung selbstverständlich nicht nach meiner Zustimmung gefragt – aber ich war voller Hoffnung, wie bei jedem, der etwas neu anfängt, dass es sich gut entwickeln wird. 

Letztendlich war es wahrscheinlich so, dass er sich zu stark in die Linie des damaligen Papstes eingefügt hat. Sicher in der Überzeugung, Papst Benedikt eine Hilfe dabei zu sein, die Einheit der Kirche zu erhalten. Das ist ihm nicht gelungen.

Bischof Markus Büchel am Requiem für Bischof Ivo Fürer.
Bischof Markus Büchel am Requiem für Bischof Ivo Fürer.

Wie war das Verhältnis von Benedikt XVI. zu Ihrem Vorgänger, Bischof Ivo Fürer?

Büchel: Die beiden haben sich gut gekannt. Bischof Fürer arbeitete als Generalsekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE mit Sitz in St. Gallen für ganz Europa, er hat Joseph Ratzinger oft getroffen in Rom. Ich bin aber überzeugt davon, dass Kardinal Joseph Ratzinger nicht der Wunschkandidat Fürers war für die Nachfolge von Johannes Paul II. Nach dessen langem Pontifikat haben sich viele Theologen und Seelsorger Gedanken darum gemacht, wie es weitergeht. Was für ein Profil der nächste Papst haben sollte und welche Schritte die Kirche in unserer Zeit tun muss. Im Umfeld des damaligen Bischofs von St. Gallen, Ivo Fürer, war Joseph Ratzinger generell nicht an erster Stelle unter den möglichen Kandidaten. 

Vitus Huonder, emeritierter Bischof von Chur, lebt mittlerweile bei den schismatischen Piusbrüdern.
Vitus Huonder, emeritierter Bischof von Chur, lebt mittlerweile bei den schismatischen Piusbrüdern.

Teilen Sie die Befürchtung des ehemaligen Papstes von Spaltungen der katholischen Kirche?

Büchel: Spaltungen hat es in der Kirchengeschichte immer wieder gegeben. Heute liegt die Spaltung eher darin, dass Menschen aus der Kirche austreten. Sich von ihr distanzieren. Das ist momentan die grösste Gefahr. Es gibt in vielen Bereichen gesellschaftliche Erwartungen, die nicht so schnell wie gewünscht möglich sind in der katholischen Kirche.

Papst Benedikt XVI. verkündet seinen Rücktritt am 11. Februar 2013.
Papst Benedikt XVI. verkündet seinen Rücktritt am 11. Februar 2013.

War es richtig von Papst Benedikt, sein Pontifikat vorzeitig zu beenden?

Büchel: Er hat damit einen ganz wichtigen Punkt gesetzt in der Geschichte der Kirche. Er ist seit einigen hundert Jahren der erste Papst, der zurückgetreten ist. Das hat ihn auch ein Stück weit wieder menschlich gemacht. Er hat uns spüren lassen, dass der Papst nicht der Allmächtige ist. Auch ein Papst darf sagen, ich habe ein Recht darauf, mich zurückzuziehen. Ich habe gestaunt, wie offen er damit umgegangen ist und wie er mit Papst Franziskus eine sehr mitbrüderliche Beziehung gepflegt hat. Dabei waren sie so unterschiedlich! Ich hatte kein einziges Buch von Jorge Bergoglio gelesen, bevor er Papst wurde. Von Joseph Ratzinger gab es eine ganze Bibliothek.

* Markus Büchel (73) ist seit 2006 Bischof von St. Gallen und Vizepräsident der Schweizer Bischofskonferenz.


Bischof Markus Büchel | © Vera Rüttimann
6. Januar 2023 | 08:16
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