Bodensee-Friedensweg bietet Meinungsvielfalt eine Bühne

Friedensbewegt sein muss nicht bedeuten, sich in allen Details einig zu sein. Das haben besonders die letzten zwei Jahre gezeigt, seit der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Schlagzeilen prägt. Ein entsprechendes Meinungsspektrum brachte auch der diesjährige internationale Bodensee-Friedensweg in Friedrichshafen auf die Bühne und bewies dabei Mut zu Dissens. Die rund 300 Veranstaltungsteilnehmer belohnten diesen mit Applaus und langem Stehvermögen trotz kühler Temperaturen und anfänglichen Nieselregens.

Lena Reiner

Den Auftakt macht Günther Weber, der seit 35 Jahren in Friedrichshafen lebt und sich für Frieden starkmacht. Er erinnerte die Teilnehmer an die Geschichte Friedrichshafens, besonders den 28. April 1944. «322 Lancasterbomber erreichten Friedrichshafen um 1 Uhr 05. 70 Minuten später lag die Altstadt in Schutt und Asche.» Nur in dieser Nacht seien mehr als 200 Menschen getötet worden. Weitere Hunderte starben in der Folge bei weiteren Angriffen auf die Rüstungsstadt. Die Zerstörung dieser sei in Berlin vorhergesehen und in Kauf genommen worden; das belegen auch die Wiederaufbaupläne für die Stadt am See, die bereits 1940 fertig in der Schublade lagen.

Organisator Frieder Fahrbach gedachte daraufhin mit einem Moment der Stille aller Opfer aller Kriege weltweit. Dann ging es in einem Zug durch die Innenstadt vom Buchhornplatz über die Karl- und Friedrichstraße bis zur Musikmuschel am Ufer. Unterwegs blieben einige Passanten stehen und lasen die Botschaften der Marschierenden, die sich gegen Waffenlieferungen an Israel, für ein Ende des Genozids im Gaza, für ein Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und generell mehr Frieden in der Welt stark machten. Friedensaktivisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen zusammen, dazu Umweltaktivisten, denn der internationale Bodensee-Friedensweg verbindet traditionell den Schutz von Umwelt und den Erhalt des Friedens.

Moderiert von Andreas Zumach äußerten sich die österreichische Pressesprecherin der Letzten Generation Marina Hagen-Canaval, der Schweizer Historiker Jo Lang und die deutsche SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Engelhardt zu den großen Fragen rund um Krieg und Frieden.

Zumach erinnerte in seinen Eröffnungsworten an die Proteste in Israel, die nicht nur eine Freilassung der Geiseln forderten, sondern auch eine Waffenruhe im Gaza-Streifen sowie ein Ende der Amtszeit von Regierungschef Benjamin Netanjahu: «Ihnen gilt unsere Solidarität!»

«Ich halte nichts davon, dass Europa sich zur Atommacht aufspielt und ein gnadenloses Wettrüsten beginnt. Ich komme aus der Generation ‘Frieden schaffen ohne Waffen», stellte Engelhardt direkt zu Beginn klar. Auch die anderen Podiumsgäste hielten wenig vom «atomaren Schutzschirm», den sie ganz grundsätzlich in Frage stellten.

Wichtig hingegen seien Verhandlungen, auch da bestand Einigkeit. Zumach hinterfragte, ob Bedingungen, wie die Ukraine sie stelle, dass erst verhandelt würde, wenn alle russischen Truppen abgezogen seien, zulässig seien. Lang positionierte sich zuerst: «Ich würde jetzt aus verhandlungstaktischen Aussagen keine Essenz einer Regierung ziehen.» Aber eins sei klar: «Ich werde nie an die Ukraine, die angegriffen wurde, Forderungen stellen. Ich stelle Forderungen an Putin, der angegriffen hat. Aber es stimmt; am Schluss muss man mit dem Feind reden, das weiß auch Selenskij.»

«Es ist ein komplexes Thema, das kann man nicht schwarz-weiß diskutieren», betonte Engelhardt, «ich kann mir unter Umständen vorstellen, dass es eine internationale Friedensmission gibt, die in der Ukraine für eine Übergangszeit tätig ist.» Diese könne Putin und Selenskij ermöglichen, an den Verhandlungstisch zu kommen und auch wenn es jetzt schwerfalle: «die ermögliche, dass beide Seiten nicht ihr Gesicht verlieren.» Denn für eine Versöhnung brauche es am Ende zwei zufriedene Verhandlungspartner. Gleichzeitig widersprach sich dem Schild eines Demonstranten: «Ich denke, es steht uns nicht zu, von der Ukraine zu fordern, neutral zu sein oder irgendeinem Bündnis beizutreten.»

Wichtig sei es, unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden, betonte vor allem Hagen-Canaval und forderte eine konsequente Energiewende, auch in Hinblick auf den Klimawandel ganz im Sinne der Veranstaltung, die den Einsatz für Frieden und Umwelt traditionell verbindet: «Wenn niemand mehr Öl und Gas kauft, dann wird die russische Wirtschaft sich verändern müssen. Das musste die Schreibmaschinenindustrie genauso. Wenn wir immer nur sagen ‘die arme Wirtschaft’, dann sterben wir alle an der Klimakatastrophe und ihren Folgen.» Zuvor jedoch werde der Klimawandel zu weiteren Krisen führen: Kampf um Wasser und Nahrung nämlich.

Jo Lang betonte, dass es kein Widerspruch sei, die Ukraine militärisch zu unterstützen und sich Aufrüstung entgegenzustellen: «Das ist nur ein vermeintlicher Widerspruch derer, die das gleichsetzen. Wir müssen nicht aufrüsten. Westeuropa und die USA sind Russland ohnehin schon militärisch überlegen.» Und eben damit schlug er auch den Bogen zu seiner Vorrednerin: «Es ist unwahrscheinlich, dass Putin uns angreift und wir dürfen nicht über etwas so Unwahrscheinlichem das aus den Augen verlieren, was sicher ist. Die Klima-Erhitzung trifft uns nämlich alle, wenn wir nicht bald etwas sehr Mutiges tun!»

Und so endete eine Veranstaltung, die einigen Stoff zum Nach- und Weiterdenken anbot, mit Applaus, Dank und Livemusik.

Bei der Veranstaltung «Europa – Wohin entwickelt sich der ehemalige Friedensnobelpreisträger» am Mittwoch, 3. April, um 19 Uhr im Gemeindesaal der Friedenskirche, Lilienstraße 14, in Friedrichshafen, sind Interessierte herzlich eingeladen, über die großen Fragen selbst mitzureden.

| © zVg
Bodensee-Friedensweg
4. April 2024 | 15:11