Regisseur Peter Reichenbach
Schweiz

«Auch heute braucht es dringend Leute wie Karl Barth»

Zürich, 8.4.17 (kath.ch) «Gottes fröhlicher Partisan» heisst der Dokumentarfilm über den reformierten Theologen Karl Barth, den SRF1 am Sonntagmorgen ausstrahlt. Theaterstücke über die Nazi-Zeit und ein Tipp vom Fraumünsterpfarrer haben den Zürcher Regisseur Peter Reichenbach auf das Thema gebracht, wie er im Gespräch ausführt.

Regula Pfeifer

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Karl Barth zu drehen?

Peter Reichenbach: Bei einem Abendessen mit dem Fraumünsterpfarrer kamen wir auf Karl Barth.  Niklaus Peter fand, das wäre doch ein interessantes Thema für einen Film. Mir war Barth bereits aus meiner Zeit als Theaterregisseur ein Begriff. Anfang der 80-er-Jahre machte ich in Berlin eine Serie von Stücken, die sich um den Nationalsozialismus drehten: «Das Tagebuch der Anne Frank», «Andorra» von Max Frisch, «Joel Brand» von Heinar Kipphardt. Dabei stiess ich auf die Theologen Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer und die bekennende Kirche – ich war beeindruckt und fasziniert.

Nach dem erwähnten Abendessen schaute ich mir die Sache näher an. Ich entdeckte den Briefwechsel von Barth mit Charlotte von Kirschbaum, seine Zeit als «roter» Pfarrer in Safenwil AG – und war je länger je mehr fasziniert von diesem Mann.

Ich war je länger je mehr fasziniert von diesem Mann.

Haben Sie selbst einen Bezug zur Theologie oder Kirche?

Reichenbach: Mich hat die Religion immer historisch sehr interessiert. Von Theologie habe ich aber keine Ahnung.

Unsere Familie ist religiös gemischt, väterlicherseits ursprünglich jüdisch. Mein Vater war Protestant. Ich wuchs katholisch auf. Meine Mutter stammte aus einer erzkatholischen Innerschweizer Familie.

Sie schreiben in ihrem Drehbuch, Karl Barth sei der wichtigste Theologe des 20. Jahrhunderts. Das ist eine grosse Aussage. Sie haben ausschliesslich Schweizer Experten gefragt.

Reichenbach: Nicht nur; ich war auch in den USA, am Karl-Barth-Zentrum in Princeton und lasse im Film die amerikanische Theologin und Historikerin Suzanne Selinger zu Wort kommen, die ein Buch über Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth geschrieben hat.

Aber natürlich kann man verschiedener Meinung sein. Von katholischer Seite könnte man beispielsweise Karl Rahner als wichtigsten Theologen ansehen. Aber dass Karl Barth der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts war, hörte ich, wo immer ich hinkam. Als grosser Mann war er natürlich auch umstritten.

Karl Barth engagierte sich in Deutschland gegen den Nationalsozialismus und verlor dadurch seine Stelle als Professor. 1935 kam er zurück in die Schweiz.

Reichenbach: Barth war Mitbegründer der bekennenden Kirche. Er verweigerte den Eid auf den Führer und wurde deshalb von der Universität verwiesen. Es war klar, wenn er nicht sofort verschwände, würde er verhaftet werden. Ihm wurde eine Professur in Basel angeboten, die er annahm. Andere Exponenten der Bekennenden Kirche landeten im Konzentrationslager, beispielsweise Martin Niemöller.

Hatte Barth von der Schweiz aus Einfluss auf Deutschland?

Reichenbach: Ja, er und Bonhoeffer waren die bedeutendsten Stimmen des Widerstands. Im Unterschied zu Barth wurde Bonhoeffer zur Ikone, weil er kurz vor Kriegsende umgebracht wurde.

Barth und Bonhoeffer waren die bedeutendsten Stimmen des Widerstands.

In der Schweiz war Barth eine wichtige Anlaufstelle für Flüchtlinge. Und er war eine laute Stimme. So rief er beispielsweise die tschechischen Christen zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten auf. Daran hatten auch in der Schweiz gewisse Kreise keine Freude. Barth wurde abgehört, seine Post wurde zensuriert.

Warum braucht es diesen Film?

Reichenbach: Weil es auch heute dringend Leute braucht wie ihn. Hört man die Worte dieses Mannes, merkt man: Das hat ja auch eine Bedeutung für heute. Wenn Barth über Flüchtlinge redet, könnte man meinen, das habe jemand gestern gesagt.

Hinzu kommt: Bisher diskutierte man hauptsächlich darüber, was die Schweiz alles nicht oder falsch gemacht hat in der Zeit des Nationalsozialismus. Da hat nun aber jemand etwas dagegen unternommen; darüber muss man ebenfalls reden. Auch über den St. Galler Polizeikommandanten und Flüchtlingshelfer Paul Grüninger sprach man lange nicht, bis zuerst ein Dokumentarfilm und dann unser Film erschien.

Solche Filme motivieren auch zur Selbstreflexion. Man überlegt sich: Wie würde ich handeln? Wäre ich auch so mutig wie dieser Mann oder hätte ich Angst?

Was ist die besondere Herausforderung, einen historischen Dokumentarfilm zu machen?

Reichenbach: Die Herausforderung ist: Wie komme ich an diesen Menschen ran. In einer Stunde kann man ja nicht alles über ihn erzählen. Man muss versuchen, den Kern dieser Persönlichkeit herauszuschälen. Barth war ein unheimlich mutiger Mensch, der sagte, was er sagen wollte und sich nicht bremsen liess. Er wurde zu einer grossen moralischen Instanz – lebte aber mit zwei Frauen zusammen. Da fragt man sich: Wie geht das zusammen?

Plötzlich merkt man: Das ist nicht nur ein brillanter Kopf, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit seinen Ängsten. Der Film ist ein Türöffner, wer mehr wissen will, muss seinen Fragen selber nachgehen.

Er wurde zu einer grossen moralischen Instanz – lebte aber mit zwei Frauen zusammen.

Bei der Menage à trois fehlt die Stimme der Ehefrau.

Reichenbach: Nelly war seine Ehefrau. Sie war aber nicht sein intellektuelles Gegenüber. Da kommt plötzlich eine brillante junge Frau – und plötzlich hatte er ein Alter Ego, mit der er auf ganz anderer Ebene kommunizieren konnte. Und dann verliebten sie sich noch ineinander. Er sagt selbst: Ohne Charlotte von Kirschbaum hätte er seine kirchliche Dogmatik nie schreiben können.

Gibt es Dinge, die Sie im Nachhinein anders machen würden?

Reichenbach: Ich frage mich am Schluss immer, ob ich dieses oder jenes Detail anders hätte machen sollen. Aber im Grunde ist der Film so herausgekommen, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die Arbeit am Film machte mir wahnsinnig Spass. Ich entdeckte neue Welten. Und einen Mann mit einem unglaublichen Schalk.

Einen Film über Karl Rahner zu machen, wäre spannend. Aber die Archive werden nicht geöffnet.

Haben Sie weitere Filmideen?

Reichenbach: Einen Film über Karl Rahner zu machen, wäre spannend. Er war das katholische Pendant zum reformierten Barth. Aber die Archive werden einem nicht geöffnet. Dies, weil Rahner eine heikle Beziehung zur Schriftstellerin Luise Rinser unterhielt, die zugleich mit einem Kardinal in fragwürdiger Verbindung stand.

Der Film wird am Sonntag, 10 Uhr, in «Sternstunde Religion» auf SRF 1 ausgestrahlt

Regisseur Peter Reichenbach | © c-films
8. April 2017 | 09:02
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