Axel Langer hat die Ausstellung "Im Namen des Bildes" im Museum Rietberg kuratiert
Schweiz

«Du sollst dir kein Gottesbild machen»: Das Bild zwischen Kult und Verbot

Gibt es von Mohammed kein Bild? Und heisst es in den Zehn Geboten nicht, dass man sich kein Bildnis machen soll? Die Ausstellung «Im Namen des Bildes» widmet sich solchen Fragen mit Blick auf das Christentum und den Islam. Aus den 136 Werken der Ausstellung wählt Kurator Axel Langer eine Handvoll und erläutert sie.

Vera Rüttimann

Axel Langer steht im «Thesenraum» der Ausstellung «Im Namen des Bildes – Das Bild zwischen Kult und Verbot in Islam und Christentum». Der Kurator für die Kunst des Mittleren und Nahen Ostens am Museum Rietberg hat die Ausstellung kuratiert. Er sagt: «Hier werden die Besucher eingestimmt für das, worüber es bei dieser Ausstellung geht.»

An den Wänden sind in grossen Lettern die wichtigsten Textstellen aus der Bibel und dem Koran zu lesen. In fünf Sprachen. Aus dem Alten Testament der Bibel wird zitiert: «Du sollst dir kein Gottesbild machen, noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel und was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist.» Dem Koran entnommen ist: «Ihr Gläubige, siehe, Wein, Los, Spiel, Opfersteine sowie Pfeile, sie sind ein Gräuel, ein Werk des Satans, so meidet das. Vielleicht wird es dann euch wohlergehen.»

Das Bild zeigt, wie Königin Nushabe Alexander den Grossen empfängt, der sein eigenes Porträt betrachtet.
Das Bild zeigt, wie Königin Nushabe Alexander den Grossen empfängt, der sein eigenes Porträt betrachtet.

Das Bild im Bild

Zwei Bilder im Raum thematisieren das Bild im Bild. Das eine aus dem orientalischen Raum zeigt, wie Königin Nushabe Alexander den Grossen empfängt, der sein eigenes Porträt betrachtet. Das andere Bild zeigt eine russische Ikone, die von Gläubigen verehrt wird. Mit diesen beiden Bildern fächert man, so Axel Langer, schon das ganze Themenfeld dieser Ausstellung auf. Er fragt: «Was bedeutet ein Bild in seinem Kontext? Wer hat das Bild in Auftrag gegeben? Und: In welchem Umfeld ist es entstanden?»

Der Kunsthistoriker kann Unterschiede zwischen den Bildern ausmachen: «Hier steht das Bild aus dem höfischen Bereich, was mit Theologie nichts zu tun hat. Anders die Ikone, die in einer orthodoxen Kirche hängt und die Verehrung des Bildes thematisiert.» Und noch einen Unterschied stellt Langer fest: «Hier geht es darum, wie Königin Nushabe mit Alexander der Grosse, also die Elite, über ein Porträt diskutieren. Beim anderen Bild betet das Volk ein vorgesetztes Bild an.» In der Kunsttheorie bedeute das: Hier ein erzählendes Bild, dort ein angebetetes Kultbild.

Das Bild zeigt eine russische Ikone, die von Gläubigen verehrt wird.
Das Bild zeigt eine russische Ikone, die von Gläubigen verehrt wird.

Kirche versus Moschee

Als Nächstes betreten wir einen Raum, in dem ein riesiger Altaraufsatz zu sehen ist. Genauer: Ein Flügelretabel mit Schrein-, Flügelrelief- und Predellafiguren sowie Tafelgemälde aus dem Wallis aus dem Jahr 1480. «Was bei diesem Beispiel sofort klar wird: Die katholische Kirche kann nicht ohne Bilder sein, sie spielen eine ganz zentrale Rolle», sagt Axel Langer. In der Mitte des Altas sei sogar Gott Vater dargestellt.

Flügelretabel mit Figuren, hergestellt im Wallis um 1480
Flügelretabel mit Figuren, hergestellt im Wallis um 1480

Dieser reichen Bildwelt aus dem Katholizismus steht die totale Reduktion des Bildes entgegen. Zu sehen ist das im Raum daneben, wo der Innenraum einer Moschee nachgebildet wurde. Die Moschee kennt keine figürlichen Darstellungen. Man sieht die Mihrab-Nische, die die Gebetsrichtung anzeigt, und eine grosse Lampe. «Gott ist hier dennoch präsent, und zwar in der Moscheelampe. Die Lampe wird mit dem Licht Gottes verglichen», erläutert Axel Langer.

Blauer Koran versus Evangeliar

In einem weiteren Raum der Ausstellung geht es um das Wort. Sowohl im Christentum als auch im Islam kommt dem Wort der Heiligen Schrift eine zentrale Bedeutung zu. Davon zeugen im Christentum die Purpurhandschriften, die zwischen dem 4. und 9. Jahrhundert entstanden sind. Das sind meist Evangeliare. Die Ausstellung zeigt ein Exemplar, dessen Seiten aus feinem Pergament mit kostbarem Purpur eingefärbt und mit Gold oder Silbertinte edel beschriftet sind.

Evangeliar mit purpurnen Seiten
Evangeliar mit purpurnen Seiten

Im byzantinisch-islamischen Umfeld hingegen wurden blaue Korane hergestellt. «Purpur konnte man nicht nehmen, weil Purpur die Farbe der byzantinischen Kaisers war», erläutert Axel Langer. So habe man auf indigogefärbtem Pergament in Gold geschrieben. Sowohl ein Evangeliar wie auch der blaue Koran seien in der Herstellung sehr teuer gewesen.

Was die beiden Ausstellungsobjekte voneinander unterscheidet, kann Axel Langer klar benennen: «In den Evangeliarien sind Evangelisten porträtiert. Im Koran hingegen ist das Wort Gottes selbst dargestellt.» Die Ausstellung wolle hier wie anderswo nicht werten, sondern inhaltliche und ästhetische Unterschieden herausarbeiten.

Blauer Koran - ausgestellt im Museum Rietberg
Blauer Koran - ausgestellt im Museum Rietberg

Kultbild und Andachtsbild

In einem weiteren Raum geht es um das Kultbild. Das Mandylion und die Hilye dienen Gläubigen dazu, sich das Aussehen von Jesus beziehungsweise von Mohammad vorzustellen. Ein Mandylion ist eine Darstellung Jesu auf einem Tuch, die als Abdruck seines Gesichtes angesehen wurde. Eine Hilye ist eine Beschreibung des Propheten in kaligrafischer Form. Das Mandylion, das Axel Langer in der Führung durch die Ausstellung präsentiert, zeigt das Gesicht eines Mannes mittleren Alters mit schulterlangem, mittig gescheiteltem Haar und Vollbart.

Axel Langer erklärt: «Es hat eine Schutzfunktion. Im Krieg wurde es vom Heer mitgetragen.» Ebenso sei das bei der Hilya. Sie wurde vom osmamischen Kalligrafen Hafiz Osman entwickelt. Wenn Mohammed darin in angenehmer Art und Weise beschrieben werde, «dann kann sich der Gläubige vor seinem geistigen Auge ein Bild von Mohammed machen.»

Albrecht Dürers Schweisstuch-Bildnis von Jesus
Albrecht Dürers Schweisstuch-Bildnis von Jesus
Gleich daneben geht es um das Andachtsbild. Zu sehen ist ein von Albrecht Dürer geschaffenes Schweisstuch-Bildnis. Es unterscheidet sich auf eindrückliche Weise vom Mandylion-Bild, das weltentrückt und rätselhaft daherkommt. Über das Andachtsbild sagt Axel Langer: «Man wollte ein Bild schaffen, das mehr zu den Gläubigen spricht. Wenn man dieses leidende Gesicht sieht, dann kann man eine Beziehung zum Dargestellten aufbauen.»

Gegen Abbildungen von Jesus und Heiligen gab es allerdings auch im Christentum heftigen Widerstand: Zweimal kam es zu einem Bilderstreit, einmal ums Jahr 900 und einmal während der Reformation kurz nach 1500. Bilder und Statuen wurden in grossem Stil zerstört.

Ein Bild von Mohammed

Mohammed-Bild im Museum Rietberg
Mohammed-Bild im Museum Rietberg
Eigentlich glaubte man lange, es gebe kein Andachtsbild von Mohammed im Islam. Axel Langer zeigt in der Ausstellung das Gegenteil. Er präsentiert ein Foto, das einen ägyptischen Jungen mit entblössten Schultern und Turban zeigt. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Bild auf einer Postkarte aus den 1920er-Jahren basiert. Diese Postkarte wiederum gehe, so Axel Langer, auf eine Fotografie des österreichischen Fotografen Franz Lehnert zurück.

Hier zeigt sich die ganze Komplexität des Bild-Themas in den Religionen. «Seit dem 6. Jahrhundert hat die Kirche bestimmt, wie Jesus auszusehen hat. Bis heute prägt das unsere Vorstellung von ihm», sagt Langer. Im Islam hingegen habe niemand festgesetzt, wie Mohammed aussehen soll. Mit dem Verweis auf die ausgestellte Ikone sagt der Kunsthistoriker: «Ein konkretes Bild kann unsere Vorstellungen also auch einschränken.» (korrigiert am 3.2.22, 16 Uhr)

Die Ausstellung «Im Namen des Bildes» ist vom 4. Februar bis 22. Mai 2022 im Museum Rietberg in Zürich zu sehen. Öffnungszeiten: Di–So 10–17 Uhr (Mi bis 20 Uhr). Es gibt einen Katalog, Begleitveranstaltungen und Führungen. www.rietberg.ch 

Axel Langer hat die Ausstellung «Im Namen des Bildes» im Museum Rietberg kuratiert | © Vera Rüttimann
3. Februar 2022 | 13:14
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