Beatrice Olivia Häberling hatte Kontakt zu einem mutmasslichen Missbrauchsopfer.
Schweiz

Beatrice Olivia Häberling: «Einem kriminellen Drogenabhängigen hätte niemand geglaubt»

Die ehemalige Spitalseelsorgerin berichtet in einer Erzählung von sexuellem Missbrauch. Der Täter soll der frühere Leiter der ökumenischen Gemeinschaft im Kloster Beinwil gewesen sein, das Opfer ein junger, drogenabhängiger Mann in dessen Obhut. Die Grundinformation stimme, sagt Häberling. Der ehemalige Basler Münsterpfarrer Franz Christ spricht von einer Andeutung, die er erhalten habe.

Regula Pfeifer

Die pensionierte Spitalseelsorgerin Beatrice Olivia Häberling erzählt in «Hinter den Klostermauern» – literarisch verfremdet, wie ein junger Mann in den 1990er-Jahren durch einen Priester missbraucht wurde. Die Geschichte sei sehr nahe an der Wahrheit, sagt die Autorin.

«Ich musste es loswerden», sagt die Autorin im Gespräch. Die 72-Jährige meint damit: die schockierende Geschichte, die sie 1995 von einem jungen Mann im Kloster Beinwil SO erfahren hat. Nach ihrer Pensionierung beschloss sie, diese literarisch zu verarbeiten. 2019 publizierte die Neu-Autorin ihre Erzählung «Hinter den Klostermauern» im Eigenverlag.

Auszeit im Kloster Beinwil

Als 44-Jährige verbrachte Häberling im Oktober 1995 eine Woche Auszeit im Kloster Beinwil. Sie befand sich in einer Ehekrise und brauchte Abstand. Die hoffte sie in der ökumenischen Gemeinschaft zu finden, die damals im ehemaligen Benediktinerkloster aktiv war. So wird die Ich-Erzählerin vorgestellt, und das entspreche ihrer damaligen Situation, bestätigt Häberling.

Kloster Beinwil, 2016
Kloster Beinwil, 2016

Die Gemeinschaft wurde vom inzwischen verstorbenen Christian Homey geleitet, einem Priester des Bistums Basel. H. gehörte 1983 zu den ersten drei Bewohnern – neben einem Benediktinerpater aus Mariastein und einem reformierten Pfarrer, wie bei kath.ch nachzulesen ist.

«So einen kalten Blick habe ich noch nie gesehen.»

Olivia Beatrice Häberling

An Homeys Begrüssung erinnert sich Häberling noch heute lebhaft: «So einen kalten Blick habe ich noch nie gesehen», sagt sie. Sie habe sich diesen Mann nicht als Seelsorger vorstellen können, was er als Priester und Leiter der Gemeinschaft eigentlich war. Häberling selbst stand damals kurz davor, die Ausbildung zur Spitalseelsorgerin anzugehen. Später studierte sie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

Ausgang ins Bordell

Über Homey erfuhr sie nach wenigen Tagen Unglaubliches. Ein junger Mann, den sie im Kloster antrifft, vertraute sich ihr an. In der Erzählung trägt er den Namen Beni. Er habe Homey ins Zürcher Niederdorf, in ein mexikanisches Restaurant und zu einem Bordell begleiten müssen, sagte er ihr. Und er habe von ihm teure Kleider und eine Golduhr geschenkt erhalten.

Beatrice Olivia Häberling mit "Beni" an einem Fest
Beatrice Olivia Häberling mit "Beni" an einem Fest

Beni befindet sich damals in einem halbjährigen Massnahmenvollzug, der zugunsten einer therapeutischen Massnahme aufgeschoben wurde. Diese sollte er im Kloster Beinwil verbringen sollte – in Obhut von Christian Homey. Die Vorgabe war: keine Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten.

Übergriff in der Abtei

Wenige Wochen später erhält sie von Beni einen Brief nach Hause. Er werde vom Klosterleiter zu sexuellen Handlungen gezwungen, erfährt sie darin. H. habe ihn eines abends in die Abtei gerufen und sexuell missbraucht. «Ich war schockiert und versteckte den Brief unter einem Waschmittelkarton in der Waschküche», schreibt Häberling in ihren Anmerkungen zur Erzählung, die sie zum Gespräch mitbringt.

Jahrzehntelanges Schweigen

Beni bittet sie eindringlich, niemandem davon zu erzählen. Er befürchte, im Gefängnis zu landen, falls es auskommen würde. Das versteht Häberling: «Einem kriminellen Drogenabhängigen hätte niemand geglaubt», ist sie überzeugt. Ans Schweigen hält sich Häberling – jahrzehntelang. Auch nach seinem Tod, bis sie 2019 die Erzählung publiziert.

Über die – gemäss ihren Angaben – wahre Geschichte dahinter, darüber berichtet sie erst jetzt öffentlich, gegenüber kath.ch. Die Pilotstudie zum Missbrauch in der Kirche Schweiz hat den Ausschlag gegeben.

Scham
Scham

Selbstherrlich oder charismatisch?

Um die Plausibilität der Vorwürfe zu prüfen, hat kath.ch Berichte ihrer Vorgänger-Organisation konsultiert, der Katholischen Internationalen Presseagentur (Kipa). Diese hat Anfang 21. Jahrhundert mehrfach über Christian Homey berichtet.

«Seit längerem herrscht Streit um Prior Christian Homey», heisst es im August 2006. «Kritiker werfen Prior Homey vor, selbstherrlich zu handeln, dadurch viele Mitbrüder vergrault zu haben und für eine grosse Fluktuation in der Gemeinschaft verantwortlich zu sein.» Andererseits sei es Homey mit seiner charismatischen Art «stets wieder gelungen, neue Interessenten um sich zu scharen».

Vorwurf: Missbrauch seelsorgerlicher Tätigkeit

Laut Berichten vom Februar 2007 hat der geistliche Rat – nach einer ihrer regelmässigen Prüfungen der Gemeinschaft dem Stiftungsrat 1999 – mitgeteilt, Christian Homey sei in Beinwil untragbar. Immer mehr seien auch schockierende Vorwürfe gegen den sich als Prior inszenierenden Homey an die Öffentlichkeit gelangt, wird eine damalige Mitteilung des Stiftungsrats zitiert. Auch der Vorwurf, er missbrauche seine seelsorgerliche Tätigkeit, sei laut geworden.

Tod von mutmasslichem Täter und Opfer

Nach mehreren erfolglosen Versuchen gelang es dem Stiftungsrat, den uneinsichtigen Priester im Juli 2007 per Gerichtsentscheid aus dem Kloster zu verweisen. Im Juni 2009 verstarb der 66-Jährige nach schwerer Krankheit. Der mutmasslich von ihm missbrauchte Mann war bereits im Januar 2003 an einer Überdosis Drogen gestorben. Das weiss Autorin Häberling, da sie mit Letzterem bis zu dessen Tod Kontakt pflegte.

«Ich habe erst nach Homeys Abgang ein einziges Mal telefonisch eine Andeutung zu hören bekommen.»

Franz Christ, Präsident der Stiftung Beinwil

Die Frage, ob sich ein solcher Übergriff zugetragen haben könnte, könnten Zeitzeugen beantworten. Zwei von ihnen konnte kath.ch telefonisch erreichen. Einerseits den ehemaligen Basler Münster-Pfarrer Franz Christ, Präsident der Stiftung Beinwil. «Ich habe erst nach Homeys Abgang ein einziges Mal telefonisch eine Andeutung zu hören bekommen», sagt der 79-Jährige, der in Basel lebt.

Er habe als Stiftungsrat aber keinen tiefen Einblick in die Gemeinschaft gehabt. So höre er nun zum ersten Mal, dass es in der Gemeinschaft Menschen im Massnahmenvollzug gab. «Homey selbst klagte mir gegenüber nie, für ihn war immer alles fantastisch.» Laut Christ war die Gemeinschaft ein Verein und Vertragspartner der Stiftung Beinwil. Im Vertrag sei die Nutzung der Gebäude des ehemaligen Benediktinerklosters geregelt worden.

Martin Gächter, Weihbischof
Martin Gächter, Weihbischof

Der reformierte Pfarrer verweist auf die Visitatoren, die für die regelmässige Prüfung der Gemeinschaft zuständig gewesen waren. Diese hätten mehr mitbekommen. Seitens der katholischen Kirche war das der emeritierte Weihbischof Martin Gächter.

Anruf bei Martin Gächter im Elisabethenheim in Zuchwil SO, wo der über 80-Jährige inzwischen lebt. «Kann es sein, dass Prior Homey einen jungen Mann sexuell missbraucht hat?», geht die Frage an ihn. Es kommt zu einem kurzen Gespräch, doch zitiert werden will der emeritierte Weihbischof von Basel nicht.

Ende Ökumene

Die ökumenische Gemeinschaft im Kloster Beinwil zog Ende 2018 aus. Seit Januar 2019 leben orthodoxe Ordensleute in den Gebäuden. Es gibt das Männerkloster «Heilige Orthodoxe Kloster Johannes Kapodistrias» und das Frauenkloster «Heilige Orthodoxe Kloster Einzug der Gottesgebärerin in den Tempel».

Buch erhältlich


Beatrice Olivia Häberling hatte Kontakt zu einem mutmasslichen Missbrauchsopfer. | © Regula Pfeifer
27. November 2023 | 17:00
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