«Delikt der Solidarität»: Behörden müssen absurde Beschuldigung gegen Pfarrer fallen lassen

Medienmitteilung

London / Bern (24. Oktober 2018) – Ein evangelischer Pfarrer hatte einem abgewiesenen Asylsuchenden Essen und Unterkunft angeboten und wurde dafür von der Neuenburger Justiz bestraft. Morgen entscheidet die Staatsanwaltschaft in Neuenburg, ob an den Vorwürfen gegen Pfarrer Norbert Valley festgehalten wird.

Norbert Valley, der von der Polizei mitten aus dem Gottesdienst zum Verhör auf den Polizeiposten geholt wurde, wird beschuldigt, «den illegalen Aufenthalt» eines togolesischen Mannes erleichtert zu haben. Nach seiner Weigerung, eine Geldstrafe von 1’000 Schweizer Franken zu zahlen, wird die Staatsanwaltschaft am Donnerstag entscheiden, ob der Strafbefehl bestätigt oder das Verfahren einstellt wird.

«Dass diese mitmenschliche Tat kriminalisiert wird, ist absurd. Die Behörden unternehmen gewaltige Anstrengungen, um das humanitäre Handeln derjenigen einzudämmen, die Flüchtlingen und Asylsuchenden helfen wollen», sagt Cyrielle Huguenot, Kampagnenverantwortliche für Flucht und Migration bei Amnesty International Schweiz.

«Norbert Valley hat nichts falsch gemacht. Er zeigte einfach Mitgefühl mit jemandem, der in einer schwierigen Situation war. Er sollte dafür belohnt und nicht bestraft werden. »

Der evangelische Pfarrer wurde im Februar von der Polizei verhört, die an einem Sonntag während des Gottesdienstes in der Kirche in Le Locle (NE) auftauchte.

Valley wurde gemäss Artikel 116 des Ausländergesetzes vorgeworfen, den illegalen Aufenthalt eines Staatsbürgers aus Togo durch die wiederholte Bereitstellung von Unterkunft und Nahrung erleichtert zu haben. Im August wurde er mit einer bedingten Geldstrafe von 1’000 Franken und der Bezahlung von 300 Franken Verfahrenskosten bestraft.

Kein Einzelfall

«Leider ist die Geschichte von Pfarrer Valley kein Einzelfall, sondern der jüngste in einer Reihe von Fällen: In ganz Europa haben Behörden Einwanderungs- und Anti-Schmuggler-Gesetze zur Kriminalisierung solidarischen Handelns eingesetzt», sagt Cyrielle Huguenot.

«Es geht dabei nicht nur um die Verfolgung von Einzelpersonen. Sondern auch darum, ein Klima zu schaffen, in dem Menschen mit grundlegendem menschlichen Anstand stigmatisiert und davon abgehalten werden, anderen Menschen zu helfen. Pfarrer Valley ist zum Symbol all derer geworden, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Die Anklage gegen ihn sollte fallen gelassen werden. »

Vertreterinnen und Vertreter von Amnesty International und der christlichen Gemeinschaft Sant’Egidio werden am 25. Oktober ausserhalb des Justizgebäudes in Neuenburg ihre Solidarität mit Pfarrer Valley bekunden.

Hintergrund

Amnesty International ist besorgt über die Kriminalisierung von Menschen, die die Rechte von Migranten, Migrantinnen und Flüchtlingen in Europa verteidigen. In der Schweiz wurden in letzter Zeit in den Medien mehrere Fälle publik, in denen Menschen aufgrund ihrer Solidarität mit Flüchtlingen und MigrantInnen bestraft wurden.

Laut Bundesamt für Statistik gab es im vergangenen Jahr 785 Verurteilungen wegen «Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts», die gemäss Artikel 116 Ausländergesetz (AuG) unter Strafe steht.

Diese Statistiken geben derzeit keine Hinweise darauf, wie viele Verurteilungen Personen betreffen, die aus humanitären Gründen gehandelt haben. Im Gegensatz zur Schweiz bestrafen mehrere europäische Länder keine Personen, die den illegalen Aufenthalt eines Ausländers erleichtern, solange sie keinen Vorteil daraus ziehen. Dies gilt insbesondere für Österreich, Bulgarien, Zypern, die Tschechische Republik, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden und Frankreich.

Amnesty International fordert das Parlament auf, das Ausländergesetz zu überprüfen: Bürger und Bürgerinnen, die solidarisch handeln und die Rechte von Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen schützen, sollen nicht bestraft werden. Die Behörden sollten Menschenhändler, Schmugglerinnen und jeden, der die Notlage von Menschen ausbeutet, verfolgen – nicht aber Bürgerinnen und Bürger, die die Grundrechte anderer verteidigen.

Amnesty International
24. Oktober 2018 | 14:48