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Literatur reproduziert antijüdische Stereotype

Literatur leistet aus Sicht von Kulturwissenschaftlern einen grossen Beitrag zur Etablierung und Weitergabe antijüdischer Bilder. Zudem seien viele Fremdheitskonstruktionen und Rassismen in poetischen Texten miteinander verschränkt.

Auf diese Verwebung von Vorurteilen müsse die schulische Erziehung eingehen, hiess es am Freitag bei einer Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Frankfurt. Die Tagung unter dem Titel «Die Wurzeln antijüdischer Stereotype» fand zusammen mit der Universität Marburg statt.

Schneeballeffekt der Literatur

Der Literaturwissenschaftler Jan Süselbeck sagte, der «Schneeballeffekt der Literatur» funktioniere vor allem mit emotionalen Skripts. Die Emotionalisierungsstrategien griffen auf teils uralte Weltbilder und Legenden wie denen von Juden und Ritualmorden oder Brunnenvergiftungen zurück und riefen Gefühlswissen hervor, so der Marburger Germanist.

Das gelinge bei antisemitischen Mustern besonders gut, da der Antisemitismus selbst auf einer Fiktion basiere. Die Weitergabe von Vorurteilen setze sich bis in die Gegenwartsliteratur fort, werde aber dort oft nicht mehr erkannt.

Liebe kippt um in Antisemitismus

Zahlreiche antijüdische Stereotype und einen latenten Antisemitismus fand die israelische Kulturwissenschaftlerin Zohar Shavit in der westdeutschen Kinder- und Jugendliteratur. Auch bei mit guten Absichten erstellten Büchern kippe der Philosemitismus, also die Liebe zum Judentum, oft um in Antisemitismus. So hätten jüdische Kinder auf Buchtiteln immer schwarze Haare und dunkle Augen.

Ein Grund für dieses Kippen sei, dass sich Autoren nicht von überlieferten Sprachbildern lösen könnten, erklärte die Wissenschaftlerin der Tel Aviv University. Sie selbst beendete ihre Forschung zu dem Thema. «Es hat mich krank gemacht», sagte sie auf Deutsch.

Erziehung zu kritischem Lesen

Die Trierer Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier sieht eine Verschränkung verschiedener Rassismen. Zur Bekämpfung von Rassismus bilde es einen zentralen Ansatzpunkt, sich klar zu machen, dass Fremdheitskonstruktionen wie Antijudaismus und Antiziganismus miteinander verwoben seien. Jedoch gebe es derzeit noch keine Pädagogik, alle Rassismen hinsichtlich Ähnlichkeit und Differenz gleichzeitig zu bearbeiten, so die Genderforscherin.

Shavid forderte, Kinder zu kritischem Lesen zu befähigen. Schliesslich habe Literatur grossen Einfluss auf Verhalten und Denken von Kindern. Süselbeck mahnte, in der deutschen Einwanderungsgesellschaft mehr Aufklärungsarbeit beim Thema Rassismen in der schulischen Erziehung zu leisten. Mit Blick auf den Satire-Streit um Kabarettisten wie die Österreicherin Lisa Eckhart erinnerte Geier daran, in Texten ein stärkeres Bewusstsein für den Unterschied von Politik und Ästhetik zu fördern. Die Forderung, im Namen der Kunstfreiheit alles zuzulassen, sei ein «Erpressungsversuch». Es gelte immer zu fragen, ob die satirische Provokation Stereotype entlarve oder diese wiederhole. (kna)

Bücher | © Barbara Fleischmann
13. Februar 2021 | 16:03
Lesezeit: ca. 1 Min.
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