Kirchenspiel: «Die Legende vom Mistelzweig»

Hörbehinderte begeisterten das Publikum

Gehörlose tanzen choreographisch zu Musik? Hörbehinderte führen ein Theaterstück auf? Was im ersten Moment schwer vorstellbar ist, zeigte die Hörbehindertengemeinde Bern letztes Wochenende. Gleich an zwei Tagen begeisterte sie ein zahlreiches Publikum mit der weihnachtlichen Legende vom Mistelzweig. Die zwanzigköpfige Theatergruppe tritt nächsten Freitag nochmals in Busswil auf.

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«Nach der Aufführung bitte nicht klatschen», instruierte Pfarrerin Franziska Bracher das Publikum vor Beginn der Veranstaltung. «Die Darstellerinnen und Darsteller können es nicht hören.» Stattdessen demonstrierte sie den Anwesenden im Kirchgemeindehaus Paulus in Bern, wie Gehörlose und Hörbehinderte applaudieren: beide Arme in die Höhe heben und mit den Händen flattern. So kam es, dass nach der Aufführung der Hörbehindertengemeinde Bern minutenlang Hunderte von Händen über den Köpfen der zahlreichen Zuschauer flatterten. Schade nur, hatte Projektleiterin Bracher nicht auch erklärt, wie man Zugabe in der Gebärdensprache ausdrückt.


Musik über den Bauch aufnehmen

An dem weihnachtlichen Kirchenspiel «Die Legende vom Mistelzweig» wirkten insgesamt 20 gehörlose, schwerhörige und auch einzelne hörende Menschen im Alter von 14 bis 65 Jahren mit. Eine achtköpfige Frauengruppe tanzte zu Schlagzeug, Perkussion und Saxophon zwei Choreographien, die sie über mehrere Wochen mit der Tänzerin Lucia Baumgartner einstudiert hatten. «Hörbehinderten eine Choreographie zu lernen, ist sehr zeitintensiv», erklärte die sichtlich zufriedene Baumgartner nach der Aufführung. «Meine Anweisungen konnte ich nicht einfach lauthals durchgeben, sondern musste jedem Mitglied jede einzelne Korrektur vorzeigen.» Erschwerend war die Tatsache, dass die Tänzerinnen zwischen Saxophon und Schlagzeug keinen Unterschied ausmachen konnten: sie spürten einzig ein Wummern im Bauch, das sie über den Boden und die Füsse aufnahmen. «Für diese Aufführung haben wir viel, viel, viel, geübt», lässt sich die Hörbehinderte Esther Rey aus Uetendorf später in der Gebärdensprache übersetzen und lacht.

Stundenlanges Üben
Auch die zwölfköpfige Pantomime-Gruppe hatte Stunden in die Aufführung investiert. Das weihnachtliche Stück überzeugte denn auch durch die feine dra-maturgische Umsetzung von Theaterfrau Tabea Wullimann. Während sich Pantomime, Musik und Erzählung fliessend abwechselten und somit dem Zuschauer eine kurzweilige Unterhaltung boten, bedeutete genau dieser Element-Wechsel für die Hörbehinderten eine grosse Herausforderung: «Da wir die Musik nicht hören können, mussten wir uns sehr genau auf unsere Einsätze konzentrieren», erklärte Sandro de Giorgi aus Bolligen nach dem Stück. Für den 60-jährigen De Giorgi war dies bereits das zweite Theaterstück und er ist sehr stolz, konnte er mit seinem Einsatz Hörbehinderten wie auch Hörenden eine Freude bereiten. Dazu musste er nicht mal die Worte einer älteren Besucherin verstehen: «Ein zutiefst berührendes Stück, das die hektische Vorweihnachtszeit mit einer wohligen Stille gefüllt hat.»

«Die Legende vom Mistelzweig» wird noch ein letztes Mal aufgeführt: nächsten Freitag, 15. Dezember, 20 Uhr im Kirchlichen Zentrum Busswil.

Projektleitung Franziska Bracher, Pfarrerin Hörbehindertengemeinde
Regie: Tabea Wullimann
Stück-Entwicklung: Christoph Schwager
Choreographie: Lucia Baumgartner
Musik: Araxi Karnusian (Saxophon) und Dominic Egli (Perkussion)
Technik: Andreas Fankhauser, Sozialdiakonischer Mitarbeiter Hörbehindertengemeinde


Hörbehindertengemeinde

Die Hörbehindertengemeinde Bern gehört zum Bereich Sozial-Diakonie der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Sie will mit ihrer Arbeit Raum schaffen, damit hörbehinderte Menschen ihren Lebens- und Glaubensweg eigenständig gestalten können und ihre Anliegen in Kirche und Gesellschaft wahrgenommen und verwirklicht werden. Die Hörbehindertengemeinde zählt rund 700 Gemeindemitglieder aus dem gesamten Kirchengebiet. Die sonntäglichen Gottesdienste finden abwechslungsweise in verschiedenen Kirchgemeinden statt.

Kontakt Hörbehindertengemeinde: Telefon 031 385 17 17; Schreibtelefon 031 385 17 35, Fax 031 385 17 20 oder E-Mail hbg@refbejuso.ch
Ref. Kirchen BE-JU-SO
11. Dezember 2006 | 13:02