Der Schweizer Medienbischof Alain de Raemy
Schweiz

Alain de Raemy zu «Spotlight»: «Den Journalisten dankbar sein!»

Freiburg i.Ü, 2.3.16 (kath.ch) Im Film «Spotlight», der aktuell in den Schweizer Kinos läuft und am Wochenende einen Oscar erhalten hat, werden Missbrauchsskandale seitens der katholischen Kirche im US-Bistum Boston aufgedeckt. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 2001. Medienbischof Alain de Raemy zeigt sich in seinem Gastkommentar erschüttert über das Geschilderte und ruft dazu auf, sich der Wahrheit jederzeit zu stellen.

Alain de Raemy

 Jede Katholikin, jeder Katholik sollte sich den Film ansehen. Ihr Glaube wird sicher auf die Probe gestellt, aber das geschieht nicht umsonst. Den Glauben sollte man ja nicht abschirmen, sondern in Auseinandersetzung mit der Kirche und der Welt vertiefen. Denn die Wahrheit macht frei.

Es geht ja um Tatsachen. Diese stehen leider fest. Darum hat sich aber die Kirchenleitung nicht gekümmert, im katholischen Boston wie auch anderswo, bis hier bei uns. Damals? Nein. Vor knapp 15 Jahren.

Einzig Journalisten haben das Problem wirklich wahrgenommen und sich ihrer Aufgabe auch gestellt. Und zwar in einer Art und Weise, dass auch sie lieber nichts zu berichten gehabt hätten.

Wir können diesen Journalisten nur dankbar sein, auch wenn es uns die eigene Glaubwürdigkeit kostet. Dafür haben sie ihren und wir unseren Glauben verloren. Denn die Kirchenleitung wollte alle und alles schützen, nur die Opfer nicht! So pharisäisch ist es in den Jahren nach Christus wahrscheinlich noch nie zu und hergegangen. Und das in den eigenen Reihen. Und entgegen dem, was das Christsein eigentlich ausmacht: «Was ihr dem kleinsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan»

So kommt auch einer dieser Journalisten im privaten Gespräch mit einer Kollegin zur folgenden persönlichen Schlussfolgerung: «Ich bin im Glauben aufgewachsen, habe ihn dann im Erwachsenenalter mehr oder weniger auf die Seite geschoben, im halben Bewusstsein aber, ich würde ihn mit dem Alter wiederfinden… Nach solchen Enthüllungen bin ich jetzt aber völlig leer. Etwas ist in mir definitiv verloren gegangen…»

Schuldig daran ist nicht Welt, sondern die Kirche. Oder zumindest die Kirchenleitung mit den 250 Vergewaltigern unter den Priestern von Boston und ihrem «schützenden» Bischof.

Der Film zeigt gut, wie die Journalisten des «Boston Globe» nach ihren erfolgreichen Untersuchungen keineswegs nicht jubeln können. Sie können sich nur darüber freuen, dass sich ihre evangelische Hartnäckigkeit für alle Opfer gelohnt hat. Endlich die Wahrheit.

Was bedeutet das nun für mich als Katholik? Sicherlich, sich immer der Wahrheit zu stellen, wie immer sie auch ausfallen mag, egal ob als Bischof oder als Journalist. Es bedeutet ebenso, mit den Weinenden zu weinen und mit den Leidenden zu leiden. Aber allem voran müssen wir uns immer und immer wieder dem Evangelium stellen. Dies nicht nur in Fragen der Sexualmoral, sondern auch bei der Zulassung zum Priesteramt. Denn jedes Abweichen von Christus ist Verletzung des Nächsten.

So hoffe ich, dass nunmehr auch ich, und nicht nur andere, dem Evangelium treuer bin und bleibe. (adr)

Alain de Raemy, Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg. Er ist innerhalb der Schweizer Bischofskonferenz für die Medien zuständig.

Katholische Journalisten im Dilemma – «Spotlight» leuchtet Kirchenskandal aus

 

Der Schweizer Medienbischof Alain de Raemy | © Jacques Berset
2. März 2016 | 10:37
Lesezeit: ca. 2 Min.
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