Weihwasser auf Beton: Wie oft werden heutzutage öffentliche Neubauten noch kirchlich eingesegnet?

Das Einsegnen von Schulhäusern, Feuerwehrdepots oder Turnhallen hat in vielen Gemeinden Tradition. Doch ist diese Praxis in Zeiten zunehmender Säkularisierung überhaupt noch verbreitet? In den Gemeinde der Region Wil zeigt sich ein pragmatischer Umgang.
Die Gemeinde Zuzwil feierte Ende Februar die Grundsteinlegung ihrer neuen Dreifachturnhalle. Nebst weltlichen Worten von Gemeindepräsident Roland Hardegger erfuhr das Gebäude auch kirchlichen Zuspruch. Die reformierte Pfarrerin Greet Egli hielt eine kurze Rede, genauso wie der katholische Pfarreiverantwortliche Rolf Tihanyi. Und: Tihanyi segnete im Anschluss den Neubau und versprühte Weihwasser vom weiten Hallentrakt bis in die unterirdischen Sanitärräume.
Es stellt sich die Frage: Ist eine Segnung öffentlicher Gebäude durch die Kirche heutzutage noch gängige Praxis? Grundsteinlegung mit kirchlicher Einsegnung? Wie handhaben die Gemeinden im Raum Wil diese Tradition?
Für Roland Hardegger, Gemeindepräsident von Zuzwil, ist die Einsegnung der Dreifachturnhalle nichts Unübliches. Bereits das Wohn- und Pflegeheim Lindenbaum sei ökumenisch eingesegnet worden. Er sagt:

«Ich finde dies eine schöne, besinnliche Tradition.»

Die Einsegnung der neuen Turnhalle sei auch auf Wunsch des Architekten erfolgt. In der Nachbargemeinde Niederhelfenschwil wird das Feuerwehrdepot jährlich mit einem Gottesdienst gesegnet. Zu Einsegnungen öffentlicher Gebäude ist es in den letzten Jahren mangels Neubauten indes nicht gekommen.

Öffnung für verschiedene Religionen

Auch in der Stadt Wil kam es gemäss dem Kommunikationsverantwortlichen Philipp Gemperle in den letzten Jahren zu keiner Einsegnung. Ein Konzept hierzu besteht nicht. «Ob es zu einer Einsegnung kommt, entscheidet der Stadtrat von Fall zu Fall.» Sicher aber würde eine öffentliche Einsegnung ökumenisch durchgeführt und allenfalls auch für andere Religionen geöffnet, sagt der städtische Kommunikationsverantwortliche.

Für interreligiöse Segnungen plädiert auch der Wiler Stadtpfarrer Roman Giger. Er verweist auf ein Beispiel mit nationaler Strahlkraft: den Gotthard-Basistunnel. Nebst einem Priester, einer Pfarrerin und einem Rabbiner segnete auch der Wiler Imam Bekim Alimi den Tunnel ein. In der Stadt Wil habe er zuletzt die Stadtbibliothek oder die Alterswohnungen Sonnenhof eingesegnet. Etwa fünf bis zehnmal jährlich spricht Giger seinen Segen auch für private Gebäude.

Tradition scheint im Thurgau weniger verbreitet

Überschreitet man die Kantonsgrenze, so zeigt sich ein leicht anderes Bild. Im Kanton Thurgau scheint die Praxis der Segnung öffentlicher Gebäude weniger verbreitet zu sein. Sowohl Kurt Baumann, Gemeindepräsident von Sirnach, als auch Guido Grütter, Gemeindepräsident von Münchwilen, geben sich überrascht ob der Praxis der Einsegnung. In den letzten Jahren sei es zu keinen Einsegnungen öffentlicher Neubauten gekommen. Grütter sagt:

«Dies scheint mir unter dem Aspekt der Trennung von Kirche und Staat nicht üblich.»

Gleichzeitig zeigt er sich wie auch Baumann aber offen für eine solche Praxis. «Wenn der Wunsch danach besteht, so würden wir dies wohl nicht ablehnen.» Mit der Präambel der Bundesverfassung, die sich aufs Christentum beruft, sei dies durchaus zu rechtfertigen. Auch Martin Imboden, Gemeindepräsident von Wuppenau, kann sich eine solche Praxis vorstellen. «Als traditionelle Landgemeinde beginnen wir Gemeindefeiern oft mit Gottesdiensten.» Zu Einsegnungen sei es in den letzten Jahren wegen fehlender Neubauten aber nicht gekommen, sagt Imboden.

Leichte Unterschiede wegen der Konfession?

Wohl bestehen in der Umsetzung keine grossen Unterschiede zwischen den Kantonen St. Gallen und Thurgau. In beiden Kantonen sind Einsegnungen öffentlicher Gebäude durch die Kirchen selten, zumal Neubauten durch die Gemeinde nicht allzu oft vorkommen. Dennoch scheint die Praxis im katholisch geprägten St. Gallen üblicher zu sein und etwas häufiger vorzukommen als im mehrheitlich reformierten Thurgau. Diesen Schluss lässt sich aus den Aussagen der verschiedenen Gemeindepräsidenten aus den beiden Kantone ziehen. Kirche und Staat scheinen im Kanton St. Gallen in der Tendenz etwas enger miteinander verbunden zu sein als im Nachbarkanton Thurgau.

Wiler Zeitung
20. März 2019 | 08:44