Statement der KOVOS betreffend den Bericht zum Pilotprojekt zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts

Im Wortlaut

«Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Geheimes, das nicht an den Tag kommt» Bibel: Markus 4,22

Die detailliert recherchierten Fallbeispiele im Bericht zeichnen auf beklemmende Weise nach, wie es zu Machtmissbrauch, zu spiritueller Manipulation und sexuellen Übergriffen gekommen ist. Zusätzlich wurden Betroffene durch Misstrauen und Nichtbeachtung, durch Vertröstung, Verzögerung und Vertuschung tief verletzt und traumatisiert. Die kirchlichen Verantwortungsträger wollten den Ernst der Situation nicht wahrnehmen, haben teilweise völlig unangemessen reagiert, indem sie jegliche Fürsorgepflicht vermissen liessen und selbst einschlägige Bestimmungen des kirchlichen Rechts nicht befolgten. Als Vertreter der Orden und religiösen Gemeinschaften müssen wir uns dieser Verantwortung stellen. Es gibt keine Entschuldigung, weder für die Verbrechen der Täter – und vereinzelt Täterinnen –, noch für das Handeln der Vertuscher. Wir müssen mit dieser Schuld leben und wollen uns dafür einsetzen, dass solches nicht mehr passiert.

Es ist offensichtlich, dass die Ordensinstitute und religiösen Gemeinschaften ein Teil des Problems sind. Und zwar in mehrfachem Sinn: Ordensmitglieder, insbesondere Ordenspriester, waren in grosser Zahl in der Seelsorge tätig. Ihnen wurde ein hohes Mass an Vertrauen entgegengebracht. Die Täter unter ihnen haben dieses Vertrauen von Minderjährigen und Erwachsenen und ihre besondere religiöse Stellung schamlos ausgenutzt, um Sexualdelikte aller Art zu begehen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass gewisse fehlgeleitete Formen des Ordenslebens den Nährboden bildeten für viele Formen von Grenzverletzungen, Manipulation, psychischer Gewalt und Missbrauch. Schliesslich kam es auch in den von Ordensgemeinschaften geleiteten Schulen und Heimen zu Übergriffen durch Leitungs- und Lehrpersonen und Angestellte, aber ebenso aufseiten der Schülerinnen und Schüler untereinander.

Der Bericht geht u.a. auf die zahlreichen karitativ-sozialen Einrichtungen ein, die bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Verantwortung katholischer Trägerschäften lagen und wo auch viele Ordensleute tätig waren. Im Falle eines Kinderheimes in der Ostschweiz ist die Rede von «schwersten körperlichen Misshandlungen», die sich einige der Schwestern zuschulden kommen liessen. Konstatiert wird: «Die Täterinnen und Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern verteidigt und in Schutz genommen.» Zudem muss «von einer sehr hohen Dunkelziffer» ausgegangen werden. In dem Zusammenhang kommt die Studie auf einen heiklen Sachverhalt zu sprechen. Es geht um das asymmetrische Verhältnis, das seit Jahrhunderten die Beziehungen zwischen Frauen- und Männerorden kennzeichnet, aufgrund der einseitig zugeteilten amtlichen, hierarchischen und geistlichen Vollmachten, welche die Priesterweihe voraussetzen, d.h. den Männern vorbehalten sind.

Das führte laut der Studie dazu, dass in dem typisch katholischen Kontext die misshandelnden Ordensfrauen ihrerseits sehr oft Opfer eines Systems waren, das geprägt war von einem überfordernden Armutsideal und von einer strikt patriarchalen Ordnung. Diese neigte dazu, Ordensfrauen als billige, opferbereite Arbeitskräfte einzusetzen, da sie – so die damalige Überzeugung – ihre religiöse Berufung in einer Einrichtung für Kinder besonders gut verwirklichen konnten. Vor dem Hintergrund des schweren Leids, das durch solche «typisch katholischen» Faktoren mitverursacht wurde, sind viele dieser religiösen Ideale und Normvorstellungen grundsätzlich zu hinterfragen und kritisch zu prüfen. Substantielle innerkirchliche Reformen sind überfällig und dringend einzufordern. Eine umfassende «Bodensanierung» ist unerlässlich, damit Neues wachsen kann. Die KOVOS wird diese Debatte aktiv weiterführen.

Die KOVOS appelliert mit Nachdruck an ihre Mitgliedsvereinigungen, an die Ordensinstitute, Klöster, neuen Gemeinschaften und geistlichen Bewegungen, loyal und kooperativ mitzuarbeiten bei der Fortführung der Forschungsarbeiten, vor allem was die Zugänglichkeit der Archive und anderer Quellenbestände betrifft (mündliche Berichte). Wir fordern alle Ordensleute in der Schweiz auf, die heute angekündigten Massnahmen sowie die bereits bestehenden Präventionsmassnahmen mitzutragen und in ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen. Nur so kann Kirche zu einem Ort werden, wo jeder Mensch in seiner einzigartigen Würde angenommen und geachtet wird und geschützt ist.

Abt Peter von Sury, Delegierter der KOVOS

KOVOSS'CORISS
12. September 2023 | 10:12