Gedanken zum Sonntag: Jesus und die Paragrafenreiter

Gedanken zum Sonntag, 2. September (Markus 7,1-8)

Josef Imbach*

«Erst wenn man sich gewaschen hat, setzt man sich zum Essen hin. Man sitze ruhig und aufrecht. Es gehört sich nicht einem anderen etwas anzubieten, das du schon halb abgenagt hast …» So Erasmus von Rotterdam in seiner 1511 von ihm herausgegebenen Tischzucht, worunter man heute eine Art Knigge versteht.

Dass man sich vor dem Mahl die Hände waschen soll, empfiehlt auch die Bibel. Geregelt ist dort darüber hinaus «das Spülen von Bechern und Krügen und kupfernen Kesseln» (Markus 7,4). Nur dass es da nicht um Tischsitten, sondern um religiöse Rituale geht. Und die sind strikt einzuhalten. Darauf pochen Jesu Gegner. Ihr Argument: So steht’s geschrieben. Vorschrift ist Vorschrift. Nicht auszudenken, wohin wir kämen, wenn alle sich darüber hinwegsetzen wollten!

Während meines Theologiestudiums brachte ich dem Kirchenrecht keinerlei Sympathien entgegen. Dieses ermöglicht es angeblich (aber eben: nur angeblich!) für alle nur möglichen menschlichen Verstrickungen eine glaubenskonforme Lösung zu finden. Der gesunde Menschenverstand aber schien mir da oft auf der Strecke zu bleiben.

Gegen Kleinkariertheit in Sachen Gesetzesauslegung war schon Jesus allergisch. Zu seiner Zeit listeten die Rabbinen 39 Haupttätigkeiten auf, welche am Sabbat verboten waren, denen ihrerseits wiederum eine Reihe von unerlaubten Nebentätigkeiten zugeordnet waren. Manchen Schriftgelehrten zufolge war es am Sabbat sogar verboten, Kranke zu besuchen. Ärztlicher Beistand war nur bei Todesgefahr erlaubt.

Es ist schon seltsam, mit welcher Selbstverständlichkeit zahlreiche Bestimmungen, die heute nachgerade als kurios empfunden werden, in der Christenheit über Jahrhunderte hin fraglos akzeptiert wurden. So war es früher unter Androhung der Höllenstrafe verboten, am Freitag eine billige Wurst zu essen. Der Genuss eines leckeren Fischleins hingegen verbaute niemandem den Weg zur ewigen Seligkeit. Und so ein Fisch will bekanntlich schwimmen – ich würde sagen, in einem kühlen, Walliser Domherrenwein.

Damit menschliches Zusammenleben gelingt, benötigen wir Regeln. Wenn diese aber kategorisch und ohne Rücksicht auf konkrete Situationen angewandt werden, haben wir die Hölle auf Erden. Höchste Zeit also, dass wir uns an ein Wort des heiligen Augustinus erinnern: «Ama et fac quod vis!» Gemeint ist: Hüte dich vor Pedanterie! Orientiere dich am Liebesgebot und dann handle so, wie du es für richtig findest! Das meinte schon Jesus, als er sagte: «Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat» (Markus 2,2).

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.

Josef Imbach | © 2016 Michaela Stoll

 

1. September 2018 | 11:56
Lesezeit: ca. 2 Min.
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