"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.
Religion anders

Art Basel: Warum Kenny Schachter Mutter Teresa kritisiert

Mutter Teresa ist heilig. Ihr Einsatz in den Slums hat sie zu einer Ikone der Nächstenliebe gemacht. Der Künstler Kenny Schachter kritisiert an der Art Basel: «Egal ob Abtreibung, HIV/AIDS oder LGBTQ: Wegen der katholischen Kirche leiden viele Menschen. Aber für dieses Leid hat sich Mutter Teresa nicht interessiert.»

Raphael Rauch

Warum rücken Sie Mutter Teresa ins Zentrum?

Kenny Schachter*: Seit 30 Jahren setze ich mich mit digitaler Kunst auseinander. Die Krypto-Kunst ermöglicht mir, dass ich Kunst verkaufen kann. Sonst sehe ich die Krypto-Kunst sehr kritisch. Es geht hier um Geld, um Betrug und Korruption. Wichtig ist mir zu betonen: Nicht Computer sind korrupt, sondern die Menschen. Und Mutter Teresa nutze ich als Analogie. Mich hat dazu Christopher Hitchens inspiriert. Er hat 1995 das Buch geschrieben: «Die missionarische Position: Mutter Teresa in Theorie und Praxis.»

Kenny Schachter
Kenny Schachter

Worum geht’s in diesem Buch?

Schachter: Hitchens’ Analyse lautet: Mutter Teresa war weniger daran interessiert, den Armen zu helfen, als vielmehr die fundamentalistischen Überzeugungen der katholischen Kirche zu verbreiten. Egal ob Abtreibung, HIV/AIDS oder LGBTQ: Wegen der katholischen Kirche leiden viele Menschen. Aber für dieses Leid hat sich Mutter Teresa nicht interessiert. Mutter Teresa hat auch Geld von dubiösen Geschäftsleuten angenommen. Und sie hat mit dem Elend der Menschen die Werbetrommel gerührt. Im amerikanischen Fernsehen trat Mutter Teresa regelmässig in Werbeblöcken auf. In den 1970er-Jahren war sie geradezu omnipräsent. Immer wollte sie Geld.

"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.
"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.

Welche Parallelen sehen Sie zur Krypto-Wirtschaft?

Schachter: Wenn man im Krypto-Bereich Geld verdienen will, muss man andere Menschen anziehen und überzeugen. So steigert sich der Wert. Am Ende wird alles zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Du versprichst mehr Geld, wenn du in diesen Bereich investierst. Und weil dann viele in diesen Bereich investieren, steigert sich der Wert. Die Kryptowelt nutzt NFTs, um für die Blockchain zu werben. Und Mutter Teresa hat die Not der Armen genutzt, um für die katholische Kirche zu werben.

Gelebte Diakonie: Mutter Teresa
Gelebte Diakonie: Mutter Teresa

Gehen Sie mit Mutter Teresa nicht etwas hart ins Gericht? Die Welt wäre doch besser, wenn es mehr Mutter Teresas gäbe.

Schachter: Sie müssen mein Kunstwerk humorvoll betrachten. Dann ist es nicht respektlos. Die Kunst ist meine Religion und die Kunst hat mir geholfen, über persönliche Tragödien hinwegzukommen. Ich habe als Junge meine Mutter verloren. Als Vater war ich hilflos, als eines meiner Kinder starb. Humor hilft in Krisen. Und Humor hilft, um Missstände aufzudecken und Eitelkeit und Heuchelei zu entlarven.

"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.
"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.

An was denken Sie konkret?

Schachter: Amerika droht gerade ein grosser Rückschritt – denken Sie an die Abtreibungs-Diskussion. Ich bin überzeugt: Die Welt wäre besser, wenn Männer keine Gesetze über den Körper von Frauen erlassen dürften. In manchen Bundesstaaten soll Abtreibung verboten werden. Dahinter stecken evangelikale Kräfte. 

Die Drogenszene auf den Schienen am Lettensteg in Zürich 1993. Eine Missionarin der Nächstenliebe mit drogensüchtigen jungen Menschen.
Die Drogenszene auf den Schienen am Lettensteg in Zürich 1993. Eine Missionarin der Nächstenliebe mit drogensüchtigen jungen Menschen.

Und trotzdem: Mutter Teresa hat vielen Menschen geholfen.

Schachter: Natürlich bin ich damit einverstanden, Menschen zu helfen. Was in den USA passiert, ist eine Schande: Wenn man kein Geld hat, ist man verloren. Dann gibt’s keine Gesundheit und auch keine psychologische Unterstützung. Und trotzdem kann ich kritisch auf das System Mutter Teresa hinweisen. Humor liefert einen schmalen Grat von Beleidigung und intellektueller Auseinandersetzung. 

"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.
"Teresa" von Kenny Schachter auf der Art Basel.

War das Kunstwerk vor der Art Basel schon einmal ausgestellt?

Schachter: Ja, ich habe es im Januar in Berlin gezeigt und dann online. Ich bin mir sicher, dass ich einige Leute beleidigt habe. Aber ich habe keine wütenden E-Mails erhalten.

Mutter Teresa nach einem Erdbeben in Armenien.
Mutter Teresa nach einem Erdbeben in Armenien.

Religion hat ein besonderes Verhältnis zur Materialität. Orthodoxe glauben, dass in einer Ikone Gott präsent ist. Katholische Sakramente sind ohne Berührung, Weihwasser oder Chrisam undenkbar. Welchen Stellenwert hat Materialität in der Krypto-Kunst?

Schachter: Ich finde, wir brauchen eine andere Perspektive auf diese Frage. Unser Gespräch gerade ist real – und nichts Fiktives. Das, was Mark Zuckerberg macht, ist auch real – auch wenn Facebook im digitalen Raum stattfindet. Auch Krypto-Kunst hat etwas Reales. Und trotzdem: Das Einzige, was mich im Leben wirklich interessiert, ist die Kunst, meine Familie, meine Kinder.

Treffen von Frère Roger mit Mutter Teresa in einem Waisenhaus in Kalkutta im Oktober 1976.
Treffen von Frère Roger mit Mutter Teresa in einem Waisenhaus in Kalkutta im Oktober 1976.

Sind Sie religiös?

Schachter: Wenn ich einen Gentest machen würde, würde ich positiv auf Religion getestet.

Und auf welche?

Schachter: Darauf kommt es doch nicht an. Wenn man einem Muslim, einem Katholiken oder einem Juden das Versprechen des Universums gibt, dann existiert kein Unterschied zwischen dem Papst und der Person, die gerade auf der Strasse läuft. Ich glaube daran, dass wir Menschen in erster Linie Menschen sind. Wir haben die gleichen Organe. Unsere Gehirne funktionieren ähnlich, sie haben die gleiche chemische Zusammensetzung. Ich versuche immer, den Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Und ich mache keine Annahmen oder Kategorisierungen. In der Kunstwelt werden die Leute immer in Schubladen gesteckt und erhalten Etiketten. Dagegen wehre ich mich.

* Kenny Schachter ist ein Kenner des Kunstmarktes uns sieht sich selbst als «NFT-Kreuzritter»: NFT steht für «Non Fungible Token», zu Deutsch «nicht ersetzbares Token». Dabei handelt es sich um ein Objekt im digitalen Universum. Ein NFT kann jede digitale Datei sein: ein Kunstwerk, ein Artikel oder Musik.


«Teresa» von Kenny Schachter auf der Art Basel. | © Raphael Rauch
18. Juni 2022 | 13:56
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