Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz
International

Benedikt XVI. und der Missbrauch: Erzbistum zu neuen Recherchen

Neue Recherchen von «Correctiv» und Bayerischem Rundfunk werfen die Frage auf, ob Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., im Fall des mehrfachen Missbrauchstäters H. früher hätte reagieren müssen.

Spätestens 1986 habe er von dessen Vergehen gewusst, aber nichts dagegen unternommen, dass H. weiter in der Seelsorge eingesetzt wurde, wo es zu zahlreichen weiteren sexuellen Übergriffen kam.

Briefwechsel von 1986

BR und Correctiv berichten über einen Briefwechsel von 1986, der belege, dass Ratzinger damals als Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan über die Taten des Priesters informiert worden sei.

Unheimliche Schattengestalt mit Kruzifix in einer Kirche.
Unheimliche Schattengestalt mit Kruzifix in einer Kirche.

Das Erzbistum München und Freising bestätigte am Mittwoch auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass es 1986 einen Brief an die Kongregation für Sakramente und ein von Ratzinger unterzeichnetes Antwortschreiben gegeben habe.

Freiheitsstrafe wegen Kindesmissbrauch auf Bewährung

Konkret geht es in dem Briefwechsel um Folgendes: Nachdem H. im Juni 1986 zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war, hatte sich der stellvertretende Münchner Generalvikar Bernhard Egger an den Vatikan gewandt.

Insel Ufnau Klosterwein mit Harald Naegeli Graffiti
Insel Ufnau Klosterwein mit Harald Naegeli Graffiti

In einem Schreiben habe er darum gebeten, dass H. wegen «absoluter Alkoholunverträglichkeit» die Messe künftig mit Traubensaft statt Wein feiern dürfe.

«In alkoholisiertem Zustand»

Zur Begründung hiess es, der Priester habe in «alkoholisiertem Zustand» Straftaten begangen nach Paragraf 174, 176 und 184 Strafgesetzbuch, wo es um sexuelle Übergriffe und Missbrauch geht. Das Antwortschreiben sei vom Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, gekommen. Darin habe er die Ausnahmeregelung genehmigt.

Joseph Ratzinger (links) und Johann Baptist Metz im Jahr 1998.
Joseph Ratzinger (links) und Johann Baptist Metz im Jahr 1998.

Fall H.= Fall X.

Der Fall H. nimmt im 2022 veröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachten einen grossen Raum als «Fall X» ein. Die Anwälte äusserten darin Zweifel an der Aussage von Benedikt XVI., er habe 1980 als Münchner Erzbischof (1977-1982) nichts von der Missbrauchs-Vorgeschichte des aus Essen kommenden Priesters gewusst, als er dessen Einsatz in einer Pfarrei in seinem Erzbistum zustimmte. Der emeritierte Papst blieb jedoch stets bei seiner Darstellung zum Jahr 1980.

Von Papst zu Papst: Franziskus trauert am 5. Januar um Benedikt XVI.
Von Papst zu Papst: Franziskus trauert am 5. Januar um Benedikt XVI.

Sämtliche Schreiben in dieser Angelegenheit – auch das von 1986 – wurden laut dem Sprecher des Erzbistums auch der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vorgelegt.

Missbrauchsgutachten

In deren Missbrauchsgutachten wird der Sachverhalt im Sonderband zu H. einzig auf Seite 36 erwähnt. Darin heisst es: «Auf entsprechenden Antrag der Erzdiözese München und Freising erhielt Priester X. von der zuständigen Behörde im Rom im Oktober 1986 die Erlaubnis, mit Traubensaft zu zelebrieren.»

Eucharistiefeier mit Pfarrer Reto Kaufmann. Unten rechts: Der Stephanswein und der Traubensaft, die gesegnet werden.
Eucharistiefeier mit Pfarrer Reto Kaufmann. Unten rechts: Der Stephanswein und der Traubensaft, die gesegnet werden.

Da die Kanzlei vor allem das Verhalten der Verantwortlichen im Erzbistum selbst untersuchte, stand der Umgang der im Vatikan Zuständigen mit Missbrauch nicht im Fokus.

Sollte sich einer Therapie unterziehen

Pfarrer H. war 1980 aus Essen nach München gekommen und sollte sich dort nach einschlägigen Vorwürfen zunächst einer Therapie unterziehen. Bald aber wurde er wieder in der Seelsorge eingesetzt, auch nach seiner rechtskräftigen Verurteilung.

Erst 2010 wurde H. in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Seit 2020 lebt er unter Auflagen wieder im Bistum Essen. 2022 wurde er auch aus dem Klerikerstand entlassen. (kna)


Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz | © Vera Rüttimann
22. Februar 2023 | 17:59
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