Ihr neuer Pass, bitte!

Seit Anfang dieses Jahres ist der neue Schweizer Pass im Umlauf, und die Passbüros können sich vor dem Ansturm kaum retten. Ein Blick auf Gestern und Heute eines begehrten Dokuments.

«Anfangs mussten wir über 2000 Anträge pro Tag erledigen», sagt Peter Klossner, Chef des Passbüros des Kantons Zürich. Die Nachfrage nach dem neuen Schweizer Pass ist enorm: Allein in den ersten drei Wochen dieses Jahres gingen schweizweit rund 50 000 Gesuche ein – etwa ein Fünftel der erwarteten Jahresmenge.
Im Passbüro Zürich sei der Ansturm nur noch «mittels Überstunden und Samstagsarbeit» zu bewältigen gewesen, berichtet Klossner. Für die betroffenen Kundinnen und Kunden hiess es daher erst einmal (und heisst es nach wie vor): Warten. Was umso unangenehmer ist, als sich durch die Einführung des neuen Passes die Lieferfrist ohnehin von bislang einem auf nunmehr fünfzehn Arbeitstage verlängert hat. Grund: Der neue Pass wird nicht mehr in den kantonalen Passbüros hergestellt, sondern zentral in Bern. Derzeit ist aber offenbar auch diese Frist in Gefahr: «In der Anfangsphase kann der Ansturm dazu führen, dass die geplante Lieferfrist um zirka eine Woche überschritten wird», sagt Philipp Bättig, Chef der Sektion Ausweisschriften beim Bundesamt für Polizei.

Die Crux mit den Fotos
Zudem habe man, sagt Peter Klossner, beim Produktionsbetrieb – dem Bundesamt für Bauten und Logistik in Bern – «mit unrealistischen Zahlen kalkuliert». Mittlerweile könne das Passbüro Zürich zwar die eingehenden Gesuche wieder am gleichen Tag bearbeiten. Dennoch befürchtet Klossner, «dass wir noch längere Zeit auf eine Normalisierung der Situation warten müssen». Ein wenig optimistischer ist Philipp Bättig: «Wir gehen davon aus, dass im Februar weniger Pässe als im Januar beantragt werden und sich die Situation somit bis Ende Februar langsam normalisieren wird.»
Dazu beitragen wird auch, dass sich allmählich herumspricht, dass die kantonalen Passbüros bei den Fotos – vorschriftsgemäss – strenge Kriterien anwenden: Im Kanton Luzern etwa musste anfänglich jeder dritte Antrag zur nochmaligen Bearbeitung an die Gemeinden zurückgegeben werden – häufigster Grund war die mangelnde Qualität der Fotos. Als eigentliches «pièce de résistance» hat sich dabei der Abstand zwischen dem Scheitel und dem oberen Bildrand entpuppt, welcher mindestens fünf Millimeter betragen muss. Auf Porträtbildern, die als «fotografisch gelungen» gelten (zum Beispiel Bewerbungsfotos), ist dieser Abstand jedoch oft kleiner. Den abgewiesenen Kunden blieb nur eines – der erneute Schritt vor die Kameralinse. Staatliche Förderung der Fotobranche? Nein, meint Peter Klossner: «Niemand ist gezwungen, seine Fotos direkt beim Fotohändler zu bestellen. Allerdings sollte jeder Kunde selber darauf achten, dass er jeweils im Automaten den Stuhl entsprechend einstellt.»

Frühmittelalterliche Geleitbriefe
Früher, da kannte man solche Probleme nicht: «Bis zum Ersten Weltkrieg trugen Identitätspapiere keine Bilder ihrer Inhaber», sagt Valentin Groebner, Historiker an der Universität Basel.* Die Pässe vergangener Jahrhunderte zeichneten sich durch ganz andere Merkmale aus: So hat das Bundesamt für Polizei unter anderem einen im Kanton Aargau ausgestellten Reisepass aus dem Jahre 1862 aufbewahrt. Nebst der stattlichen Grösse des Dokuments (Format A3!) und der sorgfältigen Kalligrafie-Schrift fällt insbesondere auf, dass dieser Pass zum ausdrücklichen Zweck ausgestellt wurde, «Herrn Dr. Jur. Samuel Frey und seine Gemahlin Jeannette nach Italien reisen zu lassen». Womit bereits der Grundgedanke des Passes angesprochen ist: Wer einen solchen besitzt, der will auf Reisen gehen. (Das Wort «Pass» geht auf das lateinische «passus» zurück, was im übertragenen Sinn auch «Durchgang» bedeuten kann.)

Eine Vorform des Passes, der Geleitbrief, taucht im frühen Mittelalter auf. Er war dazu gedacht, dem Inhaber auf seinen Reisen Ungemach zu ersparen: «Die ausstellende Obrigkeit – ein Fürst, ein Kanton, eine Stadt – nahm denjenigen, für den das Dokument ausgestellt wurde, unter ihren Schutz. Ein solcher ‚salvacondotto‘ (‚sicheres Geleit‘) oder ‚passaporto‘ war an die Beamten der ausstellenden Behörde gerichtet und sollte den Reisenden vor Belästigung und Behinderung schützen», erklärt Valentin Groebner. «Die Obrigkeit versprach damit im Wesentlichen Schutz vor sich selbst.» Diese Dokumente waren jedoch kostspielige Privilegien, die nur an sehr wenige Personen ausgegeben wurden. Und oft genug stiessen die Reisenden des 15. und 16. Jahrhunderts auf fremde Amtleute, welche ihre Pässe nicht anerkannten und ihnen neue Gebühren abforderten.

Von Söldnern, Boten und Pilgern
Zum ersten Mal obligatorisch wurden Identitätsdokumente im 15. Jahrhundert. Anfangs waren nur wenige Bevölkerungsgruppen betroffen: Aus dem Krieg zurückkehrende Söldner erhielten in der Eidgenossenschaft, in Frankreich und in Italien so genannte «passaporti», «pass brief» oder «Bassporten» ausgestellt, damit sie ihre Abwesenheit von der Truppe rechtfertigen konnten. In Pestzeiten hatten Reisende mittels Gesundheitszeugnissen (»bollette di sanità») zu bescheinigen, dass sie aus einer nicht von der Seuche betroffenen Region kamen. In Frankreich wurde 1464 allen Boten das Tragen eines «passeport» zur Vorschrift gemacht. Und am Ende des 15. Jahrhunderts waren Pilger nicht nur verpflichtet, ihre Pilgerzeichen offen sichtbar zu tragen, sondern sie sollten zusätzlich ein von ihrem lokalen Pfarrer oder Bischof ausgestelltes Schriftstück mit sich tragen, das Auskunft über ihre Identität gab.

Die Ausweispflicht wurde jedoch immer weiter ausgedehnt: «Zu Beginn des 16. Jahrhunderts», sagt Valentin Groebner, «mussten Bettler, Handwerksgesellen und dann mehr oder weniger alle Reisenden ein Papier vorweisen, auf dem stand, wer sie sind.» Und am Ende des 17. Jahrhunderts war das Fehlen eines Personaldokuments auf Reisen bereits ein Delikt, das mit empfindlichen Strafen bedroht wurde.

Das freiheitliche 19. Jahrhundert
Vom Pass als Ausdruck einer Staatsangehörigkeit sind wir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch weit entfernt: «Im 18. und 19. Jahrhundert waren viele Personen mit Pässen unterwegs, die nicht von ihren Heimatländern ausgestellt waren», so Valentin Groebner. «Da zum Beispiel das englische Königreich besonders hohe Gebühren verlangte, reisten viele Engländer in Europa mit Dokumenten, die von französischen Behörden für sie ausgestellt worden waren.» Nach wie vor handelte es sich bei diesen Dokumenten eher um Reiseerlaubnisse denn um «Personalausweise» im heutigen Sinn.
Bemerkenswert: Im vom Geist des Liberalismus geprägten 19. Jahrhundert fand eine eigentliche Gegenbewegung zur vorgängigen Ausdehnung der Passpflicht statt: «Das Passwesen wurde von den Liberalen zunehmend als feudales Relikt angesehen, das den freien Verkehr von Personen und Waren behinderte», erklärt Groebner. In der Folge schafften viele europäische Staaten zwischen 1860 und 1900 die Passpflicht wieder ab. «Diese europäische ‚Passfreiheit‘ kam vor allem wohlhabenderen Reisenden zugute», so Groebner.

Die Zäsur des Ersten Weltkriegs
Die schöne neue Passfreiheit fand jedoch in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende. Der Wunsch nach Sicherheit drängte die ökonomischen Interessen in den Hintergrund, und in den meisten Staaten wurde die Ausweispflicht wieder eingeführt. In dieser Zeit des Nationalbewusstseins entsteht zudem die strikte Bindung des Passes an eine Staatsbürgerschaft.

Und auch in der Schweiz beginnt die Geschichte des modernen Passes im Ersten Weltkrieg: Während zuvor Reisepässe eine Angelegenheit der einzelnen Kantone waren (wie etwa der erwähnte Aargauer Pass von 1862), erscheint im Jahre 1915 der erste einheitliche Schweizer Pass, damals noch mit dunkelgrünem Umschlag. 1932 wechselte die Farbe auf Hellbraun, und 1959 wurde die dritte Generation eingeführt – erstmals mit rotem Umschlag. Das oftmals mythisch überhöhte «rote Büchlein» ist also nur gerade etwas mehr als vierzig Jahre alt.

Ein teurer (S)Pass?
Und nun wird also auch die jüngste – 1985 eingeführte – Passgeneration bereits wieder abgelöst. Fälschungssicherer soll sie sein, die Version 2003, auf Wunsch der USA maschinenlesbar und den Vorschriften der internationalen Zivilluftfahrtorganisation entsprechen. Das Ganze hat seinen Preis: 120 Franken kostet der neue Pass für Erwachsene und 55 Franken für Kinder. Neu erhält jede Person einen eigenen Pass, Kindereinträge sind nicht mehr möglich (was unter anderem Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Sorgerecht vermeiden und Kindesentführungen erschweren soll). Für eine mehrköpfige Familie können die Gebühren somit durchaus zur Belastung werden. Laut Philipp Bättig bestand bei der Preisgestaltung jedoch kein Handlungsspielraum: «Der Gesetzgeber hat entschieden, dass die Gebühren für den neuen Schweizer Pass kostendeckend sein müssen.»

Zudem beinhaltet ein Pass ohnehin auch einen unschätzbaren ideellen Wert. Der vor allem in Notsituationen zu Tage tritt – Migranten und Flüchtlinge können ein Lied davon singen, was es heisst, ohne Identitätsdokumente leben zu müssen. Oder wie es Bertolt Brecht einst bitter formulierte: «Der Pass ist der edelste Teil an einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und Weise, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.»

Ruedi Haenni

* Valentin Groebner arbeitet derzeit an einem vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekt über Individualität und Identifikation im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit.

Sonntag
16. Februar 2003 | 00:00