Agnell Rickenmann
Story der Woche

Agnell Rickenmann: «Ich verstehe meinen Rückzug als Dienst für die Kirche»

Der Regens des Luzerner Priesterseminars St. Beat, Agnell Rickenmann, wird sich ab Herbst auf den Wiesenberg in Dallenwil als Einsiedler zurückziehen. «Ich möchte ein kontemplatives Leben führen, ein Leben aus Gebet und Betrachtung.» Sein Team in Luzern und die Studierenden werden ihm fehlen.

Jacqueline Straub

Sie sind seit 2017 Regens des Seminars St. Beat in Luzern. Nun werden Sie Einsiedler. Wo werden Sie ab Herbst leben?

Agnell Rickenmann*: Auf dem Wiesenberg in 1000 Meter Höhe. Er liegt in Nidwalden und gehört zu politischen Gemeinde Dallenwil. Aber ich bin etwas vorsichtig mit dem Begriff Einsiedler.

«Ich bin also nicht komplett abgeschottet.»

Warum?

Rickenmann: Mit dem Begriff Einsiedler werden vielleicht falsche Klischees geweckt. Da denken alle direkt an Bruder Klaus. Meine neue Heimat ist aber umgeben von einigen Bauernhöfen. Ich bin also nicht komplett abgeschottet. Ich werde in einer gewissen Abgeschiedenheit leben, das ist mein Ziel. Ich möchte ein kontemplatives Leben führen, ein Leben aus Gebet und Betrachtung. Ich muss auch mit dem Bischof von Chur noch schauen, ob es dafür einen kirchlichen Titel geben soll.

Kapelle auf dem Wiesenberg
Kapelle auf dem Wiesenberg

Wie wird auf dem Wiesenberg Ihr Alltag aussehen?

Rickenmann: Soweit ich das jetzt schon sagen kann, wird es eine klare Tagesstruktur geben mit persönlichem Gebet und täglicher Eucharistiefeier. Ich möchte mit meiner Existenz für die Anliegen der Welt beten. Mein Geistlicher Begleiter sagte mir einmal: Stelle einen Weltglobus in der Kirche auf, mit vielen kleinen Punkten. Das sind die Brennpunkte von menschlichem Leid, Krieg und Konflikten, die ich als betender Mensch mittragen will. Das ist eine wichtige Motivation für mich. Ich verstehe meinen Rückzug als Dienst für die Menschen.

«Ich fühle mich hingezogen zum Mysterium, das Gott ist.»

Warum wollen Sie Einsiedler werden?

Rickenmann: Es war ein längerer Prozess. Es hat mich schon oft in die Einsamkeit gezogen. Das hat mir immer gutgetan. Als junger Mann, bei meinem Eintritt ins Priesterseminar, habe ich überlegt, ob ein Klosterleben das Richtige für mich wäre, habe dann aber gemerkt, dass es damals nicht mein Weg war. Ich habe 40 Jahre in gewissem Sinne auf der Überholspur gelebt. Als Vikar wurde ich mit der Drogenszene vor unserem Pfarrhaus konfrontiert, dann war ich Doktorand, danach Pfarrer mit Lehraufträgen an den theologischen Fakultäten von Lugano und Luzern, wurde dann Generalsekretär der Bischöfe, noch einmal Pfarrer und Co-Dekan und bin nun Regens. Ich war immer sehr aktiv. Dabei habe ich mich immer wieder gefragt: Was ist der rote Faden in meinem Leben? Warum bin ich eigentlich Priester geworden? Ich fühle mich hingezogen zum Mysterium, das Gott ist. Das ist eine riesige Faszination. Durch ein Leben im Gebet möchte ich diesem Geheimnis noch näherkommen.

Die Schwarze Madonna in Einsiedeln
Die Schwarze Madonna in Einsiedeln

Warum wollten Sie Priester werden?

Rickenmann: Ich habe das Gymnasium in Einsiedeln besucht. Dort ist meine Berufung wohl gewachsen. Über die Jahre ist meine Liebe zu Christus immer dichter geworden – ich komme selber aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, welche Horizonte sich dabei öffnen.

Kommt die Mystik heute zu kurz?

Rickenmann: Ich finde schon. Wir leben heute an der Oberfläche unseres Daseins. Ein französischer Autor schrieb einmal, dass wir heutigen Menschen nur noch auf dem Balkon unserer Existenz und nicht mehr bei uns selbst in der Wohnung leben. Das drückt meines Erachtens etwas von dem aus, was wir mit vielen Gläubigen heute erleben: Wir halten uns fast nur noch mit strukturellen, tages- und kirchenpolitischen Fragen auf. Die Frage, was mein Leben trägt, kommt oft zu kurz.

«Das tut noch immer etwas weh.»

Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit als Regens besonders gefallen?

Rickenmann: Ich habe viele schöne, bereichernde Begegnungen und Gespräche mit Studierenden. Ich darf Impulse, Tipps und Ideen liefern – aber auch empfangen. Das hat mir sehr gefallen. Was mir ebenfalls Freude macht, ist die Umgestaltung der Berufseinführung und zu sehen, wie nun nach und nach die Module und Erneuerungen gut implementiert werden.

Was werden Sie vermissen?

Rickenmann: Ich habe hier in Luzern ein tolles Team. Es hat mein Herz bedrückt, als ich meinen Kolleginnen und Kollegen mitteilen musste, dass ich im Herbst gehen werden. Das tut noch immer etwas weh. Ich habe mich andererseits aber sehr gefreut, so viele positive – und oft auch überraschte – Rückmeldungen, auch von den Studierenden, erhalten zu haben. Ich erinnere aber daran, dass ich noch bis Oktober Regens sein werde.

Domherr Agnell Rickenmann
Domherr Agnell Rickenmann

Sie sind Domherr, werden Sie das auch weiterhin sein?

Rickenmann: Mit dem Ende des Mandats als Regens geht auch mein Mandat als Domherr zu Ende, denn die beiden Dienste sind miteinander gekoppelt. So musste ich also auch den Regierungsrat des Kantons Solothurn über meinen Weggang informieren, weil für mich als residierenden Domherren der Kanton Solothurn eigentlich mein geschätzter Arbeitgeber ist, von dem ich auch den Lohn empfange.

Wie hat Bischof Felix Gmür auf Ihre Entscheidung reagiert?

Rickenmann: Schon vor zwei Jahren habe ich mit Bischof Felix darüber gesprochen. Wenn er damals dagegen gewesen wäre, hätte ich alles nicht in Betracht gezogen.

«Aber ich fühle mich nicht als Vorbild.»

Wollen Sie mit Ihrem Schritt zum Vorbild für andere werden?

Rickenmann: Ich bin nur ein einfacher und sündiger Mensch. Ich bilde mir nicht ein, ein Exempel zu statuieren.

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Dennoch setzen Sie ein Zeichen.

Rickenmann: Das stimmt. Aber ich fühle mich nicht als Vorbild. Ich möchte einfach nur Christus noch näherkommen.

Wie lange haben Sie vor, auf dem Wiesenberg zu leben?

Rickenmann: So lange, wie Gott es will.

* Agnell Rickenmann (60) ist seit 2017 Domherr des Standes Solothurn im Bistum Basel. Ebenfalls seit 2017 ist er Regens des Priesterseminars St. Beat in Luzern. Von 2001 bis 2006 war er Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz.


Agnell Rickenmann | © zVg
16. Februar 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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