Zu viel Rücksicht auf die Täter

In Liechtenstein wird eine erneute Verschärfung des Strafrechts bei Kindsmissbrauch gefordert. Im Fokus steht auch ein katholischer Pfarrer, der erstinstanzlich wegen des Konsums von Kinderpornografie verurteilt worden ist.en ist.

Günther Meier, Vaduz

Sexueller Missbrauch von Kindern soll härter bestraft werden. Über diese Forderung waren sich im Parlament alle Abgeordneten einig, als die Regierung des Fürstentums Liechtenstein mit einer Motion dazu aufgefordert wurde, eine entsprechende Anpassung des Strafrechts vorzunehmen. Liechtenstein ist schon 2015 dem Übereinkommen des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch beigetreten. Bei dieser Gelegenheit liess sie verlauten, die liechtensteinische Rechtsordnung genüge weitgehend den dort definierten Anforderungen. Inzwischen ist das Strafrecht einer umfassenden Revision unterzogen worden. Damit wurden auch die Strafandrohungen bei Sexualdelikten mit Kindern und Jugendlichen erhöht, die bei besonders schweren Fällen bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe betragen können. Opfer leiden lebenslang

Nicht genug, befanden die Abgeordneten des Landtags. Kindern und Jugendlichen müsse «der höchste Schutz durch Gesetze und Strafgerichte» zukommen, fordert die Fraktion der Vaterländischen Union mit einem Vorstoss, den die Regierung schon in der ersten Jahreshälfte 2022 mit einer Vorlage beantworten will. Kinder hätten oft lebenslang an den Folgen von schweren Missbrauchsdelikten zu leiden, heisst es in der Begründung des Vorstosses, während sich die Täter schon nach der Bezahlung einer geringen Geldstrafe oder nach relativ kurzer Strafverbüssung wieder auf freiem Fuss befänden. Die Opfer-Täter-Symmetrie wirke stossend, weil damit der Eindruck entstehe, die Täterschaft werde für die Schwere des durch sie angerichteten physischen und psychischen Schadens oder Leids nicht einer gerechten Strafe zugeführt. Kritik übt der Vorstoss an der Spruchpraxis der Gerichte: Bei der Strafbemessung werde zu viel Rücksicht auf die Täter genommen und zu wenig Empathie für die Situation der Opfer aufgebracht.

Das, worüber in diesem Zusammenhang im Parlament diskutiert wurde, ist in den sozialen Netzwerken schon reichlich thematisiert worden – mit entsprechenden Forderungen an Politik und Justiz zur Verschärfung des Strafrechts. In der Öffentlichkeit auf Unverständnis gestossen ist der Fall eines Mannes, der wegen Besitzes von Kinderpornografie zu einer geringen Geldstrafe von 1800 Franken und einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden war. «Wäre der Delinquent betrunken Auto gefahren», heisst es dazu im Vorstoss der Vaterländischen Union, «so wäre die Busse höher ausgefallen» als nun jene für den «abscheulichen Besitz von kinderpornografischem Material».

Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Verurteilung eines katholischen Pfarrers, dem vorgeworfen wurde, pornografisches Material auf seinem Handy gespeichert und im Internet nach Kinderpornografie gesucht zu haben. Die Verurteilung ist noch nicht rechtskräftig, weil der Gottesmann Berufung gegen das Urteil eingelegt und das Obergericht den Fall über den mutmasslichen Konsum von Kinderpornografie zur erneuten Beurteilung an das Landgericht zurückgewiesen hat. Ermittlungen hatten ergeben, dass im Browser-Verlauf auf dem Mobiltelefon des Beschuldigten knapp 200 Websites mit einschlägigen Inhalten aufgetaucht seien. Allerdings konnte bisher nicht festgestellt werden, wann genau diese Internetaufrufe erfolgten. Weil der Pfarrer eine Schuld bestreitet und andeutete, es könnten auch Unbekannte sein Mobiltelefon benutzt haben, verlangt das Obergericht vom Landgericht im erneuten Verfahren «präzisere Feststellungen» über konkrete Zugriffe auf die Websites. Unbefristetes Berufsverbot

Das erste Urteil gegen den Pfarrer, der nach seiner Suspendierung als Seelsorger und Religionslehrer in sein Heimatland abreiste und der Gerichtsverhandlung mit Hinweis auf Corona-Restriktionen fernblieb, führte massgeblich zum Vorstoss im Parlament zur Verschärfung der Strafnorm. Obwohl das Strafgesetz ein Strafmass von bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug für solche Vergehen vorsehe, kritisierten Abgeordnete im Landtag, habe das Landgericht den Pfarrer nur zu einer Geldstrafe von 27 000 Franken verurteilt, davon den überwiegenden Anteil von 15 000 Franken bedingt auf drei Jahre.

Die ursprünglich auf den 22. Juli 2021 angesetzte zweite Verhandlungsrunde ist vom Landgericht auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Als Anlass nannte das Gericht «beweistechnische Gründe», was mit dem Nachweis zusammenhängen dürfte, ob der Pfarrer selbst oder andere dessen Smartphone zum Aufrufen der strafrechtlich relevanten Websites benützt haben.

Der Geistliche liess seine Unschuld aber nicht nur durch seinen Verteidiger vor Gericht beteuern, sondern richtete in Deutschland eine eigene Website ein, die der Entlastung von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen dienen soll. Ausserdem kämpft er gegen das von der Regierung verhängte unbefristete Berufsverbot, das ihm die Tätigkeit als Religionslehrer untersagt, eine Suspendierung, gegen die er überdies vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen will.

Neue Zürcher Zeitung
5. Januar 2022 | 10:36