Der Wirt Gottes

In Ebnat-Kappel sorgt die sektenhafte Gruppe Adullam für Aufruhr

Mitten im Dorf hat der Prediger Werner Arn das Hotel «Traube» gekauft. Und führt es «konsequent christlich».

Andreas Schmid

Sie bezeichnen sich weiss Gott nicht als Ungläubige. Doch die meisten Einwohner von Ebnat-Kappel SG meiden nun das einst beliebte Hotel «Traube » – denn das Lokal mit Restaurant, Kegelbahn und mehreren Sälen wird seit Juni nach «konsequent christlichen Grundsätzen » geführt. Die neuen Besitzer Werner Arn und das Geschäftsführerpaar Andreas und Regine Dörig haben das Gasthaus mit Rauch- und Tanzverbot belegt. «Tanz ist der Anfang von Hurerei. Der Partnertausch dabei die Vorstufe zum Ehebruch», verkündet Arn. Geschäftsführerin Dörig verweist auf die hohe Scheidungsrate: «Irgendwo hat sie ihren Ursprung. Wir möchten diese Entwicklung nicht noch unterstützen.»

Solche Ideen sorgen im Toggenburg für Aufruhr. Die meisten der rund 5000 Einwohner von Ebnat-Kappel lassen die «Traube » – mitten im Dorf platziert – links liegen. «Das ist der Sektentempel eines Gurus», ereifert sich einer am Stammtisch im «Löwen». Gemässigter, aber ebenso wenig angetan von der Situation, äussert sich Gemeindepräsident Arthur Lieberherr: «Die ‹Traube› hatte eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Jetzt ist das nicht mehr so.» Verkehrsvereins-Präsident Markus Beeler befürchtet gar negative Auswirkungen auf den Tourismus, dem ein traditionsreiches Hotel verloren gehe: «Nach dem, was wir im Dorf gehört haben, können wir im Verkehrsbüro niemanden mehr mit gutem Gewissen in die Traube schicken.»

«Ich weiss, was Hurerei ist»
Der 62-jährige Werner Arn ist überzeugt, Gutes zu tun. «Ich bin ein Mann der Bibel.» Er wolle sie unters Volk bringen. Bevor er im Alter von 26 Jahren von einem Freund auf die Heilige Schrift hingewiesen worden sei, habe er ein Leben ohne christlichen Hintergrund geführt, sagt der gelernte Primarlehrer.

Er sei ein «Festlibruder» gewesen, Mitglied einer Studentenverbindung. «Ich habe offene Augen und weiss, was Hurerei ist.»

Arns Gemeinschaft nennt sich Adullam (Zuflucht) und ist juristisch inexistent, da nicht als Verein organisiert. Offiziell gibt es keine Mitgliedschaft. Dennoch bezeichnet Georg Otto Schmid vom evangelischen Informationsdienst «Kirchen – Sekten –Religionen » die Gruppierung als «sektenhaft». Arn betrachte seine Bibelauslegung als unfehlbar. «Er hält sich und seine Lehre für allein selig machend.» Das seien typische Merkmale einer Sekte, sagt Schmid. Die Gemeinschaft Arns wachse zusehends, bald werde sie 1000 Anhänger zählen. Adullam rekrutiere die Gläubigen in bestehenden freikirchlichen Gruppierungen. Das Toggenburg sei dafür ein reichhaltiger Nährboden. Arns Getreue reisen aber auch von weit her zu den Gottesdiensten an: aus der ganzen Ostschweiz, Süddeutschland und dem Südtirol.

Er sei nicht Anführer einer Sekte, sondern Christ, sagt Arn. «Leute wie Theologieprofessor Schmid vertreten die Sekten.» Die Landeskirchen seien die grössten davon: Sie gelobten den christlichen Glauben, lebten aber nicht danach. Mormonen oder Zeugen Jehovas seien im Vergleich harmlos.

Arn ist beredt. An öffentlichen Vorträgen gelingt es ihm immer wieder, das Publikum für sich einzunehmen. Obwohl er den Auftritt beherrscht, gibt er sich kamerascheu. In den Medien zeigte sich Arn lediglich einmal: im «Toggenburger». Er lud zum Begrüssungsapéro in die «Traube».

Geld in Hülle und Fülle
Finanziell kann Arn, Vater von sieben Kindern, aus dem Vollen schöpfen. Neben der «Traube» hat er in Ebnat-Kappel die Liegenschaften des ehemaligen Kindergärtnerinnen- Seminars gekauft. Und im nahe gelegenen Wattwil betreibt er seit 1988 in einem früheren Fabrikgebäude die christliche Pension «Adullam». Das Haus, das 80 Leuten Platz biete, sei gleichzeitig Alters- und Pflegeheim, Hort für Hilfe suchende Jugendliche und Unterkunft für Leute, die Erholung suchen. Weil der Raum knapp werde, habe er zusätzliche Liegenschaften in Ebnat-Kappel gekauft. Woher der üppige Geldsegen kommt, will Arn nicht sagen. Er habe aber noch nie gebettelt. «Der himmlische Vater gibt uns, was wir brauchen. Niemand wird gezwungen. Wer etwas gibt, tut es freiwillig.» Sektenexperte Schmid begründet Arns Reichtum pragmatischer: «Seine Anhänger überlassen ihm den zehnten Teil ihres Einkommens, da kommt ein ansehnliches Kapital zusammen. »

In Ebnat-Kappel kursiert das Gerücht, Frauen in kurzen Röcken und Männer in kurzen Hosen – etwa einkehrende Rennvelofahrer – würden in der «Traube» nicht bedient. Das stimme nicht, sagt Geschäftsführerin Regine Dörig. «Es gibt keine Kleidervorschrift.» Sie selbst trage jedoch ausschliesslich lange Röcke. «Als ich gläubig wurde, wollte ich keine Hosen mehr anziehen.» Sie habe Gott gefallen wollen, und «das ist für eine Frau nur in weiblichen Kleidern möglich».

Die 24-jährige gebürtige Deutsche erzählt, wie sie einst im Faschingsverein die Vergnügen mitgemacht habe, bevor sie den Weg der Bibel gefunden habe. Dass Werner Arn und seine Gefolgschaft als Sekte tituliert werden, stört sie nicht: «Es war schon immer so, dass Gläubige, die konsequent ihren Weg gehen, verschrien wurden.» Aus der Bibel ergibt sich für Regine Dörig, dass Frauen in der Glaubensgemeinschaft nicht gleichberechtigt sind: «Der Mann ist das Haupt der Frau», verkündet sie.

Nachdem Werner Arn die «Traube» gekauft hatte, kündigte er dem gesamten bisherigen Personal und ersetzte es durch Angestellte aus den eigenen Reihen. «Das wurde im Dorf sehr schlecht aufgenommen », sagt Verkehrsvereins-Präsident Beeler. Im Hotel «Traube» gibt es keine Fernsehgeräte. Zu viel Pornografisches und mystisch Angehauchtes werde im TV gezeigt. Dennoch sagt die Geschäftsführerin: «Wir sind ein normales Hotel.»

Das bezweifeln die Vereine Ebnat-Kappels, die früher in den Sälen des Hotels Mitgliederversammlungen, Unterhaltungsabende und Theateraufführungen organisierten. Sie sind heimatlos geworden. «Wir werden unsere Treffen anderswo abhalten», sagt Peter Langenegger vom örtlichen Skiklub. «Wir wollen es gemütlich haben.»

Der Männerchor und der Damenturnverein haben sich ebenfalls aus der «Traube » verabschiedet. Und auch der Jodelklub sucht sich ein neues Lokal. Obwohl Volkstanz- und Folkloregruppen weiter willkommen wären und nicht vom Tanzbann belegt sind. «Wir gehen nicht mehr rein», sagt Jodelklub- Präsident Sepp Scherrer. Der neue Besitzer werde mit seinen «Geschäftsideen» nicht lange Hotelier bleiben, prognostiziert Josef Stäheli, Präsident des Fischereivereins Obertoggenburg. Arn wolle den Betrieb gar nicht erfolgreich führen, behaupten andere. Schon bald werde das Hotel anderweitig für Adullam genutzt, ohne dass man dem Besitzer vorwerfen könne, er habe das Lokal nicht weiterzuführen versucht. Werner Arn hatte sich früher auch im nahe gelegenen Hemberg betätigt. Als Leiter eines Missionshauses, im eigenen Jugendtreff und als Fürsorger betagter Menschen. Der damalige Gemeindepräsident Walter Meier sah in Arn eine Gefahr für den 1000-Seelen-Ort. Dessen Gemeinschaft sei eine «Sekte der schlimmsten Sorte», sagte Meier Ende 1999 gegenüber dem «St. Galler Tagblatt». Vermutlich erschleiche sich Arn bewusst die Sympathien älterer und hilfsbedürftiger Menschen, um sie für seine Interessen zu gewinnen.

Meier hatte bereits 1986 unliebsame Bekanntschaft mit Arn geschlossen. Als Meiers Frau Käthi zur reformierten Pfarrerin gewählt wurde, drohte Arn, dass Hemberg nun vom Gericht Gottes heimgesucht werde, denn «eine Frau als Pfarrer ist des Teufels». Für Aufsehen sorgte Arn später noch einmal, als er in einer neu gekauften Liegenschaft allen unverheirateten Paaren die Wohnung kündigte. Schliesslich kehrte der umstrittene Einwohner den Hembergern den Rücken, als er das Restaurant «Löwen» nicht zugesprochen erhielt, das zum Verkauf ausgeschrieben war. Das Angebot des Ehepaars Walter und Käthi Meier wurde jenem Arns vorgezogen.

Bedingungslose Anhängerschaft
Immer mehr sei Werner Arn zum Guru geworden, beobachtete Sektenexperte Schmid. Er dulde niemanden neben sich. Seine Nummer zwei, der «Traube»-Geschäftsführer Andreas Dörig, könne ihm nicht gefährlich werden. Und die Anhängerschaft folge Arn bedingungslos. Diese Feststellung bestätigen ehemalige Sympathisanten: Er könne nur entschieden vor ihm warnen, schreibt ein besorgter Gläubiger im Internetforum www.bibelkreis.ch. Ausserhalb der Gruppe Arns scheine es kein Licht über die Wahrheit zu geben, «die Gruppe verlassen bedeutet, sich auf den Weg zur Hölle zu begeben».

Die Gemeinschaft Arns erwarte den baldigen Weltuntergang, sagt Theologe Schmid. «In dieser Situation wäre es verantwortungslos, den Chef in Frage zu stellen. Das käme einem Sprung aus der Arche in die tosende Sintflut gleich.» Solche Äusserungen erachtet Werner Arn als Arroganz. Trotzdem lache er inzwischen darüber. «Ein Christ kennt keinen Zorn.» Doch seine Stimme sagt anderes als sein grossmütiges Wort. Sie klingt wütend.

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12. August 2004 | 00:00