Schweineherz in Innsbruck
Story der Woche

Bischof Glettler zu Herz im Altarraum: «Im Lärm ging eigentliches Thema fast unter»

In Innsbruck hing während der Fastenzeit ein grosses Foto von einem gebundenen Schweineherz im Altarraum der Citykirche. Das sorgte für einen Skandal. Bischof Hermann Glettler wurde deswegen «massiv verleumdet». Dennoch verteidigt er das zeitgenössische Fastentuch – und sieht darin eine spirituelle Dimension. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit Gegenwartskunst in seinen Kirchen für Aufregung sorgt.

Jacqueline Straub

In der Spitalskirche in Innsbruck befand sich bis vor einer Woche eine Fotoinstallation. Was war zu sehen?

Bischof Hermann Glettler*: Zu sehen war ein grossformatiges Foto von Peter Garmusch. Der österreichische Fotokünstler hat ein Schweineherz abgelichtet, das mit einem Gummiring eingeschnürt ist. Es scheint im Raum zu schweben. Es sind mehrere Aspekte, die diese Fotoarbeit zu einem berührenden Kunstwerk unserer Zeit machen.

Der Bischof von Innsbruck, Hermann Glettler.
Der Bischof von Innsbruck, Hermann Glettler.

Ein überdimensionales Schweineherz soll berührend sein?

Glettler: Ja, warum nicht? Dass Sie die Betonung auf «Schweineherz» legen, ist bereits einer einseitigen Wahrnehmung geschuldet. Berührend ist die auf den ersten Blick festzustellende Enge, das beklemmende Gefühl des Eingeschnürt-Seins, keineswegs der Umstand, ob dieses Organ von einem Tier oder von einem Menschen stammt.

Warum hat sich der Künstler für ein Schweineherz entschieden?

Glettler: Der Künstler hat ein Schweineherz gewählt, weil es dem menschlichen Herz äusserst nahekommt und leichter für seine Fotoarbeit zu bekommen war. Wirklich herausfordernd ist die fotorealistische Darstellung. Es ist nicht üblich, in einem Kirchenraum ungeschönte Körperlichkeit so direkt vor Augen zu haben.

Schweineherz im Altarraum
Schweineherz im Altarraum

Viele Katholikinnen und Katholiken haben sich über das Fastentuch empört. Es kam sogar zu einer Petition gegen das Kunstwerk.

Glettler: Im unmittelbaren Umfeld der Kirche war die Kritik relativ gering. Positive und negative Meinungen waren eher ausgewogen. Darüber hinaus wurde jedoch eine Petition organisiert, die einiges an Empörung verbreitet hat. Die Information der Unterzeichner stützte sich fast ausschliesslich auf skandalisierende Berichte, die von einem einschlägigen Medium produziert wurden.

«Sie betrieben sogar eine massive Verleumdung meiner Person.»

Was haben Sie unternommen, um die Gläubigen ernst zu nehmen?

Glettler: Vor der Karwoche liess ich das Fastentuch abnehmen, um nicht die geistlichen Schwerpunkte der Heiligen Woche mit einer aufgestachelten Kunstdebatte zu überlagern. Es war der Versuch einer Verständigung, da sich doch einige Leute in einer aggressiven Ablehnung verkrampft hatten. Sie betrieben sogar eine massive Verleumdung meiner Person. Wichtig ist es, auch jene ernst zu nehmen, die sich auf die Botschaft des Bildes eingelassen haben. Viele berührende Feedbacks, einige erst nach der Entfernung des Fastentuchs. Im Lärm ging das eigentliche Thema fast unter, die Sehnsucht nach innerer Befreiung und Versöhnung.

Inwiefern?

Glettler: Wir haben für die gesamte Diözese den spirituellen Schwerpunkt auf Versöhnung gelegt. Deshalb wurde auch diese Fotoarbeit in der Citykirche aufgehängt. Die Frage lautet doch, wie es gelingen kann, die dramatischen Herzens-Verengungen unserer Zeit zu überwinden. Ich bin überzeugt, dass es nur durch Versöhnung mehr Lebensqualität geben kann. Versöhnung entkrampft, löst die inneren Fesseln. Sie ist ein Geschenk Gottes und ein Auftrag, dem wir uns zu stellen haben.

«Kunst und echter christlicher Glaube sind doch nicht harmlos!»

Sie sind dafür bekannt, in der Fastenzeit zeitgenössische Kunst in Kirchen zu zeigen. Sie stossen dabei immer wieder auf Kritik. Warum riskieren Sie dennoch jedes Jahr aufs Neue die Konfrontation?

Glettler: Mit Sicherheit geht es mir nicht um eine billige Provokation. Dennoch möchte ich den Gläubigen zumuten, dass wir uns auch mit Hilfe der Kunst auf die zentralen Themen von heute einlassen. Ich verstehe dies als Einladung, unser Mitgefühl zu trainieren, vor allem ein solidarisches Beten zu lernen. Wenn Gott sein Herz tödlich verwunden liess, dann dürfen wir unseren Glauben doch nicht mit einem Wohlfühlprogramm verwechseln. Kunst und echter christlicher Glaube sind doch nicht harmlos! Durch konstruktive Auseinandersetzungen kann etwas reifen.

In der Innsbrucker Universitätskirche St. Johannes Nepomuk hängt seit Aschermittwoch ein temporäres Altartuch. Zu sehen darauf ist der in Georgien lebende David Apakidze.
In der Innsbrucker Universitätskirche St. Johannes Nepomuk hängt seit Aschermittwoch ein temporäres Altartuch. Zu sehen darauf ist der in Georgien lebende David Apakidze.

Im vergangenen Jahr hing ein Bild eines queeren Polit-Aktivisten mit nacktem Oberkörper im Altarraum der Universitätskirche.

Glettler: Das Foto der österreichischen Künstlerin Carmen Brucic sollte ebenso – ganz im Sinne der traditionellen Fastentücher – zum Mitempfinden anregen. Das grossformatige Tuch mit dem Titel «tired» zeigte einen jungen Mann, der mit dem Kopf nach unten auf einer Matratze lag. Sein Gesamteindruck hat unmissverständlich Müdigkeit und psychische Erschöpfung signalisiert. Auch dieses Kunstwerk diente als Bild, um die vielen Erschöpfungszustände unserer Zeit darzustellen. Der junge Mann auf dem Bild hatte ukrainische Wurzeln und musste als Kind im Kaukasus-Krieg den russischen Angriff auf Georgien miterleben.

«Wir können es uns nicht leisten, fromme Sonderwelten zu bedienen.»

Was hat das mit der christlichen Botschaft zu tun?

Glettler: Sehr viel! Die Verkündigung Jesu möchte doch unser Herz erreichen, mitten in dieser unserer verwundeten Welt. Wir können es uns nicht leisten, fromme Sonderwelten zu bedienen. Viele Menschen sind angesichts der Krisenherde unserer Zeit vom Gefühl der Ohnmacht beherrscht. Sie haben den Eindruck, die vielen Veränderungsprozesse nicht mitgestalten zu können. Auch persönliche Überforderungen und Altlasten von Kränkungen und Enttäuschungen können in die Erschöpfung treiben. Gottes Herzensenergie aufzunehmen, uns von ihm erneuern zu lassen, macht doch die Mitte unseres österlichen Glaubens aus, nicht wahr?

Herz Jesu-Verehrung
Herz Jesu-Verehrung

Zurück zum irritierenden Herz-Foto, also zur Kunstinstallation in diesem Jahr: Ist diese Fotoarbeit als ein Herz-Jesu-Bild zu verstehen?

Glettler: Nein, überhaupt nicht. Peter Garmusch hat dieses Foto ohne religiösen Kontext gemacht. Leider wurde dies auch im Text der Petition vollkommen falsch kommuniziert. Faktum ist, dass wir uns zumindest in die Tirol an die vielen Herz-Jesu-Bildnisse gewöhnt haben. Wir erkennen deren aufregende Bedeutung kaum noch. Das Herz Jesu, verwundet und von Flammen umgeben, soll den leidenschaftlichen Herzschlag Gottes darstellen. Es ist seine Sehnsucht, unser Herz zu berühren und von allen falschen Bindungen freizumachen.

«Vielleicht müssen wir als Form christlichen Betens das Klagen wieder erlernen.»

Wie blicken Sie auf dem heurigen Karfreitag?

Glettler: Angesichts der vielen Erschütterungen unserer Zeit hat der Karfreitag noch eine stärkere Bedeutung. Die Arme des Gekreuzigten sind tröstend und vergebend über die ganze Erde ausgebreitet. Dieses Jahr steht uns speziell die Situation der Menschen vor Augen, die unter den Auswirkungen des verheerenden Krieges in der Ukraine zu leiden haben. Vielleicht müssen wir als Form christlichen Betens das Klagen wieder erlernen. In aller Ohnmacht können wir die Not unserer verwundeten Welt Gott anvertrauen.

Was bedeutet Ihnen Ostern 2023?

Glettler: Ostern ist ein Fest der Zuversicht, dass jede Form von Hass und Menschenverachtung letztlich nicht siegen wird. Was es auch immer an Erfahrungen gibt, die das Herz des Menschen lähmen und einengen – durch eine österliche Begegnung mit dem auferstandenen Herrn ist neues Leben möglich, Vergebung und Befreiung. Sein Friede ist stärker als jede noch so einengende Angst. Ostern ist gleichbedeutend mit Zukunftsmut.

*Hermann Glettler ist seit 2017 Bischof von Innsbruck. In der österreichischen Bischofskonferenz ist er Referatsbischof für Ehe und Familie sowie für den Bereich Kunst und Kultur zuständig.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Schweineherz in Innsbruck | © dibk.at
7. April 2023 | 05:00
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