Felix Gmür, Christoph Sigrist und Moderator Hannes Nussbaumer (von links)
Schweiz

Kirchen sollen sich neuen Aufgaben und Herausforderungen mit Freude stellen

Zürich, 9.1.19 (kath.ch) Als ökumenisches Gipfeltreffen zu Beginn des Zwinglijahres war es angekündigt worden. Am Dienstag sprachen im Landesmuseum Zürich Felix Gmür, Bischof von Basel, und Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist über die veränderten Aufgaben und Herausforderungen der Kirchen.

Martin Spilker

Es liege im Wesen des Jahreswechsels, dass Menschen zurück und nach vorn blicken, über Hoffnungen und Ängste nachdenken würden, hiess es in der Einladung zur «Dienstags-Reihe» im Landesmuseum Zürich. Gesprächsmoderator Hannes Nussbaumer nahm seine beiden Gäste gleich in die Pflicht: «Die Kirchen sind ja Kompetenzzentren in Sachen Hoffnungen und Ängste», begrüsste der Redaktor des Zürcher «Tages-Anzeigers» seine Gäste und wollte wissen, was sie den Menschen heute noch zu bieten hätten.

Nicht für alles zuständig

Darauf machte Felix Gmür gleich einmal klar, dass die Kirchen und «der liebe Gott» nicht für alles zuständig seien. Er stelle durchaus eine grössere Aufmerksamkeit für das Religiöse um Weihnachten fest. Wenn die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft aber allein am Altersdurchschnitt von Gottesdienstbesuchern oder der Anzahl Kirchenaustritte gemessen werde, sei das viel zu kurz gegriffen.

Einer Untergangsstimmung kann auch Christoph Sigrist nichts abgewinnen. Doch für ihn, wie auch für den Bischof von Basel ist klar, dass die Kirchen die alleinige Deutungshoheit in Sachen Glaube und Religiosität in der Gesellschaft verloren hätten. Das aber sehen die Kirchenvertreter nicht als Verlust, sondern – den anderen gesellschaftlichen Veränderungen entsprechend – als eine Herausforderung.

Sich der Vielfalt stellen

«Die katholische Kirche hat lange Zeit Antworten gegeben auf Fragen, die niemand gestellt hat», sagte Felix Gmür mit ironischem und selbstkritischem Unterton. Und er gestand auch ein, dass die Kirche den Menschen heute ferner sei. Entsprechend gelte es, sich als Kirchen der Diversität von Glaubensrichtungen zu stellen, fügte Christoph Sigrist bei.

«Die Kirche ist den Menschen heute ferner.»

Für beide ist es zentral, dass die traditionellen Kirchen Ort und Raum bieten, wo sich Menschen treffen können. Und dies finde längst weit über die sonntäglichen Gottesdienste hinaus statt. Dazu gehören für Sigrist selbst Besuche von Touristen im Grossmünster.

Das Amt allein trägt nicht

Der Bruch mit traditionellen Kirchenbildern und die Öffnung für neue Aufgaben sehen beide Kirchenvertreter als Bereicherung: «Wir können die Menschen heute für das Christentum und den Glauben ‹gluschtig› machen», umschrieb es Felix Gmür. Dies aber erfordere Authentizität aller in der Kirche Tätigen, so Sigrist. Allein durch ein Amt – ob als Bischof oder Münsterpfarrer – sei in unserer Zeit keine Aufmerksamkeit mehr zu gewinnen.

So sehen es Gmür wie Sigrist als Aufgabe, sowohl für ihre Kirche wie auch für das Christentum überhaupt hinzustehen. Das heisse auch, sich in zeitgemässer Form in gesellschaftliche und politische Themen einzubringen. – Ohne den vor Kurzem gegründeten Thinktank beim Namen zu nennen, war sowohl für den Grossmünsterpfarrer wie für den Bischof von Basel klar, dass sie sich das Wort nicht verbieten lassen würden.

Das Glaubensbekenntnis ist politisch

Die Kirchen dürften ihr Wirken nicht auf die Feier von Gottesdiensten und die soziale Arbeit einschränken lassen. Wo dies gefragt sei, müssten Christen politisch Stellung nehmen, sagte Felix Gmür. Dabei werde sich die Kirche aber nicht an einem politischen, sondern am Glaubensbekenntnis orientieren. Und Christoph Sigrist setzte mit seiner Aussage, das Glaubensbekenntnis könne nur politisch ausgelegt werden, noch eins obendrauf.

«Das Glaubensbekenntnis kann nur politisch ausgelegt werden.»

«Ich wehre mich gegen Politiker, die mir politische Aussagen verbieten wollen», sagte der Grossmünsterpfarrer und erntete dafür spontanen Applaus. Als Amtsträger werde er gewiss immer wieder in Schach gehalten, so Gmür, der seit Anfang Jahr Präsident der Schweizer Bischofskonferenz ist. Als Christ gehöre es für ihn dazu, immer wieder anzuecken.

Glaube ist keine Privatsache

Nichts anfangen konnten die beiden Kirchenvertreter mit der vom Gesprächsleiter eingebrachten Argumentation, der Glaube sei doch Privatsache. Dem hielt Felix Gmür entgegen, dass der Glaube sehr wohl persönlich geprägt sei, aber «zum Glauben gehört die religiöse Gemeinschaft und die ist immer öffentlich.» Das zeige sich ausdrücklich an der Bibel: «Das Evangelium ist öffentlich und soll also im öffentlichen Raum debattiert werden», sagte Christoph Sigrist.

Aus dem Publikum – gut 200 Besucherinnen und Besucher waren zu diesem «Gipfeltreffen» erschienen – wurde hier aber nachgehakt. Was der Bischof und der Pfarrer der fortschreitenden Säkularisierung und den vielen Kirchenaustritten entgegenhielten, wurde gefragt. Christoph Sigrist stellte fest, dass ein Kirchenaustritt nicht ein heisse, dass dieser Mensch nicht mehr glaube. Doch gelte es, die heutige Diversität in Glaubensfragen anzuerkennen.

Kritik an Institution ernst nehmen

Felix Gmür nimmt Kirchenaustritte durchaus als Kritik an der kirchlichen Institution ernst. Darum müsse die Kirche in der Öffentlichkeit präsent sein. – Was sie ja auch sei, stellte der Bischof von Basel mit Blick auf die Anzahl von Berichten in Presse und elektronischen Medien fest. Auch Christoph Sigrist stellt sich der Kritik. Er will aber auch wissen, was genau am Christentum beziehungsweise an der Kirche kritisiert wird.

«Das Evangelium ist öffentlich.»

Einigkeit herrschte beim Bischof von Basel und beim Grossmünsterpfarrer weiter darüber, dass die Kirche sich verändere und sich verändern müsse. Das gelte ebenso für ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten. An ihnen sei es, aus dem eigenen Glauben heraus die Situation in die Hand zu nehmen, wie es Sigrist umschrieb. Oder, in den Worten von Felix Gmür: «Die Menschen gern haben ist das beste Zeugnis.»


Felix Gmür, Christoph Sigrist und Moderator Hannes Nussbaumer (von links) | © Martin Spilker
9. Januar 2019 | 16:19
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