Bischof Paul Hinder segnet Gläubige nach einer Messe. Aufnahme aus dem Jahr 2018.
Story der Woche

80 Jahre und noch immer Bischof: Abu Dhabi feiert Paul Hinder

Kein Schweizer Bischof leitet eine so grosse Diözese wie Paul Hinder, dem Bischof von Arabien. Der Schweizer Kapuziner wird heute 80. Ein Gespräch über seine Heimat im Thurgau, die Hoffnung auf Frieden im Jemen – und warum nun ein Nachfolger in Sicht ist.

Jacqueline Straub

Alles Gute zum 80. Geburtstag, Bischof Paul! Wie verbringen Sie den heutigen Tag?

Bischof Paul Hinder*: Im Bischofshaus in Abu Dhabi. Der Tag wird gefüllt sein von Telefonanrufen, SMS, E-Mails und Leuten, die zu einem kurzen Gratulationsbesuch kommen. Unser Koch wird uns am Mittag kulinarisch verwöhnen. Um 19 Uhr feiere ich mit den Gläubigen auf dem Platz vor der Kirche einen Festgottesdienst. Nach der Vorstellung der Festgabe, einem Buch, in dem meine Pastoralbriefe und eine Auswahl verschiedener Vorträge und Artikel der vergangenen Jahre gesammelt sind, gibt es ein Nachtessen für alle Priester, die Ordensschwestern und das Laienpersonal.

Bischof Paul Hinder während der Audienz bei Papst Franziskus am 18. September 2020.
Bischof Paul Hinder während der Audienz bei Papst Franziskus am 18. September 2020.

Vor fünf Jahren haben Sie Papst Franziskus Ihren Rücktritt angeboten. Warum ist es für den Heiligen Stuhl so schwierig, einen Nachfolger für Sie zu finden?

Hinder: Es ist nicht nur für den Heiligen Stuhl, sondern auch für den Kapuzinerorden, der für die beiden Bischöfe in Arabien das Vorschlagsrecht hat, schwierig, geeignete Kandidaten zu finden, die dann am Ende des Evaluationsverfahrens auch ja sagen. Das war schon vor 19 Jahren der Fall, als ich am Ende eines langen Verfahrens schliesslich im Netz hängen blieb. Unterdessen zeichnet sich hier eine Lösung ab und die Verkündigung des neuen Bischofs dürfte nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.

Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.
Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.

Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Hinder: Ich schmiede im Moment keine grossen Pläne mehr. Meine Zeit als aktiver Bischof kommt nächstens an ein Ende. Da geht es vor allem darum, die Amtsübergabe gut zu gestalten und dem Nachfolger den Einstieg in die komplexe Aufgabe zu erleichtern. Für mich selbst erhoffe ich nach vielen Jahrzehnten intensiver Tätigkeit etwas mehr Ruhe. Gerne werde ich mich – voraussichtlich in der Schweiz – mehr dem Gebet widmen, für gewisse Dienste zur Verfügung stehen, mir Zeit nehmen zum Lesen und Musik hören und die Beziehungen zu jenen Menschen stärker pflegen, die ich in den letzten Jahren berufsbedingt vernachlässigt habe.

Kinder und alte Menschen leiden am meisten unter der humanitären Katastrophe im Jemen.
Kinder und alte Menschen leiden am meisten unter der humanitären Katastrophe im Jemen.

Zu Ihrem Vikariat gehört auch der Jemen. Seit kurzem gibt es hier eine Waffenruhe. Wird sie halten?

Hinder: Die Tatsache, dass unterdessen alle Kriegsparteien einzusehen scheinen, dass keine Seite den Krieg auf dem Schlachtfeld gewinnen kann, berechtigt zur Hoffnung, dass die Waffenruhe den Ramadan überdauert. Das schliesst allerdings nicht aus, dass einzelne Fraktionen mit selbständigen Aktionen den Krieg erneut anzufachen versuchen. Im Moment bin ich jedoch zuversichtlich, dass es zu substantiellen Verhandlungen zugunsten einer dauernden Waffenruhe kommt.

Bischof Paul Hinder (links) mit Bundesrat Ignazio Cassis vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi (2020).
Bischof Paul Hinder (links) mit Bundesrat Ignazio Cassis vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi (2020).

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt die Menschen in der Schweiz – der Krieg im Jemen ist beinahe in Vergessenheit geraten. Wie gehen Sie mit dieser Ungerechtigkeit um?

Hinder: Das ist ja nicht neu. Jemen ist geographisch und vor allem psychologisch weit weg. Nach dem Suezkanal hört das Interesse der Bevölkerung in der Schweiz für die dortige Region bald einmal auf, es sei denn, dass ein Tanker die Schiffsstrasse blockiert und den Nachschub nach Europa gefährdet. Es tut mir natürlich weh zu sehen, dass die geschätzten 30 Millionen Einwohner, von denen mindestens 93 Prozent Jemeniten sind, nicht mehr Beachtung finden. Es geht immerhin um die Gefährdung von Millionen Menschen und um die Bedrohung einer Jahrtausende alten Kultur. Hinzu kommt die Tatsache, dass ein möglicher Flüchtlingsstrom aus Jemen Europa und die Schweiz vor zusätzliche Herausforderungen stellen könnte.

Mittagessen in Abu Dhabi: Links der jetzige Zürcher Synodalrat Martin Stewen, Gandolf Wild, rechts hinten Bischof Paul Hinder.
Mittagessen in Abu Dhabi: Links der jetzige Zürcher Synodalrat Martin Stewen, Gandolf Wild, rechts hinten Bischof Paul Hinder.

Abgesehen vom Jemen: Was sind die grössten Herausforderungen Ihrer Arbeit? Sie sind derzeit auch für Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zuständig.

Hinder: Jedes dieser Länder hat seine eigene Prägung, was das Verhältnis zu den Nicht-Muslimen betrifft. Wer hier Bischof ist, muss mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf die komplexen Situationen eingehen und Beziehungen zu den jeweiligen Regierungsstellen aufbauen. Auf die Kirche und ihre Gläubigen bezogen gehört es zum Kerngeschäft des Bischofs, seine Schwestern und Brüder im Glauben zu stärken, innerhalb der multinationalen und multirituellen Gemeinschaft die Einheit zu gewährleisten, die Solidarität untereinander zu fördern und so gut wie möglich mit den Gemeinden in Kontakt zu stehen. Das geschieht durch jährliche Pastoralbesuche, bei denen ich je nach Grösse der Pfarrei jeweils vier bis zehn Tage in einer Pfarrei lebe, Gottesdienste feiere, Firmungen spende, mit Priestern und den andern Gläubigen im Gespräch bin. Dazu kommt das Konfliktmanagement, wenn Probleme zwischen einzelnen Gruppen oder zwischen Gläubigen und Priestern zu lösen sind. Herausfordernd sind auch die periodischen Begegnungen mit Teenagern, mit jungen Erwachsenen und mit den Katechetinnen und Katecheten, denen ich mich jeweils in längeren Sitzungen im Frage- und Antwortstil stelle.

Bischof Paul Hinder bei einer Segnung
Bischof Paul Hinder bei einer Segnung

Zurzeit sind Sie für zwei Vikariate zuständig – das nördliche und das südliche Arabien. Wie ist dieses Pensum zu stemmen?

Hinder: Da ich nicht oft in die verschiedenen Länder reisen kann, ist für mich das Internet unverzichtbar. Ein Grossteil meiner täglichen Arbeit läuft über das Telefon oder Internet (E-Mails, Video-Konferenzen). Viele meiner Predigten sind den Gläubigen im ganzen Einzugsbereich über YouTube zugänglich. Pastoralbriefe und Botschaften zu besonderen Anlässen erreichen die Gläubigen über die Website der beiden Apostolischen Vikariate. Am Liebsten ist mir aber immer noch der persönliche Kontakt in physischer Präsenz der Leute.

Ein eigener Lift für Priester: Solch Klerikalismus ist Bischof Paul Hinder fremd. Er nimmt's mit Humor.
Ein eigener Lift für Priester: Solch Klerikalismus ist Bischof Paul Hinder fremd. Er nimmt's mit Humor.

Sie sind im Thurgau aufgewachsen. Hätten Sie als Kind gedacht, dass Sie Ihren 80. Geburtstag mal auf der arabischen Halbinsel verbringen werden?

Hinder: Ich bin im Weiler Niederhof bei Lanterswil aufgewachsen, wo Fuchs und Hase einander gute Nacht sagen. Obwohl wir von zuhause bei klarem Wetter im Norden den Hohentwiel bei Singen und im Osten die Allgäuer Alpen sehen konnten, war unsere Welt klein und unser Horizont sehr begrenzt. Mein Vater hat abgesehen von einer Pilgerreise nach Rom in seinen jungen Jahren das Land nie verlassen. Ich selbst hätte in meiner Kindheit nie gedacht, dass meine zukünftigen Aufgaben mich einmal in alle Welt führen würden – und schliesslich nach Abu Dhabi.

Zwei Schweizer in Arabien: Bruder Gandolf Wild mit Bischof Paul Hinder
Zwei Schweizer in Arabien: Bruder Gandolf Wild mit Bischof Paul Hinder

Wollten Sie schon immer Priester werden?

Hinder: Obwohl es damals weder in der Pfarrei noch in der nähern Verwandtschaft Priesterberufe gab, kam mir der Gedanke schon sehr früh. Spätestens als Ministrant in der Pfarrkirche Bussnang wuchs in mir der Wunsch, auch einmal Pfarrer zu werden. Dass mein zweitältester Bruder bei den Benediktinern in Einsiedeln eintrat und ich bald danach bei den Kapuzinern im Kollegium Appenzell das Gymnasium besuchen konnte, halfen mir bei der Berufsentscheidung.

Papst Franziskus begleitet von Bischof Paul Hinder im Zayed Sports City Stadium in Abu Dhab im Jahr 2019.
Papst Franziskus begleitet von Bischof Paul Hinder im Zayed Sports City Stadium in Abu Dhab im Jahr 2019.

Auf was blicken Sie besonders dankbar zurück?

Hinder: Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich für das, was ich als Kind in meiner Familie, in der Pfarrei, am Kollegium Appenzell und schliesslich im Orden bekommen habe. Ich erinnere mich mit Freude an meine vielfältigen Aufgaben in Fribourg, Luzern und vor allem Altdorf, wo Freundschaften gewachsen sind, die bis heute dauern. Als Mitglied der Ordensleitung in der Schweiz und schliesslich in Rom öffnete sich mir ein weiter Horizont, der mich in alle Kontinente führte und eine Welt entdecken liess, die mir sonst fremd geblieben wäre. Ich bin während meinen 80 Lebensjahren von andern vielfältig beschenkt worden und hoffe, dass ich in den verschiedenen Aufgaben auch vielen Menschen etwas mitgeben konnte.

Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.
Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.

Was würden Sie heute anders machen?

Hinder: Rückblickend würde ich früher und intensiver andere Sprachen lernen und mehr Zeit für das Lesen und das kulturelle Leben investieren. Da ich sehr früh in verantwortungsvolle Positionen gewählt wurde, blieb oft zu wenig Zeit für die Pflege persönlicher Beziehungen, was nicht zuletzt meine Freunde und Freundinnen zu spüren bekamen. Nun ins Alter gekommen bedauere ich öfters, dass ich mir diesbezüglich nicht mehr Freiraum gegönnt habe.

Bischof Hinder (l.) mit Priestern in Abu Dhabi
Bischof Hinder (l.) mit Priestern in Abu Dhabi

Welche Stationen auf Ihrem Lebensweg haben Sie besonders geprägt?

Hinder: Nebst dem familiären Umfeld und den Lehrern haben mich fraglos einzelne Freundschaften innerhalb und ausserhalb des Ordens geprägt. Das gilt vor allem für die Zeit, als ich in Fribourg und in Altdorf wirkte. Die Zeit des konziliären Aufbruchs in den 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts erlebte ich als einen kirchlichen Frühling. Die Zeit danach bis heute prägte sich mir nicht als Winter ein, sondern als Zeit harter und geduldiger Arbeit im Weinberg des Herrn vergleichbar mit der nicht immer nur geliebten Feldarbeit auf dem kleinen Bauernhof meiner Kindheit. Die Ein- und Umstellung auf andere Kulturen hat mich nachhaltig geprägt. Ich denke an meinen zehnjährigen Aufenthalt in der Westschweiz und an die Zeit in Rom, wo es galt mich in andere Sprachen und Mentalitäten einzuleben. Schliesslich erschloss sich mir in den vergangenen 18 Jahren trotz mangelnder Arabisch-Kenntnisse eine ganz neue religiöse und kulturelle Umwelt, die mir half, vieles in einem neuen Licht zusehen. Fraglos haben mich meine Mitgläubigen aus allen Teilen der Welt hier in Arabien nachhaltig geprägt. Ihnen verdanke ich eine Vertiefung meines eigenen Glaubens. An dieser Stelle möchte ich meinen kürzlich in Wil verstorbenen und langjährigen Mitarbeiter Bruder Gandolf Wild namentlich erwähnen.

Papst Franziskus und Bischof Paul Hinder im Jahr 2020.
Papst Franziskus und Bischof Paul Hinder im Jahr 2020.

Wie blicken Sie auf die Zukunft der Kirche?

Hinder: Die Kirche, in der ich als Jugendlicher und dann als Priester hineingewachsen bin, geht durch einen schmerzhaften und kritischen Wandlungsprozess. Da ich aber in den letzten 40 Jahren das Glück hatte, viele positive Kirchenerfahrungen zu machen mit Gläubigen, die sich mit Freude und Engagement auf das Evangelium Jesu Christi eingelassen haben, lebe ich in der Hoffnung und Zuversicht, dass die Kirche Zukunft hat. Dabei verlasse ich mich auf die Zusage Jesu, dass er «bis zum Ende der Welt bei uns bleibt».

Bischof Paul Hinder (von rechts) mit den Scheichs Nahyan und Ali Al Hashemi
Bischof Paul Hinder (von rechts) mit den Scheichs Nahyan und Ali Al Hashemi

Wo sehen Sie Veränderungspotential in der Kirche?

Hinder: Das Veränderungspotential sehe ich vor allem in jenen Frauen und Männern, die in positiver Glaubensgestimmtheit sich gemeinschaftsstiftend ins Leben der Gemeinden einbringen. Das geht nicht ohne schmerzliche Veränderungsprozesse und wird eine weitere Diversifikation der Dienste in der Kirche erfordern. Dazu gehört der Mut, sich vom Wort Gottes führen zu lassen und das Eigenprofil zu bewahren, das sich in mancher Hinsicht an gängigen Gesellschaftstrends reibt. Wir müssen die Kirche nicht neu erfinden, dürfen und sollen ihr aber zutrauen, ihre zeitgemässe Form als lebendige Trägerin der frohen Botschaft zu finden. Paulus sagt dazu: «Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau.» Ich bin zuversichtlich, dass Gott auch in Zukunft viele Frauen und Männer zu lebendigem Glauben und freudiger Mitarbeit erweckt und ermächtigt.

* Paul Hinder (80) ist ein Schweizer Kapuziner-Priester und Bischof von Abu Dhabi. Zu seiner Diözese gehören Bahrain, Jemen, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.


Bischof Paul Hinder segnet Gläubige nach einer Messe. Aufnahme aus dem Jahr 2018. | © zVg
22. April 2022 | 05:00
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