Stellungnahme zum Vorentwurf einer Revision des ZGB betr. «Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister»

Medienmitteilung

Einleitung

Die Zweigeschlechterordnung, nach der sich unsere gesellschaftlichen Institutionen orientieren, bildet die real existierende Geschlechtervielfalt nicht ab und marginalisiert Menschen mit davon abweichenden Geschlechtsidentitäten oder körperlichen Eigenschaften. Die gesetzliche Verankerung weiterer amtlicher Geschlechtseinträge und die Änderung des Schweizer Rechts hin zu geschlechtsneutralen Gesetzen sind deshalb notwendige Schritte, um die Diskriminierung von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (auch: Intersex) und von Transmenschen zu beenden.

Die IG Feministische Theologinnen begrüsst deshalb den Vorentwurf zur Gesetzesrevision der «Änderung des Geschlechts im Personenstandsregisters» zur vereinfachten Anpassung des Geschlechtseintrags durch das Zivilstandesamt. Sie unterstützt die Vernehmlassung des Transgender Network Switzerland, die wichtige Änderungsvorschläge an diesem Vorentwurf enthält, damit das Gesetz wirklich den Anliegen der Betroffenen entgegenkommt.

 

Begriffsklärung

Geschlecht prägt als soziale und biologische Kategorie unser Leben grundlegend. Die Geschlechterordnung, wie sie in der Schweiz und allgemein in Europa hegemonial ist, ist eine Zweigeschlechterordnung. Wir kennen zwei Geschlechter, Mann und Frau, die phänotypisch (d.h. im Aussehen) klar zu unterscheiden sind. Diese Ordnung schlägt sich in Institutionen unserer Gesellschaft nieder, etwa dem Recht. Diese Einteilung bildet jedoch nicht ab, was real an Geschlechtervielfalt existiert. Die Diskussionen um die Änderung des Geschlechts und zu einem dritten Geschlechtseintrag im Personenstandsregister betreffen insbesondere intersex und trans Menschen. Die beiden Begriffe werden im Folgenden kurz erklärt. Intersex In der Schweiz werden jährlich ca. 40 Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (auch: Intersex) geboren. Deren Geschlechtsorgane unterscheiden sich von männlichen oder weiblichen Ausprägungen, die der «Norm» entsprechen, in einer oder mehreren Hinsichten – phänotypisch (im Aussehen), hormonell oder gonosomal (d.h. auf der Ebene der Geschlechtschromosomen).

Die genetische Anlage muss nicht mit dem körperlichen Erscheinungsbild übereinstimmen. Geschlechtsorgane können bei der Geburt «normal» aussehen und eine Geschlechtsvariante kann sich erst später, etwa in der Pubertät ausprägen. Lange Zeit wurden Menschen mit äusserlich uneindeutigen Geschlechtsorganen gleich bei der Geburt operiert, was häufig psychische und physische Langzeitschäden zur Folge hatte. Das Bewusstsein für die körperliche Integrität der Betroffenen ist in der Schweiz erst am Wachsen, wofür sich verschiedene Organisationen einsetzen – etwa die Selbsthilfegruppe Intersex. ch und InterAction, Association Suisse pour les Intersexes. Trans Trans (lat. «jenseits») wird als Begriff für Menschen verwendet, deren inneres Wissen über ihre Geschlechtsidentität nicht mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Das heisst, trans Männer wurden bei der Geburt als Mädchen eingeteilt, trans Frauen als Jungen. Es gibt auch non-binäre trans Personen, die sich weder als Mann noch als Frau empfinden. Menschen, die nicht trans sind, werden als cis Menschen bezeichnet (cis, lat. «diesseits»). Lange Zeit mussten sich trans Personen sterilisieren lassen und eine psychiatrische Diagnose vorweisen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Seit 2018 definiert die WHO Transidentität bzw. Transsexualität nicht mehr als Krankheit. Für die Interessen der trans Menschen setzt sich insbesondere das Transgender Network Switzerland ein.

 

Biblisch-theologische Erwägungen

Die folgenden Überlegen orientieren sich an schöpfungstheologischen und eschatologischen Fragen, um die Bedeutung des Geschlechts und der Geschlechtlichkeit für ein gottgefälliges Leben zu ermitteln. Die patriarchale Gesellschaftsordnung der Bibel, die die Lebenswelten der Menschen in eine binäre Struktur teilte, hatte primär mit politischen und wirtschaftlichen Belangen zu tun. In einer Gesellschaft, in der die Altersvorsorge nicht mehr von der Zahl der Nachkommen abhängt, verliert eine auf Geschlechterbinarität gegründete Struktur an Legitimität.

In einer Zeit, da die Spezies Mensch die Erde beherrscht, ist der Artenerhalt nicht länger in gleichem Masse notwendig wie in früheren Jahrhunderten. Es ist in unseren Augen unsachgemäss, wenn biblische Texte über Geschlechterordnungen ohne Berücksichtigung dieser Differenzen ausgelegt werden, insbesondere in Fragen der Vielfalt der Geschlechterbilder, der sexuellen Orientierung und der Bioethik.

Gemäss dem ersten Schöpfungsbericht Genesis 1-2 hegt Gott in einem ersten Schritt lediglich die Absicht den Menschen zu schaffen, ohne geschlechtliche Spezifizierung. Dieser neutrale Erdling wird in einem zweiten Schritt als «männlich und weiblich» spezifiziert. Diese beiden Attribute legen unseres Erachtens keine Wesensdefinitionen der Geschlechter fest und dürfen nicht als Festlegung einer Geschlechterbinarität missverstanden werden.

Vielmehr beschreiben sie erstens eine Vielfalt der menschlichen Existenz auf der Ebene der Geschlechtlichkeit und stellen fest, dass es unterschiedliche Körperlichkeiten gibt, die gleichermassen zum Menschsein gehören. Indem der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist (Gen 1,26-27), hat die Mehrgeschlechtlichkeit des Menschen zudem Auswirkungen auf das Bild, das Gott hier von sich gibt. Dazu kommt: Die Gottebenbildlichkeit ist im biblischen Text keine Wesensaussage über die Menschen, hat nichts mit Geschlecht oder Aussehen zu tun, sondern mit der Funktion der Menschen in der Welt: Als Bild Gottes sind die Menschen Gottes Sachverwalter über die Erde und die Lebewesen und sollen Verantwortung für die Schöpfung tragen.

Die Attribute «männlich und weiblich» stehen zweitens für die unterschiedlichen Lebenswelten, in denen Männer und Frauen sich in ersttestamentlicher Zeit bewegten. Damit fügt der erste Schöpfungsbericht den Menschen in die zuvor von Gott nach Lebensräumen geordnete Schöpfung hinein. Die Schöpfungsordnung wurde und wird häufig als starre Festlegung der Geschlechterrollen, des Lebenswandels und als Rechtfertigung zu einer strikten Sittlichkeitslehre missverstanden. Davon ist in den biblischen Schöpfungsberichten an keiner Stelle die Rede. Wir sehen demgegenüber im ersten Schöpfungsbericht Gottes Gestaltung des anfänglichen Chaos zu einer Welt, in der alles Leben gedeihen und sich entfalten kann. Im Brief an die Gemeinde in Galatien 3,26-28 verkündet Paulus, dass gesellschaftliche Kategorien für die Zugehörigkeit zu Christus keine Relevanz haben; auch diejenige des Geschlechts nicht: «Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.» Was mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen bereits angelegt ist – dass jeder Mensch unabhängig von seinem Geschlecht Bild Gottes ist – wird hier als Erlösungsbotschaft durch den Glauben an Jesus Christus nochmals bekräftigt: Dass dieser Glaube jeden Menschen vor Gott gleich macht – unabhängig von den gesellschaftlichen Kategorien, denen er aufgrund seiner Lebensumstände und seiner Körperlichkeit zugeteilt ist.

 

Schlussfolgerung und Appell

Diese Erwägungen führen uns zur Schlussfolgerung, dass die Geschlechtervielfalt aus theologischer Sicht zu begrüssen ist, weil sie von Gott selbst im Menschen angelegt ist und im Glauben keinen Faktor der Gottesnähe oder -ferne darstellt. Wir rufen daher die reformierten, christkatholischen und katholischen Kirchen der Schweiz dazu auf, sich stärker für die Belange von Transpersonen und Menschen mit Varianten in der Geschlechtsentwicklung zu interessieren und zu engagieren.

 

Anmerkungen

Die Informationen zu trans orientieren sich an der Website des Transgender Network Switzerland: https://www.tgns.ch/de/information/.

Zum Thema inter informieren InterAction, Association Suisse pour les intersexes, www.interaction- suisse.ch, und die Selbsthilfegruppe Intersex, www.intersex.ch.

Wir danken Geneva Moser und Silvia Stohr für ihre Mitarbeit an dieser Stellungsnahme.

 

IG Feministische Theologinnen
4. Oktober 2018 | 06:55