Priorin Irene Gassmann
Schweiz

Priorin Irene: Im Priestermangel der Frauenorden liegt Chance

Ordensgemeinschaften sind viel zu wenig im Blick. Dabei seien sie Vorläuferinnen der Kirchenentwicklung, findet Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr. Sie kritisiert, dass Ordensfrauen oft als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden. Ein Gastbeitrag.

Irene Gassmann*

Wann haben Sie letztmals etwas vergessen? Was war das? Und wie merkten Sie, dass Sie dies vergessen hatten? Bei mir war dies vor kurzem ein Arzttermin, den ich total vergessen hatte. Nicht einmal als der Anruf der Arztpraxis kam, fiel mir ein, dass ich einen Termin verpasst hatte! Es ging mir so gut, dass ich nicht mehr an diesen Termin dachte. Das ist ein kleines Beispiel, wann wir etwas vergessen: Dann, wenn wir es nicht mehr brauchen oder wenn es uns nicht fehlt.

Und was heisst das nun für die vergessene dritte Kraft der Kirchen – für die Orden? Woran liegt es, dass die Orden selbst in der Kirche in Vergessenheit geraten sind? Hier ein paar mögliche Antworten:

Maria Himmelfahrt im Kloster Fahr: Nonnen beim Beten.
Maria Himmelfahrt im Kloster Fahr: Nonnen beim Beten.

1. Die Kirche und die Gesellschaft brauchen die Orden nicht (mehr). Viele soziale Werke oder auch Bildungsinstitute, die vor allem von Ordens-Frauen gegründet und aufgebaut worden sind, werden heute durch den Staat geführt. Für diese Aufgaben braucht es die Orden nicht mehr.

2. Die Orden machen kaum Probleme, sie stören nicht, so nimmt man sie nicht wahr. 

3. Die Orden organisieren und finanzieren sich weitgehend selber; sie beziehen auch keine Kirchensteuer.

Malika Schaefer spricht als Online-Delegierte zur Synode in Prag.
Malika Schaefer spricht als Online-Delegierte zur Synode in Prag.

Selbst im laufenden synodalen Prozess werden die Orden kaum erwähnt. Im Synoden-Bericht des Bistums Basel ist zu lesen: «Geistliche Gemeinschaften oder Orden sind zuweilen Gruppen, zu denen Laien oder Gläubige an der Basis keinen Zugang haben.» Zugegeben, diese Aussage hat mich irritiert. Ist das wirklich so? Ich jedenfalls erlebe dies anders. Aber das ist meine Sicht von innen.

Und im Dokument für die kontinentale Synode werden die Orden nur in den Kapiteln über die Teilhabe von Frauen erwähnt: «Ordensfrauen werden oft als billige Arbeitskräfte eingesetzt».  

Ja, es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Orden in den Kirchen in unseren Breitengraden in Vergessenheit geraten sind.

Ordensgemeinschaften als Vor-Bilder

Und dennoch sind Ordensgemeinschaften Vor-Bilder für die Entwicklung der Kirche. Vor-Bilder nicht gemeint als «gutes Vorbild», sondern, an den Orden lässt sich die Entwicklung ablesen, die die Kirche als Ganzes erst später im gleichen Mass betreffend wird. Dies sowohl in dramatischen Abbrüchen als auch in zukunftsgerichteten Aufbrüchen.

Gläubige in der Klosterkirche Einsiedeln
Gläubige in der Klosterkirche Einsiedeln

Dramatische Abbrüche

Die Erosion, das Auflösen und Verschwinden der Klöster, ist unaufhaltsam. Vor kurzem konnte man innert einer Woche von zwei Frauengemeinschaften in der Zentralschweiz lesen, die ihre Häuser schliessen werden. Das eine ist die Stella Matutina, das Bildungshaus der Baldeggerschwestern in Hertenstein. Und im Kloster St. Klara in Stans haben die acht Schwestern beschlossen, nach Luzern zu den St. Annaschwestern zu ziehen.

Solche Nachrichten schmerzen. Es tut weh, zu sehen, wie sich ein Kloster nach dem anderen leert.

Das Bildungshaus "Stella Matutina" in Hertenstein
Das Bildungshaus "Stella Matutina" in Hertenstein

Die Überalterung und der fehlende Nachwuchs sind in vielen Gemeinschaften eine Realität. Auch ich spüre dies in meiner Gemeinschaft. Mit dieser Herausforderung umzugehen ist anspruchsvoll.

Mir hilft dabei eine Entdeckung in der Bibel, die ich vor nicht allzu langer Zeit gemacht habe: Nicht selten standen an Wendepunkten der Heilsgeschichte betagte Menschen. Denken wir an Abraham und Sara, an Elisabeth und Zacharias oder auch an den greisen Simeon und die Prophetin Hanna. So gesehen ist uns in den Klöstern mit der aktuellen Altersstruktur eine besondere Zeit anvertraut. Es ist unsere Aufgabe, diesen Übergang achtsam und würdevoll zu gestalten.

Zukunftsgerichtete Aufbrüche

Gleichzeitig ist es wichtig, Entscheide zu fällen und Weichen für die Zukunft zu stellen, solange die Kräfte noch da sind, um Veränderungen aktiv mitzugestalten und mitzutragen. Ich kann hier aus eigener Erfahrung sprechen.

Priorin Irene im Kräutergarten des Kloster Fahr
Priorin Irene im Kräutergarten des Kloster Fahr

Vor zehn Jahren haben wir im Kloster Fahr entschieden, unsere Bäuerinnenschule zu schliessen. Wir hatten zwar Wartelisten, die Nachfrage war gross. Und dennoch fehlten uns die finanziellen und personellen Ressourcen. Auch wenn dies ein schmerzlicher Entscheid war, so bin ich überzeugt, dass dies richtig war und, dass wir es gut gemacht haben.

Wir haben alle ehemaligen Schülerinnen zu einem Abschlussfest eingeladen. 1200 Frauen sind dieser Einladung gefolgt. Und am Abend war klar, jetzt ist es gut, diese Ära ist vollendet!

Schwester Martina
Schwester Martina

Dieser Entscheid gab uns Freiraum. Wir können heute vermehrt Gäste aufnehmen und so Frauen die Möglichkeit geben im Rhythmus der Benediktinerinnen zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu tanken. In den Gebäuden der ehemaligen Bäuerinnenschule entsteht ein christliches Mehrgenerationen-Wohnen. Dieses Konzept orientiert sich an der Benediktsregel. Wir Schwestern freuen uns auf das neue Leben auf dem Areal und sind gespannt, was sich aus dieser neuen Nachbarschaft entwickeln wird.

Im Mangel Chancen entdecken

In Frauengemeinschaften macht sich der Priestermangel schon länger bemerkbar. In diesem «Mangel» liegt jedoch gerade für Frauengemeinschaften die Chance, neue Feier-Formen in der Liturgie und Seelsorge zu entwickeln und zu erproben.

Im Kloster Fahr haben wir seit 2006 keinen Hausgeistlichen mehr und somit nicht mehr täglich eine Eucharistiefeier. Wir feiern seither an drei Tagen pro Woche eine schlichte Kommunionfeier im Rahmen der Mittagshore. Zudem gestalten wir eine Vielfalt an Wortgottes-Feiern für verschiedene Anlässe.

In dieser Fastenzeit durften wir eine Stärkungsfeier und eine Versöhnungsfeier erleben. Auch für das «Gebet am Donnerstag» haben wir eine eigene Liturgie entwickelt. Für geistliche Begleitung steht den Schwestern neben zwei Beichtvätern seit längerer Zeit auch eine Ordensschwester zur Verfügung. All das stärkt und ermutigt uns als getaufte Frauen!

Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021
Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021

Das Leben liegt immer vorne!

Diese Situation der Klöster macht deutlich: Die Kirche ist im Umbruch. Wir wissen nicht, was kommen wird. Das Einzige, was sich klar abzeichnet, ist, dass sich vieles, ja sehr vieles verändern wird. Silja Walter bringt diese Situation treffend auf den Punkt:

Keine Aussicht
aussichtslos hat man zu gehen
umkehren geht nicht
das Leben liegt immer vorne.
Vorne, am Ufer, dort werden wir singen
Mirjam tanzt schon da vorne
mit allen Frauen der Welt.
(Silja Walter)

Diese Zeilen machen mir Mut. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Kloster Fahr, ja die gesamte Kirche, in den nächsten fünf Jahren entwickeln wird. Umkehren geht nicht, das Leben liegt immer vorne!

*Den Beitrag hat die Benediktinerin Irene Gassmann am 24. März an der Delegiertenversammlung der Römisch-katholischen Zentralkonferenz in Einsiedeln als Impuls eingebracht.


Priorin Irene Gassmann | © Christian Merz
13. April 2023 | 15:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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