«Wir sind eine kinderarme Gesellschaft»

Damit der Generationenvertrag Bestand hat, braucht es zwischen Jung und Alt mehr Dialog und weniger Konfrontation, findet Klara Reber

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Christian Lanz
Anlässlich des «Tag des Alters» vom vergangenen Samstag hat die Pro Senectute Winterthur und Umgebung zum Generationendialog aufgerufen. Wie Klara Reber, Präsidentin des Regionalen Seniorinnen- und Senioren-Verbands Winterthur, im Rahmen einer Podiumsdiskussion in ihrem Einführungsreferat darlegte, ist heute viel von der sozialen Belastung durch die ältere Generation die Rede. «Wir werden in der Tat immer älter und bleiben in der Regel auch länger gesund», sagte Reber. Nicht geändert habe sich demgegenüber der Umstand, dass die Familie nach wie vor der wichtigste Ort von Solidarität und Hilfeleistungen sei. «Ein Grossteil der Pflege bei älteren Menschen wird von Familienangehörigen übernommen», hielt sie fest. «Ohne deren tatkräftige Unterstützung müssten viele Senioren in einem Heim leben.» Die Unterstützungsleistungen seien oft gegenseitiger Art: «Die jüngere Ge neration kommt für die Betreuung und Pflege der Älteren auf, diese wiederum betreuen die Enkelkinder oder unterstützen ihre Kinder finanziell, zum Beispiel bei der Familiengründung.»
Als paradox bezeichnete Reber die Tatsache, dass die Zahl älterer Menschen in allen industrialisierten Gesellschaften wachse, ihr politischer Einfluss mit dieser Entwicklung aber nicht standhalte. Mehr Einfluss und Mitsprache verspricht sie sich von Seniorenräten. In verschiedenen Schweizer Städten und Kantonen, so unter anderem in Luzern und im Tessin, hätten solche Gremien ihre Effizienz unter Beweis gestellt. Reber selber ist Kopräsidentin des Schweizerischen Seniorenrates (SSR), der als beratendes Organ des Bundesrates zu allen wichtigen Bundesvorlagen, die Altersfragen betreffen, seine Stellungnahmen abgeben kann.

Mehr Tagesstrukturen
Als Kernpunkt stellte Reber einen weiteren Aspekt ins Zentrum ihrer Überlegungen. «Eigentlich sollten wir nicht von einer immer älter werdenden Generation sprechen, sondern von einer kinderarmen Gesell schaft», hielt sie fest. In fast allen industrialisierten Staaten würden die Geburtenzahlen sinken. Länder mit einer fortschrittlichen Familienpolitik wie bespielsweise in Skandinavien hätten demgegenüber einen Zuwachs an Geburten zu verzeichnen.
«In der Schweiz», folgerte Reber, «ist es unattraktiv geworden, Kinder grosszuziehen.» Jetzt sei die Politik gefordert. «Es muss möglich sein, dass Frauen Beruf und Familie unter einen Hut bringen können», sagte sie – und wies darauf hin, dass es dazu neben mehr Teilzeitjobs auch gut ausgebildete schulische Tagesstrukturen brauche sowie eine genügende Anzahl an Betreuungsangeboten wie zum Beispiel Kinderkrippen.
Über alles stellte Reber den Dialog zwischen Jung und Alt: «Wir müssen davon wegkommen, dauernd zwischen Alters-, Jugend- und Familienpolitik zu unterscheiden. Was wir jetzt brauchen, ist eine umfassende Generationenpolitik.» Wichtig sei, dass die ältere Generation für vollwertig genommen werde: «Ältere Menschen wollen nicht nur betreut werden, sondern für sich selbstverantwortlich und eigenständig handeln.» Dass Ältere in der Betreuung von Kindern eine wichtige Unterstützung sein können, zeigt das vor fünf Jahren von der Pro Senectute lancierte Projekt «Seniorinnen und Senioren in Schule, Hort und Kindergarten». Dabei stellen Rentnerinnen und Rentner während zwei bis vier Stunden pro Woche Lebenserfahrung, Geduld und Zeit zur Verfügung.

Rechnen und zuhören
Als ehrenamtliche Klassenhilfen sind sie auf allen Stufen der Primarschule tätig, helfen bei der Vorbereitung und Durchführung von Projektwochen, begleiten die Schüler auf Exkursionen, führen in kleinen Gruppen Rechenspiele durch und sind aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer beim Vorlesen von Geschichten. An der abschliessend Podiumsrunde unter der Leitung von Thomas Kunz, verantwortlich für die Gemeindliche Altersarbeit bei Pro Senectute, äusserten sich Mittelstufenlehrerin Beatrice Würgler, Hortleiterin Sabine Ronecker, Iris Brom aus der Kreisschulpflege sowie Hort-Seniorin Ursula Steiner und Walter Deck, Senior im Klassenzimmer, übereinstimmend positiv über das erfolgreiche Projekt.

Landbote
3. Oktober 2005 | 09:44