Priorin Mattia Fähndrich
Schweiz

Zwischen Gebetsanliegen und Frauenpriestertum: Schwester Mattia ist die neue Priorin von Heiligkreuz

Wer ein Problem hat, kann den Schwestern des Klosters Heiligkreuz eine E-Mail schreiben. Dann beten die Schwestern für den kriminellen Sohn oder die kriselnde Ehe. Seit Juli ist Schwester Mattia Fähndrich (60) die neue Priorin. Sie wünscht sich Reformen in der Kirche – etwa bei der Krankensalbung.

Wolfgang Holz

«Eine Frau, die nach einer Augenoperation nicht wieder sehen kann.» – «Eine verzweifelte Mutter, deren 18-jähriger Sohn Alkoholprobleme hat und sich in kriminellen Kreisen bewegt.» – «Ein Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat.» – «Ein junger Mann, der seinen Job verloren hat.» Probleme, mit denen sich Betroffene an die Schwestern im Kloster Heiligkreuz wenden. Verbunden mit der Bitte um ein Gebet.

Viele Gebetsanliegen

Die Litanei der Gebetswünsche ist lang. Sie liegt in einem Ordner in der Hauskapelle der Schwestern im Kloster Heiligkreuz auf. «In der Kapelle wird tagsüber von uns Schwestern abwechselnd im halbstündigen Rhythmus die eucharistische Anbetung gepflegt. Wir beten für die Anliegen, die uns anvertraut werden», erklärt Schwester Mattia Fähndrich.

Einen ganzen Ordner füllen die Gebetsanliegen von Gläubigen, die an die Schwestern im Kloster Heiligkreuz gerichtet werden.
Einen ganzen Ordner füllen die Gebetsanliegen von Gläubigen, die an die Schwestern im Kloster Heiligkreuz gerichtet werden.

Viele Gebetswünsche würden an der Klosterpforte deponiert oder erreichten das Kloster per E-Mail. «Wir sehen unseren Gebetsdienst als wichtigen Auftrag an und beten gerne für andere. Immer wieder erhalten wir dafür auch ein Dankeschön – mit dem Hinweis: Es hat geholfen!» 

Kein Nachwuchs

Seit 35 Jahren lebt Schwester Mattia Fähndrich in der klösterlichen Gemeinschaft der Olivetaner-Benediktinerinnen in Heiligkreuz oberhalb von Lindencham im Kanton Zug.

Sie hat den Wandel des Klosters selbst miterlebt. Die Schliessung des Lehrerinnenseminars 2006 etwa. Die Aufgabe der letzten Aussenstellen des Klosters in Davos 2007 (Hotel), den Rückzug der Schwestern aus Dussnang 2011 (Reha-Klinik) und den Verkauf von St. Idda in Einsiedeln 2017 (Schwesternferienhaus). Auch den Personalrückgang auf 48 Schwestern.

Das vielverehrte Kreuz aus dem 17. Jahrhundert, das dem Kloster Heiligkreuz seinen Namen gegeben hat.
Das vielverehrte Kreuz aus dem 17. Jahrhundert, das dem Kloster Heiligkreuz seinen Namen gegeben hat.

1962 waren es noch 366 Ordensfrauen. Nachwuchs im Kloster gibt es keinen. Die Olivetaner sind bekanntlich ein Zweigorden des Benediktinerordens. Ihr Name geht zurück auf die Benediktinerkongregation von Monte Oliveto, dem Stammkloster der Olivetaner in der Toskana.

«Wir tragen mehr Eigenverantwortung für die Gestaltung der Spiritualität.»

Priorin Mattia Fähndrich

Selbst der Spiritual aus Einsiedeln, Pater Augustin, der mit den Schwestern 26 Jahre lang die Liturgie feierte und für die Seelsorge im Haus war, ist nicht mehr vor Ort in Heiligkreuz. Damit ist eine gut 130-jährige Tradition zu Ende gegangen. «Wir tragen mehr Eigenverantwortung für die Gestaltung der Spiritualität. Viermal wöchentlich feiern wir die Eucharistie mit Priestern aus dem Kloster Einsiedeln oder aus der Umgebung. Die anderen Gottesdienste gestalten wir selber.»

Nur zwei Kilometer Luftlinie von zuhause weg

Anfang Juli wurde die 60-Jährige zur neuen Priorin gewählt. Die gebürtige Steinhauserin, deren Elternhaus in Cham nur zwei Kilometer Luftlinie vom Kloster entfernt liegt, übernimmt die Leitung des Ordens in einer Zeit, in der die Heiligkreuzer Schwestern zunehmend nach innen fokussiert sind. Praktisch keine beruflichen Verpflichtungen binden sie mehr an die Aussenwelt.

Wobei in dieser Umbruchsphase andererseits gerade die bauliche Anbindung an die Aussenwelt dafür sorgt, dass die finanzielle Zukunft des Klosters teilweise gesichert ist. Denn durch den Bau von 82 Wohnungen, einer Kindertagesstätte und eines Bistros an der Stelle des ehemaligen Lehrerinnenseminars und nicht mehr gebrauchter Ökonomiegebäude im Baurecht fliesst seit 2020 ein regelmässiger Baurechtszins in die Klosterkasse.

82 Wohnungen wurden anstelle des Lehrerinnenseminars gebaut und sorgen für regelmässige Einkünfte des Klosters Heiligkreuz.
82 Wohnungen wurden anstelle des Lehrerinnenseminars gebaut und sorgen für regelmässige Einkünfte des Klosters Heiligkreuz.

«Wir sind sehr zufrieden mit unserer neuen Nachbarschaft», sagt Schwester Mattia. Die regelmässige Einnahmequelle dank der Mietzahlungen sei sehr wichtig.. «Der Pflegebereich im Kloster, in dem derzeit 22 Schwestern betreut werden, ist für uns ebenfalls eine wichtige Institution – wollen wir doch in Würde zusammen alle älter werden können», meint sie.

Gehört zu den Jüngeren im Kloster

Mit 60 Jahren zählt Schwester Mattia zu den Jüngeren im Kloster. «Die jüngste Schwester ist 53, die ältesten zwei 93 Jahre alt.» Sie wolle als neue Leiterin in der Klostergemeinschaft noch präsenter, achtsamer und wachsamer sein. Verantwortung übernehmen. «Ich spüre das Vertrauen und die Wertschätzung meiner Mitschwestern, was meine Person angeht.»

Auf der Anhöhe bei Lindencham thront das Kloster Heiligkreuz.
Auf der Anhöhe bei Lindencham thront das Kloster Heiligkreuz.

Das Gespräch mit Schwester Mattia findet im holzgetäfelten Saal Benediktus des Klosters statt. Ein Espresso wird von einer Klosterschwester kredenzt sowie ein Stück köstlichen, hausgemachten Marmorkuchens, den die Klosterleiterin sehr langsam isst. Die Storen schatten den Raum ruhig nach aussen ab. Zwei Engelsskulpturen schweben vor einem Kreuz an der Wand und bilden wie ein kleiner Altar.

Die drei Schlüssel

«Es war für mich nach der Wahl schon sehr speziell, die drei Schlüssel von der Kirche, vom Tabernakel sowie den modernen Generalpass des Klosters überreicht zu bekommen. Wir bewegen uns in einer Tradition, die auf Zukunft ausgerichtet ist. Mir ist geistliche und weltliche Verantwortung anvertraut.» Bisher sei alles sehr ruhig verlaufen, weil Ferienzeit sei.

Priorin Mattia Fähndrich.
Priorin Mattia Fähndrich.

Ihren Führungsstil beschreibt die frühere Kindergärtnerin als «mittelmässig streng. Es ist am Anfang sicher hilfreich, nicht zu grosszügig zu sein. Meine Mitschwestern wollen doch wissen, wie das mit der Neuen läuft.» Wenn die Linien einmal gelegt seien, laufe vieles selbstständig. «Das geistliche Leben hat eine gewisse Strenge.» Sagt’s und kantet ihre Handfläche auf der Tischfläche auf.

Bescheiden, authentisch

Die Ordensfrau strahlt eine schwesterlich-warmherzige Authentizität aus und wirkt sehr bescheiden. Bekennt sie doch, dass sie bis heute eigentlich nicht genau sagen kann, warum sie sich damals für den Weg ins Kloster entschieden hat. Schwester Mattia: «Es war sicherlich nicht deshalb, weil ich gespürt hätte, rundum von Gott erfüllt zu sein. Ich fühlte mich während der Schnupperwoche in der klösterlichen Gemeinschaft sehr wohl und lebte mich schnell ein. Das Kloster war mir nicht fremd.»

Sie ist jetzt auf sechs Jahre als Priorin gewählt. Sie könnte sich aber auch vorstellen, länger im Amt zu bleiben. Ihre Vorgängerin Simone Buchs amtierte 18 Jahre lang, bevor sie sich mit 77 entschied, ihre Führungsfunktion aus freiem Willen zu beenden.

«Ich befürworte inzwischen, dass Frauen Priesterinnen werden können.»

Schwester Mattia Fähndrich

Der Umbruch im Kloster Heiligkreuz hat Schwester Mattia, die studierte Theologin ist, auch nachdenklich gemacht. Insbesondere, was die Rolle der Frau in der katholischen Kirche angeht.

Sie erlebt es schmerzlich, an einem Krankenbett zu stehen oder zuhörend in der Geistlichen Begleitung und den sakramentalen Zuspruch nicht geben zu können. «Zudem befürworte ich inzwischen, dass Frauen Priesterinnen werden können.» Frauen und Männer sollten gemeinsam die Verantwortung in der Kirche übernehmen. Doch die Strukturen der Kirche, auch das Amtspriestertum verhindere vieles.

Sie erlebt viel Positives

Auch die aktuellen Probleme in der katholischen Kirche wie Missbrauch und Pflichtzölibat beschäftigen Schwester Mattia – die inzwischen neben dem Kreuz in der Klosterkirche Heiligkreuz steht. Jenem Kreuz aus dem 17. Jahrhundert, das dem Ort und 1862 auch dem Kloster seinen Namen gegeben hat und das die Marter der Kreuzigung Jesu Christi auf drastische Weise darstellt. Quillt doch das Blut in dicken Strömen aus der Seite des Gekreuzigten.

Priorin Mattia Fähndrich in der Hauskapelle des Klosters.
Priorin Mattia Fähndrich in der Hauskapelle des Klosters.

Schwester Mattia erlebt viel Positives in der Zusammenarbeit mit Pfarreien. Solche Strukturen müssen gefördert werden. «Ich leide mit allen Menschen mit, die diskriminiert werden», versichert sie. Was den Missbrauch in der Kirche angehe, begünstige die Struktur der Kirche sicherlich Menschen mit solchen Veranlagungen.

«Machtstrukturen hinterfragen»

Nicht nur der sexuelle Missbrauch, auch der geistliche Missbrauch sei zu verurteilen – «wenn Menschen einfach hörig gemacht werden. Solche Machtstrukturen in der katholischen Kirche müssen hinterfragt und zu ändern versucht werden.»


Priorin Mattia Fähndrich | © Wolfgang Holz
16. August 2022 | 11:38
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