Russland/Ukraine: 10 Jahre Unterdrückung der nichtrussischen Bevölkerung auf der Krim 

London/ Bern. Seit der Besetzung der Krim versucht die russische Regierung, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung auf der Halbinsel zu verändern. Die ukrainische und krimtatarische Bevölkerung wird unterdrückt und ihrer Identität beraubt, sagt Amnesty International in einer neuen Publikation anlässlich des zehnten Jahrestags der rechtswidrigen Annexion durch Russland.

«Russland hat systematisch versucht, die ukrainische und die krimtatarische Identität auszulöschen, indem es den Gebrauch der ukrainischen und der krimtatarischen Sprache in der Bildung, in den Medien, bei nationalen Feierlichkeiten und in anderen Lebensbereichen einschränkt oder verbietet. Die religiösen und kulturellen Bräuche werden unterdrückt. Ausserdem wurden Teile der angestammten Bevölkerung gewaltsam von der Krim vertrieben, während russische Zivilpersonen neu angesiedelt werden», sagte Patrick Thompson, Experte für die Ukraine bei Amnesty International.

Russische Indoktrination

Unmittelbar nach der Annexion führten die russischen Behörden auf der Krim ihren eigenen Lehrplan ein. Lehrpersonen, Schüler*innen und Eltern, die dagegen protestierten, wurden entweder indoktriniert oder mit Repressalien bedroht. Der ukrainische Sprachunterricht wurde systematisch eingeschränkt. All dies erfolgte vor dem Hintergrund der rechtswidrigen Durchsetzung russischer Gesetze und Gepflogenheiten.

Auch das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit auf der Krim wurde stark eingeschränkt, u. a. durch die Einführung von Gesetzen, nach denen das Beten, Predigen oder Verbreiten von religiösen Materialien ausserhalb speziell ausgewiesener Orte oder ohne offizielle Genehmigung strafbar ist. Die Einschränkungen der Religionsfreiheit betreffen die muslimische Bevölkerung (der Grossteil davon Krimtatar*innen), die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche sowie Mitglieder der Zeugen Jehovas.

Die Besatzungsbehörden nahmen auch unabhängige Medien und Journalist*innen ins Visier. In den ersten Tagen der Besatzung wurden mehrere Medienschaffende von prorussischen Paramilitärs entführt. Bereits im März 2014 waren ukrainischsprachige Fernseh- und Radiosender abgeschaltet und durch russische Medien ersetzt. Nach der Annexion ordnete Russland an, dass sich alle Medien auf der Krim innerhalb von zehn Monaten nach russischem Recht neu registrieren lassen müssen, und warnte vor «provokanten Handlungen».

Auch krimtatarischsprachige Medien wurden ins Visier genommen. Die Registrierungsanträge des beliebten Fernsehsenders ATR und anderer Medienunternehmen wurden abgelehnt. ATR war schliesslich gezwungen, auf das ukrainische Festland umzuziehen und verlor so seine Möglichkeit, auf der Krim zu senden. Der Zugang zu diversen Online-Medien wurde auf der Krim willkürlich und ohne richterliche Genehmigung gesperrt.

Versuch der Auslöschung nichtrussischer Identität 

«Wir schlagen schon seit Jahren Alarm, weil Russland auf der Krim die Menschenrechte unterdrückt. Nach einem Jahrzehnt können wir Bilanz ziehen und sehen, welche Folgen dies für die nichtrussische Bevölkerung auf der Halbinsel hatte. Es ist alarmierend, dass Russland offenbar das Gleiche auch in den anderen besetzten ukrainischen Gebieten vorhat», sagte Patrick Thompson.

«Die russische Regierung muss ihre Politik der Unterdrückung und Auslöschung der Identität der nichtrussischen Bevölkerung beenden. Sie muss aufhören, auf der Krim und in anderen besetzten ukrainischen Gebieten gegen das humanitäre Völkerrecht und gegen internationale Menschenrechtsnormen zu verstossen.»

Amnesty International fordert, dass alle, die für Verbrechen unter dem Völkerrecht verantwortlich sind, in fairen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen werden. Zugleich müssen die Betroffenen dieser Verbrechen ihre Rechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in vollem Umfang wahrnehmen können.

Amnesty International
18. März 2024 | 06:00