Globaler Migrationspakt

Medienmitteilung: Migration und Flucht sind eine Chance zu mehr Multilateralismus und Kooperation. Von Rosmarie Bär

Ein historischer Moment, freute sich der Präsident der Generalversammlung am 10. Dezember 2018, als 164 UNO-Mitgliedstaaten in Marrakesch den Globalen Migrationspakt unterzeichneten. Mehr noch, es war ein historischer Tag: 70 Jahre zuvor wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEM) proklamiert – als zivilisatorische Antwort auf die Gräuel des 2. Weltkrieges. Der Migrationspakt basiert auf der AEM und vereinbart erstmals einheitliche Migrations-Leitlinien. Justitia und Pax nennt sie einen Meilenstein der internationalen Zusammenarbeit. Marrakesch gingen Gezänk und schrille Debatten voraus. Widerstand gegen die Unterzeichnung formierte sich in fast allen europäischen Staaten.

Ziel: Vertrauenszusammenarbeit

Der Pakt ist nicht aus heiterem Himmel entstanden. Die «New Yorker Erklärung» der UNO-Generalversammlung vom September 2016 hatte Auftrag gegeben, zwei globale Vereinbarungen auszuarbeiten, einen «Flüchtlingspakt» und einen zu Migration. Es ist die Erkenntnis auf die «unkontrollierbare» Migrations- und Flüchtlingskrise 2015, dass die globalen Wanderbewegungen von den einzelnen Ländern nicht mehr alleine zu meistern sind. Notwendig ist eine dauerhafte und auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten: «Dieser Globale Pakt ist Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung in der Frage der Migration, mit dem Ziel, sie zum Nutzen aller zu gestalten.» Mit dabei im Verhandlungsprozess waren auch jene Staaten, die heute dagegen Stimmung machen. MigrantInnen-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, das IKRK, ebenso die Privatwirtschaft und die Wissenschaft sassen mit am Tisch.

Eine «sichere, geordnete und reguläre Migration» ist Ziel des Migrationspakts. Den Menschenrechten verpflichtet, zeigt er pragmatische Lösungsstrategien auf. Völkerrechtlich bindend ist er nicht, aber mit politischer und moralischer Verpflichtung. An seinen Standards müssen sich die Staaten künftig messen lassen. Die 23 Ziele lassen unschwer erkennen: Der Migrationspakt schützt die Rechte von MigrantInnen, stärkt Menschenwürde, Sicherheit, und Schutz. Es geht um die Bekämpfung von Menschenhandel, Ausbeutung und Diskriminierung, es geht auch um die Bekämpfung negativer Migrationsursachen in den Herkunftsländern.

Ausgenutzte und Profitierende

Über 250 Millionen Menschen leben weltweit ausserhalb ihrer Heimatländer. Der Pakt will «faire und ethisch vertretbare Bedingungen schaffen für menschenwürdige Arbeit». Vor allem Wander- und Saisonarbeiter werden in vielen Ländern ausgenützt und ausgebeutet. Millionen Menschen sind in Zwangsarbeit gefangen, als Hausangestellte, auf dem Bau, in der Landwirtschaft. Die Gemüseplantagen in Südeuropa gedeihen nur durch Ausbeutung Tausender MigrantInnen.

Heute fehlen legale Zuwanderungsmöglichkeiten. MigrantInnen sind auf irreguläre Routen mit lebensbedrohlichen Gefahren verwiesen. Als «Wirtschaftsflüchtlinge» diffamiert oder als «illegale Einwanderer» kriminalisiert, drohen Abschiebung und Rückführung. Wie hoffnungslos müssen die Lebensperspektiven sein, dass Menschen aufbrechen, auch wenn sie um die Gefahren und Widrigkeiten wissen? Die Menschenkarawanen, die von Zentralamerika nach Mexiko und Richtung USA ziehen, sind traurige Zeugen davon.

ArbeitsmigrantInnen können – so der Pakt – ein erheblicher Entwicklungsfaktor sein, im Zielland wie zu Hause. Beispiel: Die Rücküberweisungen der Diaspora sind wichtig zum Überleben der Familie. Sie übertreffen bei Weitem die staatlichen Entwicklungsmittel internationaler Geber. Ohne dieses Geld wäre der Migrationsdruck noch grösser. Aber die Überweisungen sind viel zu teuer. Das trifft besonders Frauen, die häufiger kleinere Beträge schicken. Diese Kosten zu senken, ist erklärtes Ziel des Paktes. Industriestaaten auf der anderen Seite profitieren in erheblichem Masse vom Zuzug qualifizierter Fachkräfte aus ärmeren Ländern. Die Abwanderung von ÄrztInnen, IT-Experten und Ingenieuren stellt für sie ein gravierendes Problem dar: «Brain-Drain» macht Investitionen im Ausbildungssektor zunichte.

Gemeinschaftsdenken tut not

Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektiven, Gewalt und Korruption, sind starke Triebfedern zu migrieren. Und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weltweit immer mehr. Um die unfreiwillige Migration an der Wurzel zu packen, braucht es nachhaltige Entwicklung in den Herkunftsländern. Und politische Änderungen, vor allem gerechtere Weltwirtschaftsregeln, um extreme soziale Ungleichheiten zu reduzieren. Anleitung dazu gibt die Agenda 2030. Es wäre ein «ethisches Unrecht», würde eine Reform des internationalen Handels- und des Steuerrechtes ausgeklammert. Dort liegt ein Schlüssel, um Migrationsursachen zu bekämpfen.

Die Klimaveränderung macht immer mehr Menschen in immer mehr Ländern zu «Klima-MigrantInnen». Ihre Lebensgrundlagen sind bedroht. Der kausale Zusammenhang zwischen Klimawandel, Konflikten und Migration ist wissenschaftlich belegt. Das IKRK zeigt sich alarmiert über den Zusammenhang von Klimaveränderung und Gewalt in der Sahel-Zone. Alte Spannungen in Niger und Mali verschärfen sich. Fazit: Nur die Umsetzung der Klimaschutzziele im Pariser Übereinkommen verminderte den Migrationsdruck.

«Um die Zukunft zu verhindern» und sein Weltbild nicht in Frage stellen zu müssen, lässt der Kaiser im gleichnamigen Stück von Max Frisch die chinesische Mauer bauen. Dieser Doktrin huldigen heute zu viele politisch Verantwortliche auf der Welt, von den USA über Australien bis zu den meisten Ländern der EU. Löbliche Ausnahme ist Deutschland. Bundeskanzlerin Merkel mahnte in Marrakesch: «Es lohnt sich, um den Pakt zu kämpfen, wegen der vielen Menschen, die dadurch ein besseres Leben bekommen könnten, aber auch wegen des klaren Bekenntnisses zum Multilateralismus. Nur durch den werden wir unseren Planeten besser machen können.» Kein Zweifel, der Migrationspakt ist zum Einfallstor gegen den Multilateralismus geworden. Bornierter Nationalismus feiert Urständ. Völker- und Menschenrechte werden in Frage gestellt. Medien jubeln gar: Die Ära der Werte sei vorbei. Zivilisatorische Errungenschaften wie das friedliche Miteinander verlieren an Gewicht. Es geht an die Substanz der Demokratie.

Quo vadis Schweiz?

Vor Marrakesch wurde in der Schweiz eine politische Lawine gegen den Pakt losgetreten, der Untergang der souveränen Schweiz verkündet. Es sei  ein «verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge». Wir könnten nicht alle aufnehmen, seien nicht das Sozialamt der Welt. Fakt ist: Im Pakt steht schwarz auf weiss, dass jeder Staat seine eigene Migrationspolitik bestimmen und selbstständig regeln kann. Die Verantwortung für ihre Einwanderungspolitik, den Zugang zum Arbeitsmarkt und den Schutz der Grenzen liegt bei ihm.

Wer in der Schweiz für Abschottung plädiert, verweigert sich der Realität. Weder migriert die ganze Welt, noch wollen alle Menschen zu uns. 83 Prozent der Eingewanderten kommen aus europäischen Ländern. Die Wirtschaft ruft weiterhin nach ausländischen Arbeits- und Fachkräften. Aus ganz Afrika wanderten 2017 gerade mal 4307 Personen ein. Der Bundesrat sah sich genötigt, vorläufig auf eine Unterzeichnung des Paktes zu verzichten. Allerdings schreibt er dazu: «Die Leitprinzipien und Ziele entsprechen voll und ganz der Migrationspolitik der Schweiz». Es wäre unverständlich und beschämend, wenn unser Land weiterhin zu den Verweigerer-Staaten gehören würde.

Kein Finale, sondern einen Auftakt markiert die Annahme des Migrationspakts. Staat, Kirche und Zivilgesellschaft sind gemeinsam gefordert, ihn mit Leben zu füllen. In dieser Hinsicht macht Marrakesch Mut. Nur gemeinsames internationales Handeln kann zu guten und fairen Lösungen führen. Grenzen im Denken überwinden ist das Gebot. Oder wie Seneca mahnte: «Es kann niemand ethisch verantwortungsvoll leben, der nur an sich denkt und alles seinem persönlichen Vorteil unterstellt. Du musst für den anderen leben, wenn du für dich selbst leben willst.»

Dieser Beitrag entstammt WeltWeit 2/2019, der Schweizerischen Zeitschrift für Entwicklungspartnerschaft und globale Gerechtigkeit, die am 2. April erscheint. Probe-Exemplare können bezogen werden unter: WeltWeit, Postfach 345, 1701 Freiburg, Tel: 026 422 11 36, info@weltweit.ch www.weltweit.ch

Rosmarie Bär, alt Nationalrätin, war bis Ende 2010 Koordinatorin für Entwicklungspolitik bei Alliance Sud und verantwortlich für das Dossier «Nachhaltige Entwicklung».

WeltWeit
15. März 2019 | 11:05