Beim Glockengeläut herrscht im Kanton Zürich Willkür

Das Bundesgericht hat im Wädenswiler Lärmstreit entschieden: Die Kirchenglocken dürfen in der Nacht weiterhin schlagen. In der Nachbargemeinde Richterswil hingegen schweigen die Türme.

Florian Schoop. Der Streit ums Glockengeläut verläuft immer gleich. Menschen ziehen in den schönen Kern eines Dorfes oder einer Stadt, freuen sich über die alten Mauern, die schönen Häuser – und dann das: In der Nacht schlagen die Glocken der Kirche, die sich leider ebenfalls in der Mitte des Ortes befindet, und rauben den Zugezogenen den Schlaf. Ähnlich verlaufen ist auch der Streit in Wädenswil. Dort ist ein Ehepaar vor Gericht gegangen und verlangte, dass die Glocken zwischen 22 und 7 Uhr schweigen sollen. Der Fall wurde bis vor Bundesgericht weitergezogen. Dieses aber entschied am Mittwoch, dass die Nachtruhe durch das Geläut nicht gestört sei. Die Glocken dürfen also ab 10 Uhr abends weiterbimmeln – und dies im Viertelstundentakt.

Das ist ein wegweisendes Urteil. Viele Verfahren in ähnlichen Streitfällen dürften sich künftig an diesem Bundesgerichtsentscheid orientieren. Dementsprechend zufrieden ist der Präsident der reformierten Kirchenpflege in Wädenswil, Peter Meier. Er hat zusammen mit der Gemeinde Wädenswil das Urteil der Vorinstanz weitergezogen. Diese hatte im vergangenen Jahr noch entschieden, dass die Glocken in der Nacht nur noch stündlich schlagen dürfen.

97 Prozent stehen hinter Glockengeläut

Damit wollte er sich nicht zufriedengeben. Dies nicht zuletzt, da 97 Prozent der Wädenswiler Bevölkerung gemäss einer repräsentativen Telefonumfrage das Kirchengeläut nicht stört. Das Bundesgericht habe «sehr seriös und professionell» das Ruhebedürfnis der Bevölkerung und das traditionelle Glockengeläut miteinander abgewogen, findet Meier. Auch die Stadt Wädenswil nimmt das Urteil mit Genugtuung zur Kenntnis, wie es in einer Mitteilung heisst. Die Gemeindeautonomie bleibe damit gewahrt. Zwar hallt in Wädenswil auch in der Nacht alle 15 Minuten der Schlag der Glocken durch die Gassen. Das Frühgeläut aber soll weiterhin um 7 Uhr stattfinden.

«Es ging hier nicht um Sein oder Nichtsein der Kirche. Unsere Existenz hängt nicht davon ab, ob die Glocken in der Nacht alle 15 Minuten schlagen.»

Die reformierte Kirche des Kantons Zürich reagiert ebenfalls zufrieden. Der Sprecher Nicolas Mori betont aber: «Es ging hier nicht um Sein oder Nichtsein der Kirche. Unsere Existenz hängt nicht davon ab, ob die Glocken in der Nacht alle 15 Minuten schlagen.» Er begrüsst aber, dass die ETH-Studie, welche die Vorinstanz in ihrem Urteil berücksichtigte, vom Bundesgericht als nicht fundiert genug angeschaut wurde. Diese besagt, dass man bei einem viertelstündlichen Glockengeläut je nach Schlafdauer bereits ab 40 Dezibel aufwachen kann.

Aber wer entscheidet eigentlich, wann die Glocken läuten? Grundsätzlich können die Kirchgemeinden hier autonom handeln. Es gibt keine allgemeine Regelung. Wie unterschiedlich gehandelt wird, sieht man alleine in der Stadt Zürich, wo nicht in allen Kirchen das gleiche Regime gilt. So ist es auch im Kanton. Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2011 bimmelt es etwa in Dällikon nachts nur alle 30 Minuten, in Greifensee, Regensdorf oder Oberengstringen hingegen gar nicht mehr. Interessant ist: Auch in Richterswil, also der Nachbargemeinde von Wädenswil, schweigen die Türme zwischen 22 und 6 Uhr. Was das Frühgeläut anbelangt, ist die Handhabung ebenfalls sehr unterschiedlich.

Geläut hat keine religiöse Bedeutung

Kommt es zu einem Lärmstreit, empfiehlt die kantonale Landeskirche, nicht gleich den Anwalt vorbeizuschicken. Man soll laut Mori auch technische Massnahmen prüfen. «Denn oft kann das Problem mit neuen Verschalungen gelöst werden.» Oder mit einer konstanten Drehung der Glocke. Wenn nämlich der Hammer immer auf dieselbe Stelle trifft, kann der Klang zum störenden Lärm werden. Dasselbe gilt bei Glocken, die einen Riss haben und scheppern. Unterm Strich braucht es laut Mori einfach Flexibilität, und zwar von der Kirche wie auch von den Anwohnern. Denn man dürfe eines nicht vergessen: «Alle gemachten Umfragen im Kanton kommen immer wieder zum Schluss, dass die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor hinter dem Glockengeläut steht.»

«Alle gemachten Umfragen im Kanton kommen immer wieder zum Schluss, dass die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor hinter dem Glockengeläut steht.»

Bei der katholischen Kirche des Kantons Zürich bleibt man gelassen. Der Stundenschlag habe nichts mit Christentum zu tun und habe somit auch keine religiöse Bedeutung, sagt der Sprecher Simon Spengler. Auch hier gibt es keine einheitliche Regelung. In Winterthur etwa schweigen alle Türme von katholischen Kirchen zwischen 22 und 6 Uhr.

NZZ
14. Dezember 2017 | 09:45