Alois Schaller, ehemaliger kirchlicher Erwachsenenbildner und Seelsorger in Gossau
Schweiz

Alois Schaller: «Ivo Fürer sagte mehrmals, wie gern er Bischof sei»

«Komm, ich chauffiere dich nach Hause», sagte Bischof Ivo Fürer zu Alois Schaller nach einem gemeinsamen Gottesdienst. Der ehemalige Gemeindeleiter von Gossau erinnert sich an seinen Bischof und ehemaligen Nachbarn: «Ivo war spontan, unkompliziert und hat sich für uns Laien eingesetzt.»

Eva Meienberg

Sie haben lange Zeit neben Ivo Fürer gewohnt. Woran erinnern Sie sich?

Alois Schaller*: Ich habe mehrere Jahre vis-à-vis von Ivo Fürer in Gossau gewohnt. Wenn das Licht einige Abende lang nicht anging, habe ich gewusst, Ivo ist in Europa. Er pflegte Kontakte in ganz Europa. Auf diese Kontakte konnte er immer zurückgreifen.

Ivo Fürer an der Synode 72 (5. v.l.)
Ivo Fürer an der Synode 72 (5. v.l.)

«Ivo Fürer ging sofort auf den Handel ein.»

Wie haben Sie Ivo Fürer kennengelernt?

Schaller: Ich habe ab 1977 in Gossau als Seelsorger und Erwachsenenbildner gearbeitet. Später habe ich die Pfarreileitung übernommen. Ivo Fürer und ich haben viele Gottesdienste zusammen gefeiert. Nach einem Weihnachtsgottesdienst hat er mich gefragt, ob ich ihm einmal unseren Gossauer Bibelgarten zeigen würde. Gerne, sagte ich, wenn er für den Freundeskreis Theologiekurse Schweiz einen Vortrag halten würde über die Synode 72. Ivo Fürer ging sofort auf den Handel ein. Das war ein Weihnachtsgeschenk für uns beide! Ivo Fürer war spontan und unkompliziert.

«Er sagte: Ich fühle mich wie Abraham, der nicht weiss, wohin der Weg geht.»

Was hat Ivo Fürer über die Synode 72 erzählt?

Schaller: Ich mag mich vor allem noch daran erinnern, wie er sagte: «Ich fühle mich wie Abraham, der in ein Land geführt wird und nicht weiss, wohin der Weg geht… Ich weiss nur, dass ich offen sein und Gottvertrauen haben muss.»

War Ivo Fürer zufrieden mit dem Weg, den er zurückgelegt hat?

Schaller: Ivo Fürer war sehr zufrieden mit seinem Weg. Erst mit 65 trat er das Amt des Bischofs an, wenn andere in den Ruhestand gehen. Am Tag seiner Wahl habe ich ihn in seinem Auto gesehen. Ich habe ihm spontan gratuliert, ohne das Resultat der Wahl zu kennen. Er war mein Wunschkandidat. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er nicht gewählt würde.

Ivo Fürer, zweiter von links, an seinem 80. Geburtstag. In der Mitte: Bischof Markus Büchel.
Ivo Fürer, zweiter von links, an seinem 80. Geburtstag. In der Mitte: Bischof Markus Büchel.

«Ivo Fürer war souverän im Bischofsamt.»

Hat sich Ivo Fürer in seinem Amt wohl gefühlt?

Schaller: Ich habe mehrfach von ihm gehört, wie gerne er Bischof sei. Er war souverän in seinem Amt und hat nicht darunter gelitten, wie andere dies taten.

Was hat er als Bischof erreicht?

Schaller: Ein grosses Verdienst von ihm war die Umsetzung des Konzils, und dass der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen gegen den Willen Roms in St. Gallen geblieben ist.

«Er wollte verhindern, dass der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen ein Instrument des Vatikans wird.»

Warum war der Standort St. Gallen so wichtig für Ivo Fürer?

Schaller: Er wollte verhindern, dass der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen ein Instrument des Vatikans wird. Er war Schweizer genug, um für die Eigenständigkeit der Institution zu kämpfen. Diesen Kampf musste er aber nicht allein führen. Er hatte einen grossen Rückhalt von Menschen in ganz Europa. Mit seinem Vatikan- und Schweizer-Pass hatte er etwa auch Zugang zur damaligen DDR und anderen Oststaaten. Ivo Fürer brachte an den Konferenzen Menschen zusammen, die ohne ihn nicht zusammengefunden hätten.

War Ivo Fürer als Mann von Welt zugänglich für kleine Dinge?

Schaller: Ivo Fürer ist sehr bescheiden geblieben. Nach einem gemeinsamen Gottesdienst an einem Patrozinium, an dem ich die Festpredigt gehalten hatte, sagte er: «Komm, ich chauffiere dich nach Hause. Wir haben ja den gleichen Weg.» Das war auch ein Ausdruck dafür, dass er sich tatsächlich für uns Laien eingesetzt hat.

«Ivo Fürer war authentisch, man wusste immer, woran man bei ihm war.»

Konnte er auch austeilen?

Schaller: Ja, das konnte er. Ich habe in der Bischofswohnung miterlebt, wie er Pfarrer Hans Buschor, der mit Bischof Otmar Mäder nur noch über den Anwalt kommunizierte, zurechtwies, weil er um eine Personalpfarrei bat. Ivo Fürer war sehr menschlich, man wusste immer, woran man bei ihm war. Er war authentisch.

Ivo Fürer im Jahr 2014.
Ivo Fürer im Jahr 2014.

Inwiefern war Ivo Fürer patriarchal geprägt, wie Daniel Kosch den emeritierten Bischof beschreibt?

Schaller: Er war insofern patriarchal, als dass er sich dafür eingesetzt hat, dass die Bischöfe ihre Diözese prägen konnten. Es sollten weltweit selbständige kontinentale Patriarchate entstehen können, wie sie in früheren Zeiten bestanden hatten. Bischof Ivo anerkannte die lokalen Unterschiede. Die Schweiz war eines der ersten Länder, das die Bischofskonferenz eingeführt hatte. Auch die Synode 72 prägte die Schweiz und floss teilweise ins Kirchenrecht ein.

«Ivo Fürer war ein grosser Unterstützer von Papst Franziskus.»

Wann haben Sie das letzte Mal mit Ivo Fürer gesprochen?

Schaller: Vor etwa fünf Jahren war ich mit Alt-Abt Martin Werlen während einer guten Stunde bei ihm in der Altersresidenz Vita Tertia. Damals konnte man noch recht gut mit ihm diskutieren, obwohl seinen Parkinson-Krankheit schon fortgeschritten war. Martin Werlen wollte von ihm wissen, wie man Papst Franziskus stärken könne, der im Hintergrund viele Gegner habe. Ivo Fürer konnte viele Namen von Personen nennen, die Papst Franziskus helfen könnten. Er war ein grosser Unterstützer von Papst Franziskus. Danach habe ich Ivo gelegentlich im Vita Tertia angetroffen.

*Alois Schaller war während 36 Jahren kirchlicher Erwachsenenbildner und Seelsorger in Gossau. Dort konzipierte und leitete er das Andreaszentrum, das schweizweit einzigartig war. Alois Schaller war unter anderem Mitglied des Diözesan- und Zentralvorstandes des Schweizerischen Katholischen Bibelwerkes. 


Alois Schaller, ehemaliger kirchlicher Erwachsenenbildner und Seelsorger in Gossau | © Barbara Fleischmann
15. Juli 2022 | 12:25
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