Bishop Roshchin zum Treffen des Papstes mit Patriarch Kyrill

Im Wortlaut

Ein Kommentar von Bishop John Roshchin, New York / Moskauer Patriarchat zum Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill auf Kuba am 12. Februar 2016. Er äusserte sich zum Kuba-Treffen auf Anfrage des Instituts für Ökumenische Studien der Universität Fribourg.

Zweifellos wird die Begegnung der Oberhäupter der Römischen Katholischen Kirche und der Russischen Orthodoxen Kirche in die Geschichte eingehen – in die Geschichte der christlichen Kirche, in die Geschichte der Beziehungen zwischen Ost und West, und, so ist zu vermuten, in die politische Geschichte.

Zahlreiche Kommentare zum Treffen und zur gemeinsam unterzeichneten Erklärung mit der Vielzahl der hier aufgenommenen Themen sind mühelos in den Massenmedien zu finden. Einige schreiben begeistert über das Treffen selbst, andere legen den Akzent auf die Ergebnisse, wieder andere achten auf die theologische Sprache des Schreibens oder auf die gesellschaftspolitischen Fragen, suchen nach Provokationen, suchen Spuren in der Vergangenheit oder stellen einfach die kurze Frage: « Wie geht es weiter? » Mehrheitlich wird ein wesentlicher Aspekt übersehen: die christliche Weltanschauung, oder, wenn man so will, der sittliche Imperativ in den Worten der beiden Kirchenoberhäupter.

Ohne weit in die Geschichte zurückzugehen, lässt sich in jüngster Zeit der erste Versuch zu einem derartigen Treffen auf das Jahr 1996 zurückführen. Damals wurden nach Angabe von Metropolit Hilarion Alfeyev, dem Leiter des Aussenamtes des Moskauer Patriarchats, Schritte zu einer Begegnung zwischen Papst Johannes Paul II. und Patriarch Alexij II. unternommen. Alle notwendigen Vorbereitungen, Datum und Ort inbegriffen, waren getroffen. Da man sich jedoch in der letzten Phase über wichtige Punkte des gemeinsamen Communiqués nicht einigen konnte, scheiterte das epochale Ereignis. In der Folgezeit wurden die Verhandlungen über ein mögliches Treffen teils wiederaufgenommen, teils als verfrüht erklärt.

Was hat sich in der Zwischenzeit verändert? Wirft man einen Blick auf die Gemeinsame Erklärung, wird sofort sichtbar, dass eine der größten Herausforderungen der Gegenwart für die christlichen Kirchen heute die Situation im Nahen Osten darstellt. Dort erleiden Christen faktisch eine Vernichtungskampagne, und der Terror hat Millionen von Menschen gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Frage des Säkularismus in der heutigen Gesellschaft, insofern religiöse Beweggründe in der Öffentlichkeit ihre Daseinsberechtigung verlieren. Angeschnitten werden auch Fragen wie die Sorge um die Familie und die christlichen Werte, die in vielen westlichen Ländern zum dringlichen Problem für Menschen werden, die ihr Leben nach dem Evangelium gestalten wollen. Auch Fragen wie die Würde des menschlichen Lebens, die Erziehung der Jugend, soziale Ungleichheit und geopolitische Herausforderungen sind Gegenstand der pastoralen Besorgnis der beiden Hierarchen.

Viele dieser zahllosen Probleme bestanden bereits Ende des 20. Jahrhunderts. Natürlich sind die heutigen Ausmaße der Herausforderungen für Christen in der ganzen Welt unvergleichlich höher als vor zwei Jahrzehnten. Bereits damals hat die Kirche von dramatischen Folgen gesprochen, die eintreten könnten und die heute, wie wir sehen, in verschiedenen Teilen der Welt eingetreten sind. Wo also liegt die Einzigartigkeit der Begegnung auf Kuba?

Das wichtigste Zeichen der brüderlichen Umarmung der zwei Hierarchen ist das Vorbild der persönlichen Demut und der geistlichen und sittlichen Anteilnahme am Schicksal nicht allein der Christen, sondern der ganzen Menschheit. Ja, zwischen Rom und Moskau bleiben Divergenzen in der Theologie und in der Entscheidung einiger zwischenkirchlicher Fragen sowie im Umgang mit geopolitischen Fragen. Es gibt jedoch etwas, was für Politiker und Geschäftsleute, Militär, Diplomaten und Massenmedien, für Glaubende und Nichtglaubende, für alle Menschen vorbildlich ist: der Umgang mit den Fragen, die letztlich über die Zukunft der ganzen Welt entscheiden werden.

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill haben den Mut gehabt, aufeinander zuzugehen, den Stolz abzulegen, momentanen Nutzen zu vergessen. So wurden sie wirkliche Leitfiguren ihrer Kirchen, christliche Hirten, die ohne Angst vor der Verurteilung von verschiedenen Seiten für die Sache Gottes eintreten. Beide haben versucht, nicht nur Berührungspunkte zu finden, sondern einen Teil der eigenen Seele für den anderen zu geben, wie Paulus schreibt: «Allen bin ich alles geworden, um zumindest einige zu retten» (1 Kor 9,22).

Ökumenisches Institut der Universität Fribourg

Universität Fribourg
16. Februar 2016 | 12:48