Wo ist Werlen?

Chur, 29.3.18 (kath.ch) Wie politisch darf Religion sein? Darüber haben am Mittwochabend hochkarätige Politiker wie FDP-Präsidentin Petra Gössi, CVP-Präsident Gerhard Pfister und SVP-Nationalrat Gregor Rutz gesprochen. Im Mittelpunkt stand der Churer Generalvikar Martin Grichting und die von allen geteilte Meinung: Die Kirche hat in der politischen Arena nichts verloren.

Remo Wiegand

Ein Papst, der kaum eine politische Symbolhandlung auslässt. Politische Wortmeldungen der Bischofskonferenz wie zur No Billag-Initiative. Die Herausforderung Islam. Schliesslich jüngst ein Artikel der Theologin und FDP-Politikerin Beatrice Acklin-Zimmermann in der NZZ, in der sie die fehlende Streitkultur in der Kirche bemängelt. Religion und Politik, zusammen oder getrennt, lässt Menschen schimpfen und hoffen. Der Churer Abend hätte sich als Ventil für die unterschiedlichen Meinungen entpuppen können.

Die Ironie des Rittersaals

Die Hauptrolle spielte dort zunächst Generalvikar Martin Grichting. Er stellte die Grundthesen seines Buches «In eigener Verantwortung. In eigenem Namen» vor: «Dass wir uns hier im Rittersaal befinden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie», erklärte Grichting. «Die Kirchenoberhäupter waren früher Fürsten und Bischöfe in einem.»

Erst das zweite vatikanische Konzil habe diese Verwischung von Thron und Kirche, die insbesondere in Frankreich zum Hass auf das Christentum geführt habe, beendet. «Deshalb», so Grichting. «soll sich die Kirche heute vom politischen Alltagsgeschäft fernhalten.» Einzelne Gläubige hingegen sind aufgerufen, sich in die Politik einbringen, mit ihrem religiös-moralischen Wertegerüst, aber eben: «In eigenem Namen. In eigener Verantwortung».

Unverkrampft

Der Steilpass war gegeben, die Diskussion konnte beginnen. Auf die Gretchenfrage zum Einstieg betonten alle Politiker ihr unverkrampftes Verhältnis zu Kirche und Glaube. «Ich muss gestehen, ich leide nicht an meiner Religion», sagte Gerhard Pfister. SVP-Nationalrat Rutz bekannte gar, «gerne in die Kirche» zu gehen, Petra Gössi betonte zumindest, dass auch sie katholisch sozialisiert sei. Als Politikerin machte sie aber bald unerfreuliche Erfahrungen mit der Kirche: «Als sich die FDP gegen die kantonale Spitalstrategie einsetzte, verurteilte der Abt des Klosters Einsiedeln in einer Predigt unsere Position. Da habe ich erfahren, was es heisst, abgekanzelt zu werden.»

Sündenfall «Tiefkühlpizza»

Der Einsiedler Mönch Martin Werlen, der als Abt gerne lautstark für (links-)politische Anliegen weibelte, sass gefühlt bald als Phantom mit auf dem Podium – als prominentester Abwesender des Abends. Vor allem der politische Sündenfall der Kirche – der Einsatz gegen die liberalisierten Öffnungszeiten der Tankstellenshops respektive gegen die symbolträchtigen Tiefkühlpizzas in den Regalen – wurde genüsslich aufgewärmt.

Her mit den Energiesparlampen

Ein weiteres unrühmliches Beispiel sei eine Predigt Werlens gegen die Energiestrategie gewesen: «Da habe ich dem Alt-Abt gesagt, dass er vielleicht zuerst einmal die Leuchter im Kloster mit Energiesparlampen ausstatten sollte, bevor er sich energiepolitisch zu weit aus dem Fenster lehnt», erzählte Gerhard Pfister dem amüsierten Publikum.

Kirche hat kein Recht mehr, sich einzumischen.

Der Grundtenor war klar: Wenn sich die Kirche ins politische Alltagsgeschäft einbringt, habe sie als Institution keinen Geltungsanspruch mehr und riskiere überdies, bei Grundsatzthemen, wie dem Einsatz für die Menschenwürde, an Gewicht zu verlieren.

Handschellen für Kirche

Wo aber verläuft die Grenze zwischen Grundsatz und grauem Politalltag? Hier brachte Moderator und Blick-Chefredaktor Christian Dorer das berüchtigte SVP-Plakat von 2011 («Kosovaren schlitzen Schweizer auf») ins Spiel. War es angemessen, dass die katholische Kirche damals von einer «gotteslästerlichen Menschenverachtung» sprach? Es gehe um sprachliche Nuancen, meinten die Podiumsteilnehmer: «Die Kirche darf über die Menschenwürde sprechen», so Petra Gössi.

«Kirche darf nicht aufrufen, eine Partei nicht zu wählen.»

«Ob ein Plakat moralisch verwerflich ist oder gegen Gesetze verstösst, muss sie aber dem Urteil der einzelnen Bürgern oder den Gerichten überlassen.» Pfister fasste die Freiheit der Kirche etwas weiter: «Die Kirche darf sagen, dieses Plakat verletzt aus unserer Sicht die Menschenwürde. Problematisch wird es aber, wenn sie deshalb dazu aufruft, eine Partei nicht zu wählen.»

Handschlag reloaded

Zwischendurch spielte Martin Grichting die Rolle des geistlichen Begleiters der Politiker: Eloquent untermauernd, Blickwinkel wechselnd, zustimmend lächelnd. So bemühte er sich um das so genannte Böckenförde-Theorem, wonach der demokratische Staat auf einem vorpolitischen Menschenbild aufbaue, das er selbst nicht garantieren könne. Die Kirche sei dazu da, die menschliche Mündigkeit und Solidarität zu fördern, die dem Staat diene, um diese Rolle zu übernehmen, müsse sie aber in kritischer Distanz bleiben.

Das aber sei zu oft nicht der Fall, meinte SVP-Nationalrat Rutz mit Verweis auf die duale Organisation der Schweizer Kirche: «Die Vertreter der staatskirchenrechtlichen Körperschaften verschmelzen manchmal regelrecht mit den Politikern.» Und wenn man dann wie bei der No Billag-Initiative nicht auf ihrer Linie sei, werde man geächtet, so Rutz.

Zum Schluss eine Runde Islam

Gegen Schluss folgte noch eine Runde Islam: Angesichts von religiös motivierten Verstössen gegen hiesige Sitten wie im Fall «Therwil», in der sich zwei Buben weigerten, ihrer Lehrerin die Hand zu geben, übten sich die Politiker in dezenter Empörungsrhetorik («Da haben wir ein Problem.») Lösungsvorschläge gab es keine.

Wir unterstützen auch keine Theologie-Ausbildung.

Eher wurde auch hier säuberlich zergliedert: «Der religiös neutrale Staat kann nicht andere Religionen integrieren, das ist ein Widerspruch in sich», sagte Martin Grichting. Die Integrationsverpflichtung läge auf Seiten der muslimischen Migranten. Gerhard Pfister verwahrte sich auch gegen eine staatlich finanzierte Imam-Ausbildung: «Wir unterstützen ja auch keine Ausbildung, wie sie Herr Grichting genossen hat.»

Martin Grichting als Linker

Das stimmte zumindest für den Fall der universitären Theologie nicht. Und es war nicht der einzige Moment des Abends, in dem kein Widerspruch erhoben wurde. Es blieb bei einer gewiss launigen, aber eben auch gar eintönigen Plauderei der Rechtgläubigen.

«Wird die Kirche nicht kastriert?»

Fragerunde: Wird die Kirche nicht kastriert, wenn sie sich so konsequent aus der Politik fernhalten soll? Jesus habe sich doch auch eingemischt in die Debatten seiner Zeit, wie etwa zum Sabbat. «Jesus war Gottes Sohn, wir sind nur Menschen», so Pfisters lapidare Antwort.

Wo waren die anderen?

Und weshalb fehlten am Podium eigentlich jene Menschen, die in die Phalanx der Gleichgesinnten eingebrochen wären, wie eben das Phantom Martin Werlen? Wo blieb die Offenheit für ein Streitgespräch mit links tickenden Kirchenmenschen?

«Linke Politiker sind in Tat und Wahrheit strukturkonservativ», erklärte Churs Bischofssprecher Giuseppe Gracia als Organisator. Sie würden bestehenden Strukturen das Wort reden statt den mündigen Menschen ins Zentrum rücken, wie es das Konzil gefordert habe. Einer auf dem Podium habe das getan, nämlich Martin Grichting. «Er war der Progressive, ja wenn Sie so wollen, der Linke hier auf dem Podium», so Gracia.

Scheinwerfer auf Grichting

Damit war das Scheinwerferlicht wieder auf den Mann des Abends gerichtet, um dessen Buchpromotion sich die ganze Veranstaltung drehte. Der Rahmen der Podiumsdiskussion war ein gelungener PR-Coup in edlem Ambiente. Seltsam, dass sich die prominenten Politiker so vor den Karren eines offiziellen Kirchenvertreters spannen liessen.

Von links Christian Dorer, Martin Grichting, Petra Goessi, Gerhard Pfister und Gregor Rutz. | © Rolf Höneisen
29. März 2018 | 16:44
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