Pfarrer Stefan Roth am Ostermontag 2015.
Porträt

A wie Anrig, Z wie Zermatt: Zu Besuch beim Pfarrer vom Matterhorn

Vom Vatikan in die U-Haft: Der Fall des Gemeindeschreibers von Zermatt, Daniel Anrig, hat für Schlagzeilen gesorgt. Pfarrer Stefan Roth (69) hat indes ganz andere Sorgen, etwa den Klimawandel. Trotz Steinschlags im Sommer und Schneemangels im Herbst ist er Tourismus-Seelsorger aus Leidenschaft. Gerade in der Weihnachtszeit.

Beate Laurenti

Pfarrer Stefan Roth (69) steht auf seinem Balkon in Zermatt. Wenn er nach oben blickt, hat er unverbaute Sicht auf das schneebedeckte Matterhorn. Schaut er nach unten, sieht er Jugendliche in einem kleinen Park vor der Kirche, die laut Musik hören. Der 69-Jährige ist mittendrin im Geschehen.

Mit Gästen sind’s plötzlich 30’000 Menschen

Rund 6’000 Menschen leben und arbeiten am Fusse des Matterhorns. «Wir leben hier in einer Dreiecksbeziehung», sagt Pfarrer Roth und lacht. Er meint Einheimische, Saisoniers und Touristinnen und Touristen. Ausgerüstet mit Ski und Snowboards tummeln sich an Weihnachten bis zu 30’000 Menschen in Zermatt. «Das ist viel für eine so kleine Stadt.»

Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS
Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS

Zuletzt geriet Zermatt in die Schlagzeilen, weil der ehemalige Kommandant der Schweizergarde, Daniel Anrig, als Gemeindeschreiber in Zermatt einen unschönen Abgang hatte: Er landete in der U-Haft. Ob er Weihnachten in Freiheit verbrachte, weiss niemand: Anrigs Anwalt reagiert nicht auf Medienanfragen.

In Zermatt spielt die Schweizergarde keine Rolle

Über Daniel Anrig möchte Stefan Roth nicht sprechen. Die Schweizergarde spiele in Zermatt praktisch keine Rolle, sagt der Pfarrer. Das sei in Naters anders, hier lebten viele Ex-Gardisten – und hier gibt’s auch den Vatikan im Wallis, das Gardemuseum.

Papst Franziskus verabschiedete am 30. Januar 2015 Daniel Anrig, Kommandant der Schweizergarde.
Papst Franziskus verabschiedete am 30. Januar 2015 Daniel Anrig, Kommandant der Schweizergarde.

In Zermatt habe er es allenfalls mit zugezogenen Ex-Gardisten zu tun, sagt Stefan Roth. Erreichten diese das Pensionsalter, müsse er als Pfarrer ein Dokument unterschreiben, damit diese ihre Rente vom Vatikan erhalten.

Südkorea, Japan, Indonesien

Seit 20 Jahren lebt der Pfarrer in Zermatt mit Wow-Blick aufs Matterhorn. Sein lichtdurchflutetes Appartement ist bescheiden eingerichtet: Esstisch, blaue Couchgarnitur, Buffet und ein paar Pflanzen. Den grünen Daumen habe jedoch nicht er, sondern seine Haushaltshilfe. Auf dem Tisch stapeln sich Zeitungen. Am liebst liest Roth sie in seinem Sessel aus schwarzem Leder. Die Rückenlehne ist verstellbar.

Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS
Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS

Obwohl er selbst nicht viel reist, kann der Pfarrer Geschichten aus aller Welt erzählen. Er spricht über Begegnungen mit Menschen aus Südkorea, Japan, Indonesien und den USA. Und von einer Ärztin aus Deutschland, die seit mehreren Jahren in den Ferien nach Zermatt kommt und das Gespräch mit ihm sucht.

Die Menschen sind auf der Suche

Der Tourismuspfarrer Stefan Roth liebt das Wandern. Oft hat er spirituelle Führungen zu Kapellen angeboten – für Pärchen und Familien. Und für diejenigen, die auf der Suche sind. Nach Erholung. Oder zu sich selbst.

Zermatter Skigebiet vor dem Matterhorn
Zermatter Skigebiet vor dem Matterhorn

Obwohl viele Menschen nur für ein oder zwei Wochen im Jahr in Zermatt wohnen, beeinflussen sie das Pfarreileben. In der Hauptsaison liegen in der Kirche Lesung, Evangelium und eine kurze Mediation in mehreren Sprachen auf – darunter auch Italienisch und Portugiesisch.

Extra-Gottesdienste an Weihnachten

Laut Roth geht es darum, Menschen aus aller Welt willkommen zu heissen. «Wir wollen zeigen: Ihr kommt in die Kirche, aber die Kirche auch zu euch.» An einem gewöhnlichen Sonntag feiert Roth mit mehreren hundert Menschen Gottesdienst. «An Weihnachten fülle ich die Kirche bis zu fünf Mal», sagt er mit Stolz in der Stimme.

Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS
Stefan Roth, Pfarrer in Zermatt VS

Während Roth erzählt, klingelt das Telefon mehrmals. Es geht um Besprechungen mit der Jugend und um Termine. Dann läutet es an der Tür. Jemand möchte gerne die Kleiderspenden vor dem Pfarrbüro abholen. Der 69-Jährige eilt die Treppen hinunter und wieder hoch. Ausser Atem ist er nicht. 

Kritik an der Absage des Pfaffen-Cups

Ausser dem Wandern brennt Roth für Wintersport. Auf seinem Buffet steht ein goldener Skifahrer, «Pfaffen-Cup 2009, Kombination Herren 2» ist darauf eingraviert. Der Pfaffen-Cup ist im Oberwallis Tradition. Seelsorgerinnen und Seelsorger des Bistums Sitten kommen in der Fastnacht zusammen und fahren um die Wette. Wobei der Wettkampf weniger im Vordergrund steht als das gemütliche Zusammensein.

Pokal vom "Pfaffen-Cup" 2009.
Pokal vom "Pfaffen-Cup" 2009.

Dieses Jahr gab’s Kritik, weil der Pfaffen-Cup abgesagt wurde mit der Begründung: Corona. Dabei gab es im Frühjahr durchaus diözesane Treffen aller Oberwalliser Seelsorgerinnen und Seelsorger. Wenn ohnehin alle zusammenkommen, hätte der Pfaffen-Cup durchaus stattfinden können. Pfarrer Roth ist überzeugt, dass im März 2023 der Pfaffen-Cup wieder veranstaltet wird.

Das Weltcup-Rennen wurde abgesagt

Nicht wegen Corona, sondern wegen Schneemangels wurde diesen Herbst das Weltcup-Rennen in Zermatt abgesagt. Für einen Tourismus-Seelsorger aus Leidenschaft ist das keine gute Nachricht. Bis zuletzt habe er jeden Morgen prüfend aus dem Fenster geblickt und den Schneestand beobachtet. «Wir haben schon mitgefiebert», sagt Pfarrer Roth. «Aber da ist die Natur halt immer ein bisschen stärker als der Mensch.»

Gipfelkreuz im Wallis, in der Nähe von Zermatt.
Gipfelkreuz im Wallis, in der Nähe von Zermatt.

An diesem Tag prallt die Sonne auf Roths Balkon. Neben Touristinnen im T-Shirt stapfen Pärchen in Schneemontur durch den Ort auf dem Weg zum Skilift. Nahezu alle Menschen in Zermatt seien abhängig vom Tourismus, sagt Pfarrer Roth. 2019 zählte der Ort laut Gemeinde mehr als zwei Millionen Übernachtungen. Vergangenes Jahr kam Zermatt trotz anhaltender Pandemie auf rund 1,5 Millionen Logiernächte.

«Laudato si’» in den Alpen

Der Klimawandel macht sich auch in Zermatt bemerkbar. Ein Fall für «Laudato si’»? Pfarrer Roth sagt: «Die Frage nach dem Umgang mit der Natur ist inzwischen viel stärker im Bewusstsein der Menschen angekommen. Dasselbe gelte für den Umgang mit Ressourcen.»

Eucharistiefeier im Skigebiet (Archivbild).
Eucharistiefeier im Skigebiet (Archivbild).

Wer den Klimawandel leugne, solle nach Zermatt kommen, findet Pfarrer Roth. «Im Sommer wurde das Matterhorn kurzfristig wegen Steinschlags gesperrt. Im Herbst gab’s zu wenig Schnee, das Weltcuprennen musste abgesagt werden. Die Natur spielt verückt.»

«Mein grösster Feind ist die Gleichgültigkeit»

Von radikalen Klima-Protesten hält der Pfarrer nichts. «Ich bin kein Freund davon, dass man sich auf einer Strasse festklebt. Ich würde mich nicht anketten lassen.» Gleichzeitig sei er dankbar dafür, dass es Gruppen gebe, die solche Anliegen wachhielten. «Mein grösster Feind ist die Gleichgültigkeit, die ich heute bei vielen Menschen wahrnehme.»

Den grünen Daumen habe nicht er, sondern seine Haushaltshilfe, sagt Pfarrer Stefan Roth.
Den grünen Daumen habe nicht er, sondern seine Haushaltshilfe, sagt Pfarrer Stefan Roth.

Auf Pfarrer Roth wartet der nächste Termin: eine Taufe. Seine Sachen packt er in einen kleinen Koffer, den er zu einem Rucksack umfunktioniert. Dann schwingt er sich auf sein E-Bike, es ist bereits das Zweite. Sein erstes Fahrrad wurde ihm geklaut. Aufgetaucht ist es einige Zeit später in Südtirol. Dort hat er das E-Bike Klosterbrüdern gespendet.


Pfarrer Stefan Roth am Ostermontag 2015. | © zVg
27. Dezember 2022 | 05:00
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