Filmstill aus «Una mujer fantástica»
Schweiz

Fantastische Vielfalt – oder weshalb Transgender die Welt bereichert

Zürich, 31.8.17 (kath.ch) Am Donnerstag startet der Film «Una mujer fantástica» (Eine fantastische Frau) über die Würde einer Transgender-Frau in den Kinos. Ein willkommener Anlass, um über den Sinn und Unsinn von Kategorien, die Macht des Kinos und christliche Werte nachzudenken. Ein Kommentar von Natalie Fritz.

Die Welt ist kompliziert. Damit wir in diesem Chaos den Überblick behalten, behelfen wir uns unter anderem mit Kategorien. So ordnen wir die Welt mit all ihren Bewohnern, Elementen und sogar die philosophischen Gedanken. Meist geschieht dies nach einem binären, also zweiteiligen Muster. Nahrung ist kalt oder warm, es ist Tag oder Nacht, eine Ideologie links oder rechts, ein Mensch ein Mann oder eine Frau. Diese binäre Weltsicht vereinfacht auf den ersten Blick das Leben, aber eben nur auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich, dass sich vieles nicht eindeutig zuordnen lässt: Ist lauwarmes Essen eher kalt oder warm? Gehört die Dämmerung zum Tag oder zur Nacht, müssen Menschen zwingend männlich oder weiblich sein?

Gestörte Ordnung

Kategorien vereinfachen, aber sie reduzieren die Welt auch, beschneiden ihre Vielfalt. Ohne Zwischentöne, ohne Schattierungen und Überraschungen wird die Welt berechenbar. Und so stellen Menschen, die nicht in eine einzige Kategorie passen, sondern sich irgendwo in einem Zwischenbereich bewegen und sich dort auch wohl fühlen, die Ordnung und Überschaubarkeit der Welt infrage. Sie verunsichern die auf Heteronormativität getrimmte Mehrheit. Transgender-Menschen wirken deshalb auf viele zugleich faszinierend und einschüchternd. Dabei sind sie es, die sich Tag für Tag neu in der wohl geordneten Gesellschaft positionieren müssen.

Für Transgender-Menschen verwandeln sich die vermeintlich hilfreichen binären Ordnungsprinzipien zu Hürden, die den Alltag erschweren: Immer wieder tauchen Fragen auf, die für sogenannt «Normale» kaum je ein Thema sind: Welche Garderobe oder Toilette benutzt man? Wie möchte man angesprochen werden? Probleme, die in einer aufgeklärten und globalisierten Welt eigentlich keine mehr sein sollten… Doch immer wieder gehen konservative Kräfte gegen Menschen vor, die sich weder von biologischen Tatsachen noch von sozialen Sanktionen daran hindern lassen, sich selbst zu sein. Der amerikanische Präsident Trump liess dieses Jahr verlauten, dass Transgender-Menschen doch keinen Platz in der Armee hätten und auch Vertreter von verschiedenen religiösen Institutionen und Gruppierungen vertreten eine exklusiv heteronormative Weltsicht.

Filmische Plädoyers für mehr Toleranz

Dahingegen hat sich der Film schon sehr früh und differenziert der Transgender-Thematik angenommen. Aus dem Jahr 1919 stammt das Werk «Aus eines Mannes Mädchenjahren» (Julius Rode, Paul Legband, Deutschland), in dem es um ein Kind ohne eindeutiges Geschlecht geht. Fasziniert von der buchstäblichen Aussergewöhnlichkeit der Transgender-Menschen haben sich seither unzählige Regisseure mit dem Leben und den Problemen ihrer Mitmenschen auseinandergesetzt. Die Liste an Filmen ist lang und reicht von humorvoll-komödiantisch (»Priscilla – Queen of the Desert», Stephan Elliott, Australien 1994) über sozialkritisch (»Ma vie en rose», Alain Berliner, Frankreich/Belgien/Grossbritannien 1997) bis dramatisch (»Boys don’t cry», Kimberly Peirce, USA 1999).

Daniela Vega als Marina. Filmstill aus «Una mujer fantástica» | © Pathé Films AG Zürich

Auffällig ist, dass seit dem Beginn der 90er Jahre immer mehr Werke mit oder über Transgender-Menschen den Weg in die Kinos fanden und zu Publikumslieblingen avancierten. Filme wie «The Crying Game» (Neil Jordan, Grossbritannien 1992), Pedro Almodóvars Meisterwerk «Todo sobre mi madre» (Spanien 1998) oder «Transamerica» (Duncan Tucker, USA 2005) inszenieren ihre Protagonistinnen und Protagonisten in einem positiven Sinn als «ganz normale» Menschen und bauen dadurch nicht nur Vorurteile ab, sondern rufen indirekt auch zu mehr Toleranz und Vielfalt auf. Eine Botschaft – die mit Blick auf Jesus inklusives und vorurteilsfreies Handeln – gerade in christlichen Kreisen eigentlich viel Anklang finden sollte.

Hinweis: Ab 31. August  läuft «Una mujer fantástica» (Eine fantastische Frau, Chile 2017) von Sebastián Lelio in den Kinos.


 

 

Filmstill aus «Una mujer fantástica» | © Pathé Films AG Zürich
31. August 2017 | 10:26
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Una mujer fantástica

Marinas Lebensgefährte Orlando bricht eines Nachts unerwartet zusammen. Im Krankenhaus können die Ärzte nur noch den Tod Orlandos feststellen. Es ist ein starker Moment der Trauer, aber auch eine Geschichte der Diskriminierung, die nun anhebt. Die Verwandten versuchen mit allen Mitteln, die Transgender-Frau Marina aus der gemeinsamen Wohnung zu drängen und ihr den Zugang zur Abdankung zu verweigern. Als einer der intensivsten Filme aus dem Wettbewerb der Berlinale sticht die Geschichte von Sebastián Lelio aus dem spätsommerlichen Kinoprogramm hervor. Besonders stark ist die schauspielerische Leistung von Daniela Vega, die die Transgender-Frau verkörpert. In dieser Geschichte wird das Drama einer Beziehung deutlich, die nicht existieren darf. Da Marina nicht in einer eingetragenen Partnerschaft mit Orlando lebt, droht sie im Moment des Verlustes alles zu verlieren. Neben dem Schock des Todes sind es vor allem die starren, gesellschaftlichen Konventionen, die Ablehnung und der Hass der Angehörigen, die ihr schwer zu schaffen machen. Lelio geht diese Geschichte mit einer engagierten Haltung an, zeigt Alltag und Gefühle der Transgender-Frau im Moment ihrer Betroffenheit und ihres Kampfes um das Recht auf Trauer. Dabei gibt der Film einen Blick auf die Befindlichkeit von Transmenschen frei, der sich in poetischen und unvergesslichen Bildern manifestiert. Starkes Gefühlskino mit Bildern von Trauer und Befreiung. (cm)