Decken, Schlafsäcke und Kleider dringend benötigt

Im Oberland, in Thun und in Bern werden bis am Mittwoch Hilfsgüter für einen Transport in die Ukraine gesammelt.

Sicher steuert Beat «Yeti» Hutmacher den Lieferwagen durchs dichte Schneetreiben. In Beatenberg ist er unterwegs, um bei einer betagten Frau warme Kleidung und Decken abzuholen. Spendengüter, die der Verein Bär und Leu mit Direkttransporten über ein eigenes Netzwerk an die Ukraine vermittelt. «Endlich Schnee», freut sich der Unternehmer aus Interlaken. «Gleichzeitig denke ich mit Beklommenheit an die notleidenden Menschen in der Ukraine», ergänzt er. «Auch dort liegt jetzt Schnee, und es ist bitterkalt. Doch kaum jemand kann sich in der Ukraine jetzt in ein wohlig-warmes Daheim zurückziehen oder sich überhaupt angemessen vor der Kälte schützen.»

Helfende Hände

Diese Zustände lassen Hutmacher keine Ruhe. Seit den ersten Kriegstagen leistet er fast in jeder freien Minute Hilfe für das kriegsgeschüttelte Land und dessen Flüchtlinge, sammelt Hilfsgüter, hat im Oberland Sammelstellen organisiert und in Matten im Frühling ein Hilfsgüter-Lädeli für Kriegsflüchtlinge mitinitiiert. «Ich dachte, ich mache das vielleicht zwei, drei Monate. Nun sind es bald zehn. Einen Krieg zu beenden, fällt offenbar schwerer, als ihn zu beginnen.»

Ans Aufhören hat Beat Hutmacher dennoch keinen Moment gedacht. «Ich erlebe unglaublich viel Schönes.» Mit wenig Aufwand könne man sehr viel bewegen. «Es gibt so viele Menschen in der Schweiz und im Berner Oberland, die mitdenken, mitfühlen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln. Das motiviert.» Er könne nicht anders, wenn er an Menschen denke, die 1500 Kilometer östlich von hier bei klirrender Kälte oft in Gebäuden mit geborstenen Fenstern, ohne Heizung, ohne Licht, Strom, Wasser und Kanalisation ausharren müssen. «Das ist weniger Infrastruktur als auf einem Campingplatz.»

Leidende benötigen Wärme

Rolf Blickle unterstreicht diese Beschreibung. Regelmässig steht er in Verbindung mit den Partnern von Bär und Leu in der Ukraine. «Heute war bisher noch kein Kontakt nach Uschhorod möglich.» Die ukrainische Stadt an der Grenze zu Ungarn und der Slowakei verfügt jeweils nur kurzzeitig über Strom. «Die Blackouts wegen des durch die russischen Angriffe massiv beschädigten Stromnetzes betreffen auch den äussersten Westen der Ukraine.»

Die Menschen bräuchten vor allem Strom, Winterkleidung, Winterschuhe und Wärme, auch im übertragenen Sinn, in Form von Beistand, Hilfe und Unterstützung. «Hier sehe ich unsere Rolle», sagt das Vorstandsmitglied von Bär und Leu: «Die Herausforderungen sind riesig. Doch jedes Hilfspaket zählt. Jede Lieferung, jede Sammlung, jeder Transport bedeutet für die notleidenden Menschen so viel.» Für grössere Einrichtungen wären sicher auch Generatoren gefragt, so Blickle: «Und Geld ist immer hilfreich.»

Lachen zum Überleben

Viele Lastwagenladungen mit insgesamt einigen Dutzend Tonnen Hilfsgütern hat Bär und Leu seit letztem Frühling auf den Weg von der Schweiz in die Ukraine gebracht. Darunter eine hydraulische Feuerwehrleiter, ein Behindertentransportfahrzeug und einen neuwertigen Ambulanzwagen. Der Verein mit Sitz in Thun ist unter anderem spezialisiert auf medizinisches Material. 50 Pflegebetten – jedes 140 Kilo schwer – hat er schon befördert. Dazu palettenweise aufwendig triagiertes Material aus Schweizer Spitälern für Orthopädie, Operation und Drainage, Verbandsmaterial, Flüssigkeiten (Desinfektion), Medikamente und Spritzen, wie Rolf Blickle aufzählt.

Später kann er eine Verbindung nach Uschhorod aufbauen und erfährt einmal mehr, wie die Familien unter dem Getrenntsein leiden, wie unsägliches Leid den Kämpfenden und allen anderen Opfern zusetzt. Kaum auszuhalten seien die Erzählungen der Fahrer nach der Befreiung von Cherson gewesen: «All der Wahn von Folterung, Vergewaltigung, Zerstörung. Diese Verletzungen verlangen viel, viel Narbenarbeit.» Es sei schwer zu ertragen, habe die Übersetzerin gesagt. «Man könne nur noch weinen oder lachen. Doch die Menschen richten sich am Lachen auf. Weil das Leben eben weitergehen muss.»

«Nicht nachlassen»

Am kommenden Freitag verlässt ein letzter ukrainischer Lastwagen das Depot von Bär und Leu in Grosshöchstetten, um die ukrainischen Städte Uschhorod, Lwiw, Riwne, Kiew und Mikolajiw anzufahren. «Dann legen wir eine Winterpause ein», erklärt Rolf Blickle: «Dies ist vor allem bedingt durch die Kälte, den Schnee und die damit verbundenen schwierigen Verkehrsverhältnisse.» Hinzu kämen Engpässe beim Treibstoff an ukrainischen Tankstellen und die prekäre Stromversorgung: «Fällt der Strom aus, machen die ukrainischen Zollstationen dicht, was zu riesigen Staus und tagelangen Wartezeiten auf beiden Seiten der Grenzübergänge führt.»

Die Not und der Überlebenswille der Ukrainerinnen und Ukrainer ist auch für Beat Hutmacher Ansporn, sein Engagement unermüdlich fortzusetzen. «Würde ich aufhören, wäre es vielleicht auch für andere ein Signal, aufzuhören. Ich bin aber inspiriert und will andere zum Weitermachen inspirieren.» Er könne gar nicht anders, als zu versuchen, den notleidenden Menschen, aber auch den Tieren, der Natur und Umwelt eine Stimme zu geben. «Wir dürfen jetzt nicht nachlassen in unserem Einsatz für Frieden, Demokratie und Freiheit.»

Auch das Gewerbe hilft

Engagement für Notleidende sei auch eine schöne und befriedigende Arbeit, betont der Interlakner. «Die Mithilfe und die Rückmeldungen sind überwältigend.» Gerade auch das Gewerbe engagiere sich sehr. «Wir erhalten sehr viele Materialspenden von Hotels und Kleingewerbe. Bettwäsche, Decken und Matratzen. Hier ein Werbeplakat, da ein Fahrzeug oder Anhänger zum Benutzen.» Wenig überraschend schliesst Beat Hutmacher mit einem Aufruf: «Spenden von grösseren Warenposten hole ich gerne ab. Man kann mich einfach anrufen.»

Hilfsgütersammlung für Kurzentschlossene

Vor einer kältebedingten Winterpause fährt am kommenden Freitag, 16. Dezember, für dieses Jahr ein letzter Sattelschlepper für Bär und Leu in Richtung Ukraine. Im zentralen Depot in Grosshöchstetten wird der Transport mit Hilfsgütern beladen. «Winterbedingt sammeln wir zurzeit Decken, Schlafsäcke, Bettwäsche, Iso-Matten, Winterkleider und Winterschuhe», sagt Heiner Bregulla, Präsident der Stiftung Bär und Leu: «Bitte alles sauber und trocken verpackt, möglichst in Plastiksäcken und beschriftet.»

Folgende Sammelstellen nehmen die erwähnten Hilfsgüter entgegen: Thun, Kirchgemeindehaus Markus, Schulstrasse 45, bis Mittwoch, 14.12. um 17.30 Uhr. Matten, Kirchgemeindehaus, Herziggässli 21, Dienstag, 13.12., 16–18 Uhr. Meiringen: Schulhaus Kapellen, Donnerstag, 15.12., 15–18 Uhr. Grindelwald: Sammel-Container bei der Kirche, bis Mittwoch, 14.12. um 17.30 Uhr. Bern-Bümpliz, Emmaus Bern, Statthalterstr. 101, im ehemaligen Kipferhaus neben Chilbiplatz (beim Abgeben sagen, dass es für Bär und Leu ist) bis Mittwoch, 14.12. um 17 Uhr. Grössere Warenposten werden auch abgeholt. Kontakt: 079 311 14 47. Infos: www.baerundleu.ch. (hpr)

Berner Zeitung
13. Dezember 2022 | 11:03