Johannes Seluner in Würde bestattet

Medienmitteilung

Am 19. November 1926 sind die sterblichen Überreste des «Findlings» Johannes Seluner ins Anthropologische Institut der Universität Zürich gebracht und dort seitdem in einer archäologischen Fundkiste aufbewahrt worden. Nun findet er 95 Jahre nach seiner Exhumierung, am Donnerstag, 9. September 2021, auf dem Friedhof von Neu St. Johann seine letzte Ruhestätte, die Totenruhe wird endlich wiederhergestellt. Johannes Seluner steht für viele, die unbekannt verstorben sind.

Ein namenloser, gehörloser Jugendlicher wurde am 9. September 1844 am Seluner Berg, einem der Churfirsten, entdeckt. Der Senn Niklaus Baumgartner hatte ihn aufgefunden, fast nackt, taub und stumm. Dass er aus den Eutern der Kühe auf der Alp Selun getrunken habe, war nur eine von vielen Geschichten und Legenden, die sich zeit seines Lebens um Johannes Seluner rankten. Da das Gebiet zu Alt St.Johann gehört, wurde der Knabe an die dortigen Behörden übergeben. Ein Arzt schätzte sein Alter auf 15 bis 20 Jahre. In einem öffentlichen Steckbrief wurde damals nach seinen Eltern gesucht. Beschrieben wurde der schwarzhaarige, rund 155 cm große Junge mit «tölpelhaften Zügen» und einem «läppischen Gang mit vorhängendem Oberkörper». Diese Ausschreibung machte ihn erstmals bekannt, seine Identität blieb jedoch ungeklärt. Der Name, der ihm gegeben wurde, setzte sich aus dem Johann im Ortsnamen und der Stätte seines Auffindens, Selun, zusammen. 1850 erhielt er das Nesslauer Bürgerrecht und vier Jahre später wurde er in das Armenhaus seiner Heimatgemeinde, das Bürgerheim Untersteig, überstellt.

Zurück in die Heimat

Wenige Monate vor seinem Tod, am 20. Januar 1898, wurde Johannes Seluner in Neu St.Johann katholisch getauft und ins Taufregister eingetragen, weil er katholische Gesten wie das Kreuzzeichen und das Niederknien kannte. Nach kurzer Krankheit verstarb «der Findling» am 20. September 1898. Seine Beerdigung drei Tage später fand unter grosser Anteilnahme der Bevölkerung statt. Medien bis in die USA griffen das Ereignis auf.

Johannes Seluner erweckte das Interesse eugenischer Kreise. Der Leichnam wurde deshalb 1926 exhumiert und ins Anthropologische Institut der Universität Zürich überführt. Im Zentrum der damaligen Eugenik stand die Feststellung von «höher- und minderwertigen Menschenrassen». Festgehalten wurde schliesslich, dass es sich um «einen geistig zurückgebliebenen Angehörigen der zentraleuropäischen Rasse» gehandelt habe.

Professor Christoph Zollikofer und Dr. Marcia Ponce de León vom Anthropologischen Institut engagierten sich stark dafür, die sterblichen Überreste von Johannes Seluner menschenwürdig in seiner Toggenburger Heimat zu bestatten. Dabei sollten Pietät und Totenruhe prioritär sein. Johannes Seluner «soll kein Sklave der Öffentlichkeit» mehr sein, sagte Professor Zollikofer.

Recherchen von Rea Brändle

In der christlichen Tradition hat die Würde des Menschen einen großen Stellenwert. Dazu gehört auch ein schickliches Begräbnis und die Wahrung der Totenruhe. Rea Brändle sel., Autorin des viel beachteten Buches «Johannes Seluner. Findling.», wünschte sich auf dem Sterbebett, dass der Findling neu beigesetzt wird. Ihre Recherchen hatten einer breiten Leserschaft den Menschen Johannes Seluner und seine Biografie, soweit man sie kennt, nähergebracht. Sie ordnete auch Geschichten, die sich um ihn rankten, als das ein, was sie waren, Erklärungsversuche und Legenden über ein Leben, das das Geheimnis seiner Herkunft nie preisgegeben hat.

Keine erneute Exhumierung

Die katholische Kirchgemeinde Neu St.Johann sowie die Politische Gemeinde Nesslau haben sich deswegen gerne der Initiative zur Wiederbestattung des Johannes Seluner angeschlossen.  Die beteiligten Parteien haben eine Vereinbarung zur Rückgabe seiner sterblichen Überreste unterschrieben, die insbesondere eine erneute Exhumierung verhindern soll. Verdankenswerterweise übernimmt die politische Gemeinde Nesslau die Kosten für sein Grabmal. Frau Dr. Marcia Ponce de León hat die Grabkiste gespendet, die vom Kunstschreiner Thomas Anklin im Stile des 19. Jahrhunderts gefertigt wurde.

Die Bestattung fand am 9. September auf dem Friedhof der Kirchgemeinde in Stille statt. Johannes Seluner ruht im Frieden Gottes.

(Gemeinsam verfasst von: Katholische Kirchgemeinde Neu St.Johann, Gemeinde Nesslau, Institut für Anthropologie der Universität Zürich)

Bistum St. Gallen
9. September 2021 | 17:05