Psalm 23
Schweiz

«Die Psalmen sind an vielen Stellen eine wirkliche Neuübersetzung»

Trier, 22.11.18 (kath.ch) Der 1. Advent 2018, also der 2. Dezember, ist für die katholischen Pfarreien ein einschneidendes Datum: Dann wird im gesamten deutschsprachigen Raum erstmals seit Jahrzehnten ein neues Lesungsbuch eingeführt, aus dem die biblischen Passagen in den Gottesdiensten vorgetragen werden.

Michael Merten

Es handelt sich um das erste von acht zu überarbeitenden Messlektionaren. Was an Arbeit hinter der neuen Ausgabe steckt und was auf die Tausenden Lektoren in den Pfarreien zukommt, schildert der Trierer Bischof Stephan Ackermann der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur. Er ist Vorsitzender der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Bischof Ackermann, was war der Anlass für die Einführung des neuen Messlektionars?

Ackermann: Das hängt mit der vor zwei Jahren veröffentlichten neuen Bibelübersetzung der deutschsprachigen Bischöfe zusammen. Sie ist eine moderate Überarbeitung der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift von 1979. Seitdem war die Bibelforschung weitergegangen, und unsere Sprache ist auch nicht stehengeblieben. Es stand also eine Überarbeitung an.

«Sie zeichnet sich durch eine noch grössere Treue zum biblischen Urtext aus.»

Das Ergebnis nach zehnjähriger Arbeit ist die Bibelübersetzung von 2016. Sie zeichnet sich vor allem durch eine noch grössere Treue zum biblischen Urtext aus, und ist nun der neue offizielle katholische Bibeltext in deutscher Sprache. Als solcher wird sie nicht nur in Dokumenten, Predigten, Broschüren oder Ansprachen verwendet, sondern hat ihren Platz auch im Gottesdienst.

Sie wird daher Schritt für Schritt in die liturgischen Bücher eingearbeitet. Den Anfang machen die insgesamt acht Bände des Messlektionars, da sie beinahe ausschliesslich aus biblischen Texten bestehen.

Nennen Sie bitte einige Neuerungen, die sofort ins Auge springen. Werden sich Lektoren und Gottesdienstbesucher stark umstellen müssen?

Ackermann: Da ist zum einen die optische Neugestaltung des Lektionars, dessen Einband der international tätige Künstler und Designer Christof Cremer entworfen hat. Das Wort Gottes, seine Dynamik und Kostbarkeit sollen sich hier widerspiegeln, nicht wuchtig oder überladen, aber klar und ausdrucksstark. Es gibt eine Reihe von Elementen im Druckbild, die nicht so augenfällig sind, aber grosse Bedeutung für eine ordentliche liturgische Bibellesung haben.

«Es ist weder ein Rückschritt noch eine Katastrophe.»

Was den Wortlaut der Schriftlesungen selbst betrifft, so sind die Unterschiede zur früheren Fassung in der Regel nicht so stark, dass sich ein wirkliches Fremdheitsempfinden einstellen müsste. Gewöhnlich werden es eher feine Unterschiede sein, die beim Lesen und Hören auffallen und dann natürlich genügend Stoff für Predigt und eigenes Nachdenken bieten werden.

Können Änderungen nicht die Gläubigen, die diese Lesungen seit Jahrzehnten hören, irritieren?

Ackermann: Was im neuen Lektionar wirklich auffallen, vielleicht sogar irritieren wird, sind die Psalmen. Denn sie sind an vielen Stellen eine wirkliche Neuübersetzung. Die Vorgängerfassung hatte zugunsten von Satzmelodie und unmittelbarer Verständlichkeit etliche Glättungen vorgenommen. Hier geht die neue Übersetzung nicht mehr mit: Sie will der poetischen Eigenart der Psalmensprache und ihrer herben Schönheit nahekommen. Ich sehe darin eine Chance, die Psalmen auch persönlich neu und tiefer kennenzulernen. Warum nicht auch durch ein vergleichendes Lesen der alten und der neuen Übersetzung?

Im alten Lektionar waren die Texte der Psalmen und des Neuen Testaments noch ökumenisch übersetzt worden. Das ist nun nicht mehr der Fall. Ist das nicht ein Rückschritt?

Ackermann: Man kann das in der Tat bedauern, aber es ist weder ein Rückschritt noch eine Katastrophe. Dass für die Einheitsübersetzung von 2016 die ökumenische Zusammenarbeit nicht fortgeführt werden konnte, hing vor allem an Verfahrensfragen. Das Wohl und Wehe der Ökumene entscheidet sich daran aber nicht.

«Nun stehen eben die Einheitsübersetzung und die Lutherbibel zur Auswahl.»

Dabei steht ausser Frage, dass die Heilige Schrift von zentraler Wichtigkeit für unser gemeinsames Bekenntnis zu Christus bleibt. Und da im Vorfeld ökumenischer Gottesdienste auch bisher immer zu klären war, aus welcher Übersetzung konkret die Schriftlesungen entnommen werden sollten, ändert sich auch hier in der Praxis nichts – bis auf die Tatsache, dass nun eben die Einheitsübersetzung von 2016 und die Lutherbibel von 2017 zur Auswahl stehen.

Hat sich auch am Zuschnitt der Lesungstexte etwas geändert?

Ackermann: Nein. Wir haben eine neue offizielle Bibelübersetzung, und die muss nun schrittweise in die bestehenden liturgischen Bücher eingearbeitet werden. Neu am künftigen Lektionar ist der Wortlaut der biblischen Lesungen, nicht aber das weltkirchlich geltende Konzept. Die Auswahl und der Zuschnitt der Bibelstellen folgen nach wie vor der Leseordnung von 1969.

Was passiert eigentlich mit den vielen Tausend alten, wertvollen Lektionaren? Sind diese ab Dezember ungültig? Und werden die Bücher aufbewahrt, verschenkt oder entsorgt?

Ackermann: Eine gute Frage. Was die alten Lektionare betrifft, so gehe ich davon aus, dass sie in den meisten Sakristeischränken einfach stehenbleiben werden oder vielleicht zwei Regalböden höherwandern, zu den anderen Büchern vergangener Tage. Bestimmt spricht auch nichts dagegen, einem interessierten Abnehmer damit eine Freude zu machen. Der Altpapiercontainer wäre sicher kein angemessener Platz. Ausserdem wird es ja noch ein paar Jahre dauern, bis alle acht Bände der neuen Ausgabe vorliegen und in der Liturgie genutzt werden können. Sobald die drei Bände für die Lesejahre A bis C und das Evangeliar vorliegen, wird der Gebrauch auch formal verpflichtend sein. Jetzt dürfen wir erst einmal neugierig sein auf den ersten Band. (kna)

 

 

Psalm 23 | © pixabay congerdesign CC0
22. November 2018 | 14:49
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Grenzüberschreitende Bindeglied

Die Lektionare werden gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, sowie den (Erz-) Bischöfen von Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich herausgegeben. Lektionare bieten die biblischen Texte nach der Leseordnung der römisch-katholischen Kirche. Neu steht die Anrede «Schwestern und Brüder» vor den neutestamentlichen Lesungen, die sich an eine Gemeinde richten. Gleichfalls neu ist die Einleitungsformel der Paulusbriefe «… an die Gemeinde in …». Bisherige Formeln wie «Lesung des Apostels an die Römer» machten nicht deutlich, dass sich Christinnen und Christen als Gemeinschaft versammelten, unterstreicht das Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg auf seiner Webseite. (gs)