Eingabe zu Canon 212 § 3 des Codex des Kanonischen Rechtes zu Recht und Pflicht der Gläubigen

Wir, einige Vertreterinnen und Vertreter der Gruppe «Vielstimmig. Kirche sein», rufen das Bischöfliche Offizialat an, eine gerichtliche Klärung herbei zu führen hinsichtlich folgender Rechtlage und folgendem Sachverhalt:

Canon 212 § 3 CIC 1983. Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie [die Gläubigen] das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.

In Wahrnehmung dieses Canons möchten wir unser Recht in Anspruch nehmen, vom geistlichen Hirten in der Person des Apostolischen Administrators S. E. Bischof Peter Bürcher gehört zu werden. Im Zusammenhang mit jenen Anliegen, die nach der Entlassung von Dr. Martin Kopp als Delegierter des Apostolischen Administrators für die Urschweiz von unserer Seite geäussert wurden, in einer Petition schriftlich festgehalten sind und von knapp 4000 Gläubigen unseres Bistums mitgetragen werden, möchten wir mit S. E. Bischof Bürcher sprechen.

Unser Anliegen betrifft das Wohl der Ortskirche: Gläubige im Bistum Chur waren und sind vor den Kopf gestossen ob der Entlassung des Delegierten des Apostolischen Administrators Dr. Martin Kopp und der dafür mehrfach gegebenen kurzen Begründung, Kopp habe die Loyalität gebrochen. Was sind die Verfahrensgarantien (Leitprinzip 7 der Codexreform; vgl. Artikel 6 Europäische Menschenrechtskonvention) für einen Mitarbeiter, der nach Jahrzehnten als leitender Mitarbeiter entlassen wird? Um zumindest besser zu verstehen, möchten wir eine schriftliche Begründung der Entlassung, wie es bereits in der Petition vom 18. März 2020 zum Ausdruck kommt: «… [wir] erwarten […] eine Begründung auf der Basis von Argumenten und nach Methoden, die verantwortliches Handeln erkennen lassen.» In seiner «Antwort an alle auf Ihre zustimmenden und ablehnenden Reaktionen betreffend dem Widerruf der Delegation von Vollmachten und Befugnissen von Dr. Martin Kopp» des Apostolischen Administrators vom 28. März 2020 heisst es, entsprechend obigem Canon: «Es ist jederzeit möglich, direkt an den Bischof zu gelangen.» Dies wird uns von S. E. Bischof Bürcher leider realiter noch nicht ermöglicht. Während der Sedisvakanz sind Räte wie etwa der Rat der Laientheologinnen, -theologen und Diakone ausgesetzt. Die Meinung jener Gläubigen, die unsere Anliegen zum Wohl der Kirche teilen, über das Instrument einer Petition sichtbar zu machen, wurde kurzerhand und undifferenziert als «Instrumentalisierung der öffentlichen Meinung» (ebenda, Antwort vom 28. März 2020) diskreditiert. Seither entzieht sich Bischof Bürcher wiederholt unserem schlichten Ansinnen, mit ihm über unsere Anliegen zu sprechen (Übergabe der Petition in Chur am 18. Juni 2020; Terminanfragen via Telefon seit 21. September 2020).

Im Zusammenhang mit der Legitimität, eine Petition als Weg der freien Meinungsäusserung zu wählen, erinnern wir an die Pastoralinstruktion «Communio et Progressio», in der die Päpstliche Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation explizit festhält: 115. Als lebendiger Organismus bedarf die Kirche der öffentlichen Meinung, die aus dem Gespräch ihrer Glieder erwächst. Nur dann ist in ihrem Denken und Handeln Fortschritt möglich.

116. Darum müssen Katholiken sich völlig dessen bewusst sein, dass sie wirklich die Freiheit der Meinungsäusserung besitzen. […] Die verantwortlichen kirchlichen Obrigkeiten werden dafür sorgen, dass sich innerhalb der Kirche auf der Basis der Meinungs- und Redefreiheit der Austausch legitimer Ansichten lebendig entfaltet. Darum werden sie Normen und Bedingungen schaffen, die diesem Ziel dienen.

Wenn wir als Gläubige von unserem Grundrecht auf ein Gespräch mit dem geistlichen Hirten Gebrauch machen möchten, dann nehmen wir gleichzeitig unsere Pflicht als Christinnen und Christen ernst: wie es der Gesetzgeber in Canon 212 § 3 festlegt, und wie es das oberste Lehramt der Kirche ausdrückt, in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium 37, in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes 32 und im Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyter Ordinis 9.

Von daher rufen wir das Bischöfliche Offizialat an, diesem Grundrecht von uns Gläubigen im Bistum Chur zur Durchsetzung zu verhelfen.

Im Namen der Initiative «Vielstimmig. Kirche sein»:

Zeno Cavigelli, Willi Luntzer,Vivien Siemes, Veronika Jehle, Tonja Jünger, Simone Curau-Aepli, Regula Grünenfelder, Patricia Machill, Nadja Eigenmann-Winter, Monika Baechler, Mirjam Duff, Melanie Berten, Marlies Frischknecht, Josip Knezević, Ilona Nydegger, Hella Sodies, Gregor Sodies, Franziska Driessen-Reding, Felix Hunger, Daniela Messer, Daniel Burger-Müller, Bernd Siemes, Amanda Ehrler

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Gastbeitrag
13. Oktober 2020 | 07:25