Stellungnahme zur Teilrevision Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG)

Medienmitteilung: Ungenügendes Flickwerk, die griffige Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen fehlt –
Privatsektor muss digitale Barrierefreiheit leisten. Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband SBV kritisiert in der Stellungnahme den vorgelegten Vorschlag zur Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG). Es fehlen griffige Bestimmungen und definierte Standards. In der jetzigen Form leistet die Revision keinen wirksamen Beitrag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) begrüsst es grundsätzlich, dass das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) revidiert wird. Der Handlungsbedarf ist ausgewiesen, sowohl bei den Betroffenen wie auch den Fachleuten. Der Konsens ist eindeutig: das bestehende BehiG ist sehr lückenhaft.

Leider vermag die vorgelegte Teilrevision das deklarierte Ziel, die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes und gleichgestelltes Leben insgesamt zu verbessern, nicht zu erfüllen. Durch die unnötige Beschränkung auf die Bereiche Arbeit und Dienstleistungen und die Fokussierung auf den Schutz vor individueller Diskriminierung im Einzelfall lässt die Vorlage wichtige Bereiche aus und verpasst es zudem, verbindliche Standards zu setzen. Für den SBV ist klar: In der jetzigen Form trägt die Revision kaum dazu bei, die rechtliche Stellung von Menschen mit Behinderungen zu stärken. In seiner Stellungnahme fordert die Selbsthilfeorganisation deshalb zwingend Nachbesserungen in den Bereichen Mobilität und Öffentlicher Verkehr, Arbeitsmarktintegration, Bildung und digitale Barrierefreiheit.

Forderung Mobilität: Es braucht verbindliche Verpflichtungen im ÖV

Für Menschen mit Sehbehinderung bleibt die autonome Nutzung von Zug, Bus oder Tram ein zentrales Thema. Nachdem das Ziel des BehiG eines ab 1. Januar 2024 auch für Menschen mit Behinderungen spontan und autonom benutzbaren öffentlichen Verkehrs weit verfehlt worden ist, ist es nicht nachvollziehbar, dass die vorliegende Teilrevision des BehiG keine Nachfolgelösung zur Sicherstellung der Umsetzung der nach wie vor bestehenden Verpflichtungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs beinhaltet. Der SBV fordert daher eine neue gesetzliche Frist zur Umsetzung eines behindertengerechten öffentlichen Verkehrs: bis spätestens 2030 muss die barrierefreie Nutzung in der ganzen Schweiz gewährleistet sein. Damit die Frist eingehalten wird, braucht es zudem zwingend eine griffige Kontrolle der Zielerreichung und damit verbunden, definierte Sanktionen. Der SBV fordert zudem, dass der Aspekt der Zugänglichkeit für Menschen mit einer Hör- und Sehbehinderung ausdrücklich aufgenommen wird. In Art. 22, Abs. 2 ist die Verpflichtung zwingend festzuschreiben, dass die Fahrgastinformationen im Zwei-Sinnes-Prinzip zur Verfügung stehen müssen.

Forderung Integration: Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern sich kaum

Sehr zu begrüssen ist, dass im BehiG neu auch die Arbeitsverhältnisse nach Obligationenrecht sowie die öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse nach kantonalem und kommunalem Recht erfasst werden sollen. Doch leider fehlen griffige objektivrechtliche Verpflichtungen. In der Vorlage fehlen insbesondere Massnahmen, die zum Ziel haben, den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen insgesamt zugänglicher zu gestalten. Ohne klare Begriffsdefinition der Diskriminierung ist abzusehen, dass sich im Alltag der betroffenen Menschen mit Behinderungen kaum etwas ändern wird.

Auch bei der Bildung fehlt eine Konkretisierung von verbindlichen objektivrechtlichen Verpflichtungen insbesondere in Bezug auf die benötigten Unterstützungs- oder Ausgleichsmassnahmen während einer beruflichen Grundausbildung, einer Hochschul- oder einer Weiterbildung für Menschen mit Behinderungen. Gerade der jüngste Konflikt an der Universität Zürich hat gezeigt, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Forderung Zugänglichkeit von Dienstleistungen: digitale Barrierefreiheit muss verbindlich festgeschrieben werden

Mit seiner kürzlichen Ablehnung der «Motion für Digitale Barrierefreiheit im Privatsektor» (23.3582) hat der Nationalrat alle Menschen mit Sehbeeinträchtigung im Stich gelassen. Dabei sind im Zuge der rasant fortschreitenden Digitalisierung gerade sie unbedingt darauf angewiesen, dass digitale Dienstleistungen barrierefrei zur Verfügung stehen. Doch leider bleibt der Vorentwurf auch in diesem Punkt zu vage und unverbindlich. Es werden «angemessene Vorkehrungen» verlangt, um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Hier fehlt eine deutliche Konkretisierung, was unter «angemessenen Vorkehrungen» zu verstehen ist. Weiter verlangt der SBV, dass auch verbindliche Angaben gemacht werden, welche (Minimal-) Standards erfüllt sein müssen. In der Verordnung soll daher ausdrücklich auf den Standard eCH-0059 und die international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines WCAG des World Wide Web Consortium W3C verwiesen werden. Nur so ist gewährleistet, dass die digitalen Dienstleistungen tatsächlich barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.

Kontakt:

Martin Abele, Leiter Interessenvertretung und Kommunikation
martin.abele@sbv-fsa.ch

www.sbv-fsa.ch, www.facebook.com/sbv.fsa

Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband SBV

Der SBV ist die nationale Selbsthilfeorganisation zum Thema Sehbehinderung. Der Verband unterstützt seit 1911 blinde und sehbehinderte Menschen in ihrem Bestreben, ein unabhängiges und erfolgreiches Leben im Beruf und in der Gesellschaft zu führen. Dieses Ziel erreicht der SBV mit Beratung, Schulung und mit der Förderung innovativer Technologien sowie mit Aufklärung und Sensibilisierung.

SBV FSA
4. April 2024 | 16:03