Von der Systemrelevanz der Hoffnung

Christian Cebulj über eine andere Art von Corona-Demonstration

Am Karsamstag, dem 3. April, starten die christlichen Kirchen der Schweiz gemeinsam eine etwas andere, aber sehr eindrucksvolle Demonstration ökumenischer Verbundenheit: Sie laden dazu ein, unter www.lichtschenken.ch eine virtuelle Kerze anzuzünden. Auf diese Weise soll die Schweizerkarte zum Gedenken an die Corona-Toten in ein digitales Lichtermeer der Solidarität verwandelt werden. Die Schweizer Kirchen schaffen mit diesem neuen Internet-Auftritt einen Ort für Botschaften, Gebete und Gedanken der Hoffnung. Bundespräsident Guy Parmelin entzündet das erste Licht.

Nach über einem Jahr in der Coronapandemie rufen die christlichen Kirchen die gesamte Öffentlichkeit zwischen Karsamstag und Pfingstmontag (3. April bis 24. Mai) zur schweizweiten Solidarität auf. Gemeinsam lancieren die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS), die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), die Christkatholische Kirche der Schweiz (CKK), die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK) und die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) dafür die dreisprachige Gedenkseite Lichtschenken.ch. Für Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz, können Lichter des Gedenkens und der Hoffnung einander begleiten: «Mitmenschen durch den Corona-Tod zu verlieren, ist sehr traurig. Wir vergessen die Toten nicht und trösten einander. Dafür schenken wir uns gegenseitig ein Licht. Es gibt Hoffnung auf Leben.» Rita Famos, Präsidentin der EKS, betont, wie wichtig es in diesen Tagen sei, das Osterlicht, das das Leben symbolisiert, weiterzugeben. «Lichtschenken.ch wird eine ganz andere Art von Corona-Demonstration sein: Eine Demonstration unseres Zusammenhalts und unserer Zuversicht. Denn eigentlich sind wir doch ›Protestleute gegen den Tod’ in all seinen Varianten. Indem wir Licht schenken, bieten wir Frustration, Müdigkeit, Trauer und Schuldzuweisungen die Stirn.»

Die Aktion Lichtschenken zeigt, wie die Coronapandemie nicht nur in allen gesellschaftlichen Bereichen, sondern auch in den Kirchen wie ein Katalysator wirkt: Die Krise beschleunigt Prozesse, die sich vorher schon abgezeichnet haben, sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Während die Schweizer Ökumene in letzter Zeit zu stagnieren schien, nicht zuletzt durch Blockaden von katholischer Seite, funktioniert sie jetzt in der Krise umso besser. Daher ist es ein wichtiges Zeichen, dass die Christinnen und Christen aller Kirchen jetzt gemeinsam der Gesellschaft zeigen, dass sie eine österliche Hoffnung haben, die über den Tod hinaus geht. Die christliche Hoffnung holt zwar keinen einzigen Toten zurück. Die Hoffnung ist auch kein Impfstoff, der die Pandemie vertreibt. Dennoch ist die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ein starker Antrieb, der jetzt viele Menschen zuversichtlicher durch die Pandemie kommen lässt. Wenn es den christlichen Kirchen gerade jetzt in Corona-Zeiten gelingt, etwa durch die Aktion www.lichtschenken.ch, diese Hoffnung auszustrahlen, dann werden vielleicht in der nächsten Krise neben Medizin, Politik und Lebensmittel- sicherheit auch Religion und Glauben als systemrelevant eingestuft.

Christian Cebulj ist Professor für Religions- pädagogik und Rektor der Theologischen Hochschule Chur (THC).

Bündner Tagblatt
31. März 2021 | 10:22