Abt Nikodemus Schnabel und Pater Paulus Sati in Einsiedeln
Schweiz

Abt Nikodemus aus Jerusalem: «Biblisch und christlich ist es, für die Feinde zu beten»

Bespuckt und ausgegrenzt: Der Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel OSB aus Jerusalem und Pater Paulus Sati, Patriarchaladministrator im ägyptischen Kairo, diskutierten am heutigen Sonntag in Einsiedeln über die schwierige Situation der Christen im Nahen Osten. In Gaza herrscht Krieg – weshalb die Christen besonders zwischen die Fronten geraten sind. Doch beide verbreiten Hoffnung.

Wolfgang Holz

Hat die Schweiz eine neue Nuntiatur bekommen? Vor dem Kongresszentrum «Zwei Raben» in Einsiedeln flatterte am Sonntagnachmittag jedenfalls überraschend die Flagge des Vatikans im Wind.

Drinnen informierte die Organisation «Kirche in Not» über die weltweite Christenverfolgung. Ein Menetekel der besonderen Art. Und gleichzeitig eine hoffnungsvolle und inspirierende Werbung für das Christentum.

Step by step - hinauf zum Kloster Einsiedeln
Step by step - hinauf zum Kloster Einsiedeln

«350 Millionen Christen werden weltweit verfolgt, alle fünf Minuten wird ein Christ umgebracht. Allein in Nigeria wurden vor zwei Jahren 7’600 Christen ermordet», malte Jan Probst, Geschäftsführer von «Kirche in Not» furchterregende Zahlen an die Wand.

Hilfsprojekte von «Kirche in Not» weltweit

Die internationale Hilfsorganisation versucht dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem sie Christen in aller Welt finanziell und strukturell unterstützt: Mit Bauprojekten, Messestipendien, Ausbildung von Laien zu Priestern, Not- und Flüchtlingshilfe.

Um konkret zu verdeutlichen, wie es Christen heutzutage geht, hatte «Kirche in Not» zwei Geistliche zu einem Podium eingeladen: den deutschen Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei in Jerusalem und den irakischstämmigen Pater Paul Sati, Angehöriger der chaldäisch-katholischen Kirche, der als Patriarchaladministrator im ägyptischen Kairo wirkt.

Abt Nikodemus Schnabel und Pater Paulus Sati bei der Podiumsdiskussion in Einsiedeln
Abt Nikodemus Schnabel und Pater Paulus Sati bei der Podiumsdiskussion in Einsiedeln

«Heiliges Land – Christen zwischen den Fronten: Veränderung in Gesellschaft und Kirche»: So lautete denn das Thema der Diskussionsrunde, die von Auslandschefin Susanne Brunner von Radio SRF gekonnt und einfühlsam moderiert wurde. Zuvor hatte der deutsche Benediktiner-Abt am Morgen ein Pontifikalamt in der Klosterkirche zelebriert.

700’000 Franken für Notleidende im Heiligen Land

«Kirche in Not» sammelte im Rahmen seiner Wallfahrt in die Benediktinerabtei des Klosters Einsiedeln Spenden. Das Hilfswerk unterstützt die leidenden Menschen im Heiligen Land durch vielfältige Projekte – in den vergangenen Monaten mit insgesamt 700’000 Franken.

Jerusalem
Jerusalem

«Ich werde angegriffen und bespuckt, das ist ein Teil der Realität, in der ich täglich lebe», schilderte Abt Nikodemus seinen schwierigen Alltag als christlicher Geistlicher in Jerusalem. «Das Brustkreuz, das ich trage und das schon viel Speichel gesehen hat, wird von einer kleinen Gruppe nationalreligiöser Juden als Provokation aufgefasst – dabei will ich gar nicht provozieren», berichtete der gebürtige Baden-Württemberger.

«Ich bin inzwischen der einzige Christ auf der Strasse.»

Abt Nikodemus Schnabel

Dabei sei er nicht nur mit religiösen Feindseligkeiten konfrontiert. «Ich bin inzwischen der einzige Christ auf der Strasse», verdeutlichte er. Es gebe keine Pilger mehr. «Woher aber kommt dieser Hass gegenüber Christen, frage ich mich», lautete seine frustrierende Ursachenforschung. Als er vor 20 Jahren hierhergekommen sei, passierte es ihm vielleicht alle sechs Monate, dass er bespuckt wurde.

Abt Nikodemus Schnabel von der Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem.
Abt Nikodemus Schnabel von der Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem.

In der Tat haben die Christen im Heiligen Land laut «Kirche in Not» schon deutlich bessere Zeiten erlebt. Seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 herrscht offener Krieg. Die christliche Minderheit, die nur noch zwei Prozent ausmacht, gerät dabei zwischen die Fronten und wird oftmals vergessen.

1000 palästinensische Christen im Gaza

Im Gazastreifen leben (oder lebten?!) rund 1000 palästinensische Christen, davon 130 Katholikinnen und Katholiken, die von akuter Not bedroht sind. Weitere 10’000 in Ostjerusalem und 37’000 im Westjordanland sind zudem schwer von dieser Situation betroffen, auch wenn sich die Kämpfe auf den Gazastreifen konzentrieren. Seit Ausbruch der Kriegshandlungen kamen in Gaza zumindest laut gesicherten Angaben 34 Personen ums Leben.

Msgr. Paulus Sati, Irak und Ägypten
Msgr. Paulus Sati, Irak und Ägypten

«Solche schrecklichen Erfahrungen wie Abt Nikodemus habe ich bisher zwar noch nicht erlebt», versicherte Pater Paulus Sati – der über die Situation der Christen im Irak berichtete, einer Wiege des Christentums mit Städten wie Ninive. «Aber bestimmte Leute schauen uns auch schräg an», sagte er. «Christliche Priester fallen eben durch ihr Outfit auf.»

Früher lebten 1,5 Millionen Christen im Irak

Pater Paulus Sati ist tief vertraut mit dem Leben der Christen und Christinnen im Nahen und Mittleren Osten und kennt die komplexe Situation und die Herausforderungen der Menschen im Irak genau. Vor wenigen Jahrzehnten lebten rund 1,5 Millionen Christen und Christinnen im Irak. Heute sind es vermutlich weniger als 300’000 Personen.

Sr. Nabila vor der bombardierten Schule der Rosenkranzschwestern in Gaza im Dezember 2023
Sr. Nabila vor der bombardierten Schule der Rosenkranzschwestern in Gaza im Dezember 2023

«Die christliche Gemeinschaft im Irak ist zu einer kleinen Minderheit zusammengeschrumpft. Viele wurden vom IS aus ihrer Heimat vertrieben. Als die islamistischen Extremisten schliesslich aus der Ninive-Ebene vertrieben werden konnten», so Sati, «kehrten viele zurück und fanden eine verwüstete Region vor». Die Terroristen hatten die Häuser in Brand gesteckt und mit Granaten beschossen.

«Deshalb ist die christliche Gemeinschaft so multikulturell und lebt in vielen Nationalsprachen.»

Abt Nikodemus Schnabel

Doch weder Abt Nikodemus noch Pater Paulus Sati lassen sich als Christen unterkriegen. Das Christentum boome im Nahen Osten und sei bei vielen Menschen sehr beliebt, weil man Christ eben nicht wie ein Jude durch die Geburt einer jüdischen Mutter oder wie ein Moslem durch einen muslimischen Vater werde – sondern einzig und allein durch die Taufe. «Deshalb ist die christliche Gemeinschaft so multikulturell und lebt in vielen Nationalsprachen», erklärte Abt Nikodemus. «Das ist eine grosse Chance für unsere Religion.»

«Lieber einfachen Menschen zuhören als Politikern»

Aber wie das nun mit dem Gaza-Krieg? Abt Nikodemus versicherte, dass er ein angstfreies Dasein führe und versuche, so viele Standpunkte, Informationen und Gespräche «aufzusaugen», um nicht in die angebotene Falle des Antisemitismus zu tappen.

Die Terrorgruppe Hamas erschoss zahlreiche Besucherinnen und Besucher eines Festivals.
Die Terrorgruppe Hamas erschoss zahlreiche Besucherinnen und Besucher eines Festivals.

«Man sollte auf jeden Fall den einfachen Menschen zuhören und lieber sie in Mikrofone sprechen zu lassen, als ständig irgendwelchen Politikern zuzuhören». Der interreligiöse Dialog sei wichtig. Man müsse Frieden schaffen und die Waffen zum Schweigen zu bringen – und sich bewusst sein, dass es überall Christen als Opfer zu betrauern gebe.

Eindrückliche Fürbitten bei Trauerfeier ermordeter Christen

Am meisten habe ihn beeindruckt, so Abt Nikodemus, dass bei der Trauerfeier der im Zuge des Hamas-Überfalls in Israel getöteten vier philippinischen Christen die erste Fürbitte sich an die Glaubensbrüder im Gaza gerichtet habe. Die zweite Fürbitte habe der Hamas gedacht: «Möge Gott ihre Herzen bekehren.»

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Diese radikale christliche Botschaft der Feindesliebe des Benediktinerabts sorgte im Publikum für spontanen Applaus und Bewunderung. «Biblisch und christlich ist es, für die Feinde zu beten. Das Selbstverteidigungsrecht steht nicht in der Bibel: Das ist nicht Jesus von Nazareth.»

Zu den Personen

Abt Nikodemus Claudius Schnabel OSB (45) kam mit 13 Jahren zum römisch-katholischen Glauben. Nach dem Abitur hatte er Philosophie und katholische Theologie studiert. 2003 war er in die Benediktinerabtei Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem eingetreten. Den Profess und die Diakonweihe feierte er 2009, die Priesterweihe vier Jahre später. 2013 wurde er an Universität Wien promoviert. Abt Nikodemus war Subprior, Pressesprecher, Kirchenrektor und Prior-Administrator der Dormitio-Abtei. 2023 wurde er zum Abt durch den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem ernannt.

Msgr. P. Paulus Sati CSsR (45) gehört der chaldäisch-katholischen Kirche an und wirkt als Patriarchaladministrator im ägyptischen Kairo. Im Jahr 1997 kam er nach Europa und trat drei Jahre später der Ordensgemeinschaft der Redemptoristen bei. Er studierte katholische Theologie an der Universität Würzburg und wurde 2010 zum Priester geweiht. Schliesslich arbeitete er als Seelsorger für die chaldäisch-katholischen Christen in Europa und hatte seinen Sitz im belgischen Antwerpen. 2018 wurde er zum patriarchalen Administrator des chaldäischen Bistums von Kairo ernannt. Von 2021-2023 wirkte er als Verantwortlicher für die katholischen Schulen in Ägypten. 2022 wurde er zum Chorbischof geweiht. Seit 2023 ist er verantwortlich für die nationale Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in der katholischen Kirche Ägyptens. (woz)


Abt Nikodemus Schnabel und Pater Paulus Sati in Einsiedeln | © Wolfgang Holz
26. Mai 2024 | 18:51
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!