Spiel mit dunklen Mächten

Das Interesse an schwarzmagischen Praktiken und Ritualen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, sagen Sektenexperten.

Wo liegen die Hintergründe? Und wie soll die Gesellschaft auf den Okkultismusboom reagieren?

Ebenso facettenreich wie unübersichtlich ist sie, die bizarre Welt des Okkultismus, wo alles anzutreffen ist, was mit den verborgenen Mächten des Kosmos zu tun hat: Das Spektrum reicht vom Gläserrücken, Pendeln, Wünschelrutengehen und Tarotkartenlegen bis zu sexualmagischen und satanistischen Ritualen; vom harmlosen Experimentieren mit den Phänomenen der feinstofflichen Welten bis hin zu kriminellen Auswüchsen schwarzmagischer Opferrituale. Der Begriff «Okkultismus» (abgeleitet vom lateinischen Wort «occultus», was «geheim» oder «verborgen» bedeutet) ist also eine unscharfe Sammelbezeichnung für die unterschiedlichsten Phänomene aus dem Reich des Übersinnlichen.

«Religiöse Konsumentenschützer»
Umso grösser wird der Bedarf nach Orientierungshilfen. An einer Tagung zum Thema «Okkulte Gegenwelten», die vor kurzem im Romero-Haus in Luzern stattgefunden hat, leistete die Ökumenische Arbeitsgruppe «Neue religiöse Bewegungen» der Schweizerischen Bischofskonferenz und des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes Aufklärungsarbeit. «Wir sind heute so etwas wie Konsumentenschützer auf dem spirituellen Markt der Gegenwart», meinte der Gesprächsleiter der Tagung, Professor Georg Schmid. Als Leiter einer Sektenberatungsstelle in Greifensee weiss er, wovon er spricht, denn regelmässig wird er in seiner Beratungstätigkeit mit den negativen und teilweise gravierenden Folgen okkulter Praktiken konfrontiert: «Vor einigen Jahren hatten wir im Kanton Zürich den Fall, dass sich zwei Mädchen von einem Hochhaus stürzten, weil beim Gläserrücken ihnen der Geist mitteilte, dass sie nur 18 Jahre alt werden würden.» Dieses Beispiel zeige, dass gerade die Schule einen wichtigen Beitrag zu leisten habe, um Schülerinnen und Schüler über die Hintergründe okkulter Phänomene aufzuklären, auch wenn nicht alle derart krass enden müssen.

Hexenmeister Crowley
Um den ideologischen Nährboden des Okkultismus besser zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte der so genannten Okkultorden, die bereits im 19. Jahrhundert durch freimaurerähnlich organisierte Gemeinschaften ihren Anfang nahmen. Peter R. Koenig, ein international geachteter Experte, gab an der Tagung einen differenzierten Einblick in das Gedankengut satanistischer Traditionen: Als wichtige Schlüsselgestalten nannte er in diesem Zusammenhang unter anderem Carl Kellner (1850–1905), Theodor Reuss (1855–1923) und Aleister Crowley (1875–1947). Vor allem Crowley ist zu einem prägenden Vorbild für die heutige Okkultismusszene geworden ist. Der Engländer gründete bereits 1920 auf Sizilien einen satanistischen Okkultorden namens «Abtei Thelema». Crowley nannte sich «The Beast 666» und verstand sich als Fleisch gewordene Gottheit. «Ich will für das Böse arbeiten. Ich will mein Herz zum Schweigen bringen» – so lauteten zwei seiner Grundsätze, wie sie Crowley unter anderem im Schwur der «Scharlachroten Frau» formulierte.

Schwarzmagische Experimente
Seine krankhafte Triebhaftigkeit, die Crowley in den unterschiedlichsten Formen der Sexualmagie mit seinen Anhängern auslebte, sein Drogenkonsum wie auch seine schwarzmagischen Experimente waren geprägt durch Visionen, in denen eine Gestalt namens Aiwass – ein Sendebote vom König der Zerstörung – ihm ein besonderes «Evangelium» verkündete. 1922 übernahm Crowley die Gesamtleitung des Okkultordens Ordo Templi Orientalis (O.T.O.), der 1901 durch Carl Kellner gegründet worden war. In dieser Organisation verbinden sich okkultistische, neugnostische, sexualmagische und satanistische Traditionen mit Gemeinschaftsformen, die gekennzeichnet sind durch Geheimhaltung, eine Vielzahl von Einweihungsstufen und Zugehörigkeitsgraden sowie gemeinschaftliche Rituale.

Provokation und Protest
Wenn sich heute auch noch etliche Gruppierungen auf Crowley als ihren geistigen Ahnherrn berufen, so entnehmen vorab die jüngeren Anhänger des Okkultismus ihre Motive aus anderen Quellen, beispielsweise aus der Heavy-Metal- oder Okkult-Rock-Szene, die sich ebenfalls mit Vorliebe der dunklen Seite der Wirklichkeit widmet. Allerdings verbergen sich in der Jugendokkultismus-Szene oft noch andere Hintergründe, wie der katholische Sektenberater Joachim Müller betont: «So antireligiös, Horror und Gewalt verkündend auch die Texte, Plattencover oder Videoclips sein mögen: Vergessen wir nicht, dass Rockmusik und alle mit ihr verbundenen Attribute ein untrennbarer Bestandteil einer Jugendsubkultur sind, deren Ursprung in einer Protesthaltung zur Erwachsenenwelt zu suchen ist.» Trotzdem seien die möglichen Folgen solcher Protestformen nicht zu verharmlosen, meint Müller und verweist auf eigene Erfahrungen aus seiner Beratungstätigkeit: «Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Mann aus der Satanismusszene, der mir sagte, dass er beim Praktizieren dieser Rituale so etwas wie Allmacht erfahren könne. Tatsächlich ist dieser Zustand vergleichbar mit einem Drogenrausch, der das Gefühl vermittelt, es gäbe keine Grenzen mehr.» Insbesondere sei der Jugendokkultismus oft sehr angstbesetzt und könne gerade bei Jugendlichen, die aus dieser Szene wieder aussteigen wollen, zu traumatischen Erfahrungen führen: «Mir ist der Fall eines Mädchens bekannt, das nach ihrem Ausstieg aus der Satanismus-Szene einen toten Hund vor ihrer Haustüre vorfand und wenige Minuten später eine SMS-Botschaft erhielt mit dem Inhalt: «Das könntest du sein.»
Benno Bühlmann

Mehr als eine Protestreligion

Das Spiel mit dem Okkultismus beginnt bei Jugendlichen meist aus harmloser Neugierde. Es kann aber auch zur Abhängigkeit führen, warnt der Sektenexperte Martin Scheidegger.

Herr Scheidegger, der Okkultismus scheint gerade auf junge Menschen eine besondere Anziehungskraft auszuüben. Woher kommt diese Faszination für die Welt des Verborgenen?

Diese Faszination hat tiefere Hintergründe und ist nicht nur bei Jugendlichen anzutreffen. Bereits Hermann Hesse sagte, dass ihn die Erfahrung des Unbekannten und das magische Beherrschen der Welt sein Leben lang fasziniert habe. Auch die Jugendlichen, die sich von ihrem Zuhause abzulösen beginnen, entdecken gerade in der Phase des Erwachsenwerdens immer wieder unbekanntes Neuland, das sie zu beherrschen versuchen. Und da bieten ihnen okkulte Praktiken oft neue Möglichkeiten, um mit dem Verborgenen zu experimentieren.

Oft wird gesagt, dass der Okkultismus für Jugendliche so etwas wie eine Protestreligion darstelle, die primär als Auflehnung gegen traditionelle religiöse Konventionen zu interpretieren sei …

Ich glaube nicht, dass darin das Hauptmotiv liegt, um okkulte Praktiken auszuprobieren. Wenn Jugendliche allerdings merken, dass ihre Eltern mit Angst und Unverständnis auf ihre geheimen Experimente reagieren, kann die Beschäftigung mit dem Okkultismus während eines Prozesses der Ablösung auch zu einem Protestfaktor werden. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich im Umfeld der Heavy-Metal-Musik, wo diese Protesthaltung tatsächlich ausgelebt werden kann, auch wenn das nicht immer direkt mit Okkultismus zu tun hat.

Ist es nicht paradox, dass in unserer angeblich «aufgeklärten» Welt noch immer viele Menschen für irrationale Dinge empfänglich sind? Wurde durch die Aufklärung etwas verdrängt, das uns heute durch die Hintertür wieder einholt?

Die Aufklärung hat teilweise zu dem Missverständnis geführt, dass nur das real sei, was wir wissenschaftlich beweisen können. Und viele spüren heute, dass dieses rein rationale Weltbild zu kurz greift: Es gibt auch Dinge in unserem Leben, die wir nicht erklären können, und trotzdem sind sie da. Das Unbekannte ist ein Teil unserer Welt, mit dem wir uns auseinander setzen müssen.

Wie können wir konkret mit dieser Erfahrung umgehen, dass in unserer Welt nicht alles vernünftig erklärbar ist?

Da gibt es natürlich vielfältige Möglichkeiten. Zahlreiche Menschen suchen heute Antworten im Umfeld der Esoterik oder der Parapsychologie, während andere aus dem Erfahrungsschatz der Religionen schöpfen. Für viele junge Menschen fehlt indessen die Lebenserfahrung und das Wissen, um sich in diesem unübersichtlichen Feld orientieren zu können. Da erweist sich das Angebot des Okkultismus als verlockend.

Werden Sie auch in Ihrer Arbeitsstelle für religiöse Sondergruppen und Sekten mit dem Phänomen des Okkultismus konfrontiert?

Ja. Der Okkultismus ist ein Thema, dem ich in meiner Beratungstätigkeit immer wieder begegne. Denn oftmals können okkulte Praktiken, wie sie von Jugendlichen in Experimenten ausprobiert werden, auch Angstzustände auslösen.

Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?

Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit hatte ich Gespräche in einer Gemeinde in der Zentralschweiz, wo einige Mädchen in der Schule mit Gläserrücken experimentierten und dadurch in Probleme hineingeraten sind: Beim Gläserrücken hörten die Mädchen plötzlich die Stimmen von Geistern, die von ihnen verlangten, dass sie sich ihre Glieder brechen sollten. Für eines der Mädchen wurden diese Erlebnisse bald unerträglich. Es sprach mit seinen Eltern, die ihrerseits bei unserer Arbeitsstelle Hilfe suchten.

Sind okkulte Praktiken demnach als gefährlich einzustufen?

Das hängt wesentlich von den konkreten Menschen ab, die okkulte Rituale praktizieren. Es braucht stabile Persönlichkeiten, damit die anfängliche Neugier bei okkulten Praktiken nicht in Sucht und Abhängigkeit kippt. Die Experimente mit dem Unbekannten können vor allem dann gefährlich werden, wenn Jugendliche problematische Erklärungsmodellen aufsitzen.

Welche Erklärungsmodelle?

Ich denke dabei beispielsweise an das animistische Denken, das dazu führt, dass man im wandernden Gläschen plötzlich einen sprechenden Geist wahrzunehmen meint. Diese Wahrnehmung wird spiritistisch gedeutet, und das Gefährliche liegt darin, dass diese Deutung eine eigene Autorität gewinnt, gegen die man sich nicht mehr wehren kann. Die Folge der Eigendynamik, die daraus entsteht, ist eine fatale Abhängigkeit von einer willkürlichen Macht, die auf die persönliche Deutung eines Erlebnisses zurückzuführen ist, in Wirklichkeit aber nicht existiert.
bb

Sonntag
23. Februar 2003 | 00:00