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Benedikt XVI. meldet sich zu christlich-jüdischem Dialog zu Wort

Rom/Zürich, 8.7.18 (kath.ch) Er wollte der Kirche «durch ein Leben im Gebet dienen» und schweigen. Nun hat der emeritierte Papst Benedikt XVI. jedoch erneut zur Feder gegriffen und in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Communio» einen Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog veröffentlicht. Der Provinzial der Schweizer Jesuiten, Christian Rutishauser, äussert sich kritisch.

Der unter dem Titel «Gnade und Berufung ohne Reue» erschienene Text versteht sich als vertiefender Kommentar zu einem Dokument, das 2015 von der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum mit der Absicht veröffentlicht wurde, das Verhältnis zwischen Christen und Juden 50 Jahre nach der Konzilserklärung «Nostra Aetate» neu zu bestimmen. Ziel des Benedikt-Textes ist eine Reflexion auf die nachkonziliare Absage an die sogenannte «Substitutionstheorie» und die Rede vom «nie gekündigten Bund».

Nicht zur Veröffentlichung gedacht

Einem Geleitwort von Kardinal Kurt Koch zufolge war der Text von Benedikt XVI. als private Reflexion an Kardinal Koch übergeben worden und ursprünglich nicht für die Veröffentlichung vorgesehen gewesen. Er habe den emeritierten Papst jedoch davon überzeugen können, den Text in der von Joseph Ratzinger mitgegründeten Zeitschrift «Communio» zu veröffentlichen. Der Text sei «eine wichtige Antwort auf die Einladung der Vatikanischen Kommission zu einem vertieften theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und dem Judentum». Dieser habe Ratzinger «stets am Herzen» gelegen, so der Kardinal. Koch ist ist Vatikan nebst der Ökumene auch für die Beziehungen zum Judentum zuständig.

«Im Grunde richtig, aber doch in vielem Ungenau.»

Tatsächlich bietet der mit «Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.» signierte Text vom 26. Oktober 2017 eine durchaus kritische Reflexion bisheriger «Standards» im jüdisch-christlichen Dialogs und im nachkonziliaren Nachdenken über das Verhältnis von Judentum und Christentum. Konkret sieht Benedikt XVI. bei den beiden Stichworten «Substitutionstheorie» und «nie gekündigter Bund» Nachschärfungsbedarf: «Beide Thesen – dass Israel nicht durch die Kirche substituiert werde, und dass der Bund nie gekündigt worden sei – sind im Grunde richtig, sind aber doch in vielem ungenau und müssen kritisch weiter bedacht werden», schreibt Benedikt in seinem Text.

Besondere Stellung des Judentums

So habe es eine «Substitutionstheorie» – also die Vorstellung, die Kirche sei an die Stelle Israels getreten – «als solche nicht gegeben», stellt der emeritierte Papst klar. Mehr noch komme dem Judentum aus christlicher Sicht stets ein besonderer Status zu. Dies insofern das Judentum «nicht eine Religion unter anderen» sei, sondern «in einer besonderen Situation steht und daher auch als solches von der Kirche anerkannt werden muss».

In Folge erläutert er seine These anhand der bleibenden Differenzen zwischen Judentum und Christentum, konkret: im Blick auf den Tempelkult, die Kultgesetze, die Stellung der Tora, die Messias-Frage und die Landverheissung.

Unterschiedliche Aussagen zum Messias

Gerade die «Messias-Frage» stelle dabei «die eigentliche Streitfrage zwischen Juden und Christen» dar, hält Benedikt XVI. fest: Die jüdische Messias-Erwartung sei auf einen – auch politisch verstandenen – Friedensbringer fokussiert. Aus christlicher Sicht aber müsse man darauf verweisen, dass Jesus «nicht unmittelbar die vollendete neue Welt des Friedens bringen wollte (…), sondern den Menschen, auch den Heiden, Gott zeigen wollte».

Es bleibe also ein gewisser Verheissungsüberschuss, insofern die Zeit Jesu «nicht eine Zeit einer kosmischen Umwandlung ist, in der die endgültigen Entscheidungen zwischen Gott und Mensch schon gefallen sind, sondern eine Zeit der Freiheit», so Benedikt XVI.

Absage an «politischen Messianismus»

Abgelehnt wird in Folge kirchlicherseits auch jeder «politische Messianismus», der sich etwa in einer theologischen Deutung der Errichtung des Staates Israel 1948 als Erfüllung der biblischen Landverheissung versteht. Die vatikanische Anerkennung des Staates Israel wurzle daher auch nicht in einer theologischen Überlegung, sondern in der Anerkennung des «naturrechtlichen Anspruchs» der Juden auf ein eigenes Land, so Benedikt XVI.

Und weiter: «In diesem Sinn hat der Vatikan den Staat Israel als einen modernen Rechtsstaat anerkannt und sieht in ihm eine rechtmässige Heimat des jüdischen Volkes, deren Begründung freilich nicht unmittelbar aus der Heiligen Schrift abgeleitet werden kann, aber dennoch in einem weiteren Sinn die Treue Gottes zum Volk Israel ausdrücken darf.»

Differenzen zu Johannes Paul II.

Auch die Frage des «nie gekündigten Bundes» zwischen Gott und den Juden – eine Aussage, die auf Johannes Paul II. zurückgeht und zum heute selbstverständlichen Deutungshorizont des Judentums aus christlicher Sicht gehört – verlange laut Benedikt XVI. nach Differenzierungen. Zwar ist die Aussage prinzipiell «als richtig anzusehen, aber im einzelnen doch noch vieler Präzisierungen und Vertiefungen bedürftig.»

Etwa in dem Sinne, dass es nicht nur den einen Bund zwischen Gott und seinem Volk gab, sondern viele Bünde. Zudem gehöre das Wort von der Kündigung eines Bundes nicht zur theologischen Begriffswelt des Alten Testamentes. «Die Formel vom ‹nie gekündigten Bund› mag in einer ersten Phase des neuen Dialogs zwischen Juden und Christen eine Hilfe gewesen sein, taugt aber nicht auf Dauer, um die Grösse der Wirklichkeit einigermassen angemessen auszudrücken», so Benedikts abschliessendes Urteil.

Kritische Worte von Schweizer Jesuit

Der Schweizer Jesuitenprovinzial Christian Rutishauser hat sich in einem Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» (7. Juli) kritisch mit dem Schreiben des emeritierten Papstes auseinandergesetzt. Er spricht darin beispielsweise von «unglücklicher Wortwahl» Benediks, wenn dieser den jüdischen Tempelkult durch die Eucharistie als endgültig ersetzt bezeichne.

Rutishauser anerkennt «viele wertvolle Einzelüberlegungen» des zurückgetretenen Papstes. Er vermisst aber, dass Benedikt in diesem Schreiben «das Judentum als Glaubensgemeinschaft nach Christus zu verstehen, zu wertschätzen oder aus der jüdischen Tradition zu lernen» versuche. Als Beitrag für den Dialog mit dem Judentum sieht Rutishauser den Aufsatz des früheren Papstes denn kaum. Christian Rutishauser ist Mitglied der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächkommission der Schweiz, einem Fachgremium der Schweizer Bischofskonferenz. (kap/ms)

 

Judentum | © pixabay.com CC0
8. Juli 2018 | 10:29
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